Photovoltaik: Variabel einsetzbare Hülle für Gebäude
Fassaden haben bei der Nutzung der Photovoltaik grosses Potenzial. Doch statisch montierte Anlagen sind auch mit Restriktionen verbunden. Die adaptiv konzipierte Solarfassade einer ETH-Ausgründung ist flexibel einsetzbar, was Vorteile bringt.
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Quelle: ROK Architekten, Foto: Roman Keller
Solskin Installation am HiLo Modul im Nest Gebäude in Dübendorf
Beim Einbezug von Gebäudehüllen für die Nutzung von Photovoltaik spielen funktionale und ästhetische Aspekte eine Rolle. Und es geht um Effizienz, sowohl was die Beschattung als auch den Energieertrag betrifft. Um den verschiedenen Anforderungen, die Gebäudehüllen erfüllen müssen, gerecht zu werden, hat die ETH-Ausgründung «Zurich Soft Robotics» nach langjähriger Forschungstätigkeit eine adaptive Solarfassade entwickelt. Beim Geschäftsmodell gehen Soft- und Hardware auf neue Art Hand in Hand.
Paneele folgen dem Gang der Sonne
Bei der Lösung des Startups sind dünne und kleine Photovoltaik-Paneele auf antriebstechnische Baueinheiten, sogenannte Aktoren oder Aktuatoren, montiert, die sich auf einem Metallträgernetz befinden. Die Aktuatoren können einzeln mittels Druckluft bewegt werden. Diese Motoren seien leicht, leise und könnten Wind und anderen Kräften standhalten, beschreibt Bratislav Svetozarevic, CEO und Mitgründer des Jungunternehmens, im Beitrag der ETH Zürich das System.
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Quelle: Girts Apskalns, Architecture and Building Systems
Innenansicht
Die Aktuatoren seien wartungsarm bei einer Nutzungsdauer von 25 Jahren, die bei Photovoltaikmodulen ähnlich lang sei. Die Motoren können sich in zwei Achsen frei bewegen. Dadurch kann die Oberfläche der Paneele dem Gang der Sonne folgen und auf diese Weise im Vergleich zur gleichen Fläche eines statischen Panels den Ertrag um bis zu 40 Prozent steigern, wie es im ETH-Beitrag heisst.
Und Paneele als natürlicher Sonnenschutz
Doch das System hat noch einen weiteren Vorteil. Denn die Paneele fungieren zugleich als dynamisches Beschattungssystem, das die Glasfassade abdeckt und die Aufheizung durch die Sonneneinstrahlung reduziert. «Shadovoltaik» nennt sich der Ansatz laut Vesna Kosorić, Leiterin der Abteilung Architektur. Um die gegenseitige Verschattung der Paneele zu reduzieren und gleichzeitig Transparenz zu ermöglichen, war ein Optimum zu finden.
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Quelle: Entwurf: Zurich Soft Robotics, Fotos: Bruno Helbling
Aussenansicht der Installation am Zero Carbon Building Systems Lab der ETH Zürich…
Demnach ist das Design des Fassadensystems «Solskin» auf eine Weise ausgelegt, dass die Paneele rund 55 Prozent der Fläche bedecken. Da sich die vor den Fenstern installierten Paneele bei Bedarf jeweils in eine horizontale Position bewegen lassen, verhindern die Paneele dabei nicht etwa die Sicht ins Freie.
Optimum finden
Die Software bringt die Elemente der adaptiven Solarfassade mithilfe von künstlicher Intelligenz und selbstlernenden Algorithmen zudem automatisch in eine Stellung, dass der gesamte Solarertrag, die Wärmereduzierung und der Einfall des Tageslichts maximiert werden können. Das adaptive System ist einerseits zwar teurer als standardisierte Photovoltaikmodule.
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Quelle: Entwurf: Zurich Soft Robotics, Fotos: Bruno Helbling
...und Innenansicht.
Doch lassen sich Betriebskosten senken, da je nach Projektdetails und Ausrichtung sowie der PV-Oberfläche der Aufwand für Kühlung und Heizung des Innenraums um bis zu 80 Prozent reduziert werden kann, so Kosorić.
Auf Tests folgt erste Anwendung in den Alpen
Die Technologie wurde zunächst in zwei Forschungsgebäuden eingesetzt. Der erste voll funktionsfähige Prototyp wurde 2021 im HiLo-Modul im Forschungsgebäude «Nest» der Empa in Dübendorf installiert. Ab Juni 2024 überwachte und testete das Gründer-Team und die Forscherinnen das System im Zero Carbon Building Systems Lab der ETH Zürich, was zugleich als abschliessende Prüfung und Vorbereitung für die Umsetzung eines ersten Grossprojekts gelten sollte.
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Quelle: Entwurf: Zurich Soft Robotics, Fotos: Bruno Helbling
Ein Haus in den Schweizer Alpen wurde mit den adaptiven Solarpaneelen nachgerüstet.
Geplant waren zudem Nutzertests und Umfragen, um zu eruieren, wie die Menschen das neuartige technische Prinzip wahrnehmen und auf dieses reagieren. Im November 2024 hat das Startup die erste Anwendung für einen privaten Kunden fertiggestellt und mit dem Solskin-System die Fassade eines Hauses in den Alpen nachgerüstet.
Das System im grossflächigen Einsatz
Im Rahmen eines voluminösen Neubauprojekts der Keller Druckmesstechnik AG in Winterthur werden vorgefertigte Elemente montiert mit Massen von dreieinhalb auf acht Meter. Die Fassade des neuen Büro- und Produktionsgebäudes ist 88 Meter lang. Gesamthaft soll eine Fläche von 1300 Quadratmetern mit 3488 Paneelen bestückt werden. Im Verlaufe dieses Jahres werden die Solskin-Einheiten produziert und installiert. Auf dem Campo-Areal in Oberwinterthur wurde ein weiteres Projekt realisiert.
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Quelle: Architektur und Visualisierung: Strut Architekten
Die Keller Druckmesstechnik AG in Winterthur lässt an der Fassade des neuen Büro- und Produktionsgebäudes das adaptive System installieren.
Flexibel kombinierbar
Das System kann in andere Gebäudeelemente wie Geländer oder Oberlichter integriert und an unterschiedliche Fassadenformen und -grössen angepasst werden, und kann etwa bei Atrien, in Pergolen auf Dächern oder in Gärten als Sonnenschutzsystem dienen. Da jeder Aktuator einzeln gesteuert werden kann, sind sogar Medienfassaden möglich, die durch die Bewegung der Paneele Texte oder Ornamente anzeigen können, erklärt Kosorić. Das System ist mit verschiedenen auf dem Markt erhältlichen Solarmodulen kombinierbar. Die PV-Oberfläche und die Rückseite der Paneele können auf Wunsch farblich angepasst werden. Ohnehin ist es das erklärte Ziel der Jungunternehmer, dass Architektinnen und Architekten beim Entwurf und der Gestaltung von Gebäudehüllen mehr Möglichkeiten haben. «Mit dem Solskin-Fassadensystem wollen wir die Integration der Photovoltaik in der Architektur verändern», sagt Svetozarevic.
Weitere Finanzierungsrunde vor Abschluss
Mittlerweile umfasst das Unternehmen zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dazu kommen externe Berater. «Zurich Soft Robotics» bezieht bei der praktischen Umsetzung auch lokale Installationspartner und Fassadenberater mit ein. Die nächste Finanzierungsrunde steht laut Svetozarevic vor dem Abschluss mit dem Ziel, drei Millionen Schweizer Franken einzusammeln. Die Technologie ist in der EU patentrechtlich, der Name Solskin international als Marke geschützt. Beim Solskin-Fassadensystem handelt es sich um das erste Produkt des Unternehmens. Unterstützung erhielt das Startup bereits von einem Swiss Business Angel und der Klimastiftung Schweiz. Die schweizerische Agentur für Innovationsförderung Innosuisse gewährte ein Stipendium. Das Startup erhielt bereits mehrere Auszeichnungen. (mgt/sts)
Hier geht es zum Originalartikel der ETH https://arch.ethz.ch