13:30 VERSCHIEDENES

Selbstheilendes Polymer frisst Kohlendioxid

Teaserbild-Quelle: Sam Jotham Sutharson/unsplash

Ein von Chemikern am Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickeltes Material reagiert mit Kohlendioxid aus der Luft und ist in der Lage zu wachsen, stärker zu werden und sich selbst zu heilen. Das Polymer, das eines Tages im Bau oder für die Reparatur von Schutzbelägen verwendet werden könnte, konvertiert fortlaufend Treibhausgase in ein kohlenstoffbasiertes Material.

Quelle: Hans Reniers/unsplash

Der Wunderstoff der MIT-Forscher hat eine gel-ähnliche Konsistenz.

Synthetik ahmt Biologie nach

«Das hier ist ein komplett neues Konzept in den Materialwissenschaften», sagt Michael Strano, Professor für Chemische Ingenieurswissenschaften, der die Forschung am neuen Stoff leitet. «Das, was wir Kohlenstoff-reparierendes Material nennen, existiert heute noch nicht ausserhalb der Biologie.» Damit meint er Materialien, die Kohlendioxid aus der Luft mithilfe von Licht in Feststoffe umwandeln können. Die Entwicklung eines solchen synthetischen Stoffes, der nicht nur keine fossile Energie zur Herstellung benötigt, sondern sogar Kohlendioxid aus der Luft zieht, hat offensichtliche Vorteile für die Umwelt und das Klima. «Stellen Sie sich ein synthetisches Material vor, das wachsen kann wie ein Baum, das den Kohlenstoff aus dem Kohlendioxid in seiner Umgebung aufnimmt und in seine Struktur einbaut», sagt Strano.

Chloroplasten als Katalysatoren

Der Stoff, den das Team gegenwärtig benutzt, benötigt aber doch etwas biologische Starthilfe. Beziehen kann er diese von Chloroplasten: Das sind die photosynthetisierenden Organellen in Pflanzenzellen, die die Forscher aus Spinatblättern extrahierten. Die Chloroplasten sind zwar nicht lebendig, aber sie katalysieren die Umwandlung von Kohlendioxid in Glukose. Isoliert sind sie recht instabil, denn sie hören einige Stunden nach der Extraktion auf zu arbeiten. Strano und seine Mitarbeiter zeigen zwar auf, wie man die Lebensdauer von Chloroplasten signifikant steigern kann, aber das Endziel bleibt, diese Katalysatoren in naher Zukunft durch eine synthetische Alternative zu ersetzen.

Quelle: Jason Leung/unsplash

Pflanzen bauen aus atmosphärischem Kohlendioxid Blätter und Äste. Nun imitiert ein synthetischer Stoff diesen Vorgang.

Der Baustoff der Zukunft?

Wie sieht dieser zukunftsträchtige Stoff aber nun aus? Die Antwort hat Seon-Yeong Kwak, Postdoc und Stranos Mitarbeiter. «Das Material ist am Anfang eine Flüssigkeit», so Kwak, «und es ist aufregend zu beobachten, wie es zu wachsen und Cluster zu formen beginnt, bis es eine feste Form annimmt.» Die Flüssigkeit, von der Kwak spricht, ist eine Gel-Matrix aus einem Polymer aus Aminopropyl Methacrylamid (Apma), Glukose, einem Enzym namens Glukose-Oxidase und den Chloroplasten. Je mehr Kohlenstoff es inkorporiert, desto stärker wird es. Das Team hat Methoden entwickelt, um dieses Material tonnenweise herzustellen, und konzentriert sich gegenwärtig darauf, seine Eigenschaften zu verbessern. Der kommerzielle Einsatz als Rissfüller oder Beschichtungsmaterial soll in der nahen Zukunft realisierbar werden, wohingegen die Verwendung am Bau oder in Komposita noch einiger materialwissenschaftlicher und chemischer Arbeit bedarf.

«Unsere Arbeit zeigt, dass Kohlendioxid nicht nur Last und Kostenverursacher sein muss.»

Michael Strano, Professor für Chemische Ingenieurswissenschaften, MIT

Michael Strano, Professor für Chemische Ingenieurswissenschaften, MIT

Selbstheilend ohne externe Hilfe

Die Selbstheilungsfähigkeit des Stoffes unter Sonnenlicht oder sogar Innenbeleuchtung unterscheidet ihn deutlich von bisherigen Versuchen in dieselbe Richtung. Frühere Anstrengungen, selbstheilende Materialien zu entwickeln, scheiterten nämlich an einem entscheidenden Punkt: Sie erforderten stets externe Aktivierung. Hitze, UV-Licht, mechanische Belastung oder chemische Behandlung waren notwendig, um die «biologischen»Prozesse in Gang zu setzen. Im Gegensatz dazu benötigt Stranos Material nichts als Licht und Kohlenstoff, allgegenwärtig in der Atmosphäre.

Kohlendioxid neu denken

«Unsere Arbeit zeigt, dass Kohlendioxid nicht nur Last und Kostenverursacher sein muss. Es bietet auch Möglichkeiten. Kohlenstoff ist überall. Wir bauen unsere Welt aus Kohlenstoff. Menschen sind aus Kohlenstoff. Ein Material herzustellen, dass das Überangebot von Kohlenstoff um uns herum nutzbar machen kann ist eine bedeutende Chance für die Materialwissenschaften. Es geht also bei unserer Arbeit darum, nicht nur Materialien herzustellen, die kohlenstoffneutral sind, sondern kohlenstoffnegativ.» (mgt/lfr)

Wie geht es weiter?

Die Forschung wurde in Advanced Materials von Professor Michael Strano, Postdoc Seon-Yeong Kwak und acht anderen Forschern am MIT und an der California Riverside Universität veröffentlicht. Weil ihre Entdeckung ein riesiges Feld an Folgeforschung eröffnet, sponsert das U.S. Department of Energy ein neues Programm zur Weiterentwicklung des Stoffes.

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