Liangzhu: Das Ende von Chinas „Venedig der Steinzeit“
Sie gilt als Zeugnis der chinesischen Hochkultur vor über 5000 Jahren: die Ausgrabungsstätte Liangzhu, oder vielmehr die Überreste von Chinas „Venedig der Steinzeit“. Die Ursache für den abrupten Niedergang der Stadt war bis heute unklar. Ein internationales Forschungsteam hat eine Antwort gefunden.
Im Jangtse-Delta, rund 160 Kilometer südwestlich von Shanghai, zeugen die Ruinen Liangzhus von einer hochentwickelten Kultur: Die ummauerte Stadt verfügte vor rund 5300 Jahren über ein komplexes System aus schiffbaren Kanälen, Dämmen und Wasserreservoirs, das dafür sorgte, dass grosse landwirtschaftliche Nutzflächen während des ganzen Jahres bewirtschaftet werden konnten. Liangzhu gilt damit als eines der frühesten Beispiele für ein hochentwickeltes, auf einer Wasserinfrastruktur basierendes Gemeinwesen. Auch wenn dieser Kultur Metalle unbekannt waren, sind bei Ausgrabungen Tausende kunstvoll bearbeitete Objekte aus Jade oder vielmehr Grabbeigaben zu Tage gefördert worden.
Der Niedergang der Hochkultur von Liangzhu
Die archäologische Stätte war lange unentdeckt geblieben und in ihrer historischen Bedeutung unterschätzt worden. Das hat sich mittlerweile geändert: Sie gilt als ein gut erhaltener Beleg für die mehr als 5000 Jahre alte chinesische Zivilisation und ist deshalb vor rund zwei Jahren zum Unesco-Welterbe erklärt worden.
Allerdings gibt das abrupte Ende der Hochkultur dieser während beinahe eines Jahrtausends bewohnten Stadt bis heute Rätsel auf. „Auf den erhaltenen Überresten wurde eine dünne Lehmschicht nachgewiesen, die auf einen möglichen Zusammenhang des Untergangs der Hochkultur mit Überschwemmungen des Jangtse oder Fluten vom Ostchinesischen Meer hinweist“, erklärt Geologe und Klimaforscher Christoph Spötl von Universität Innsbruck. „Für menschliche Ursachen wie etwa kriegerische Auseinandersetzungen konnten keine Hinweise gefunden werden.“ Aus der Schlammschicht selbst seien allerdings keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Ursache möglich.
Stalagmiten liefern die Antwort
Quelle: Haiwei Zhang
Stalagmiten in der südwestlich der Ausgrabungsstätte befindlichen Höhle belegen eine klimatische Ursache für den Untergang der Liangzhu-Hochkultur.
Die Antwort auf die Frage nach dem Niedergang der Liangzhu-Kultur könnte unter der Erde liegen: Höhlen und die Ablagerungen in ihrem Inneren – etwa Tropfsteine – sind wichtige Klimaarchive, mit denen sich das Klima von vor bis zu mehreren 100‘000 Jahre zurück rekonstruieren lässt. Deshalb suchte das Forschungsteam um Spötl ein „Höhlenarchiv“, um eine möglichen klimatische Ursache des Niedergangs auf den Grund zu gehen. Das Team wurde in den beiden südwestlich der Ausgrabungsstätte gelegenen Höhlen Shennong und Jiulong fündig, wo Geologe Haiwei Zhang von der Xi’an Jiaotong Universität in Xi’an Proben von Stalagmiten entnahm.
„Diese Höhlen sind bereits seit Jahren gut erforscht. Sie befinden sich im gleichen Einflussgebiet des südostasiatischen Monsuns wie das Jangtse-Delta und erlauben uns mit ihren Tropfsteinen einen exakten Blick in die Zeit des Zusammenbruchs der Liangzhu-Kultur, der nach archäologischen Befunden etwa 4300 Jahre vor heute passierte“, führt Spötl aus.
Niederschlagsreiches Klima während 300 Jahren
Aus den Daten der Tropfsteine lässt sich schliessen, dass vor
zwischen 4345 and 4324 Jahren eine extrem niederschlagsreiche Klimaphase
auftrat. Sie liess sich anhand der Isotopenwerte des Kohlenstoffstoffs nachweisen.
Die zeitliche Einstufung erfolgte durch Uran-Thorium-Analysen an der Xi’an
Jiaotong Universität auf 30 Jahre genau. „Das ist in Anbetracht der zeitlichen
Dimension erstaunlich präzise“, sagt Spötl. „Die massiven Monsunregen dürften
zu so starken Überflutungen des Jangtse und seiner Seitenarme geführt haben,
dass selbst die hochentwickelten Dämme und Kanäle diesen Wassermassen nicht
mehr standhielten, die Liangzhu-Stadt zerstörten und den Menschen nur die
Flucht blieb.“
An einen Wiederaufbau dürfte damals kaum zu denken gewesen sein: Die sehr feuchten Klimabedingungen blieben den Wissenschaftlern zufolge mit Unterbrechungen weitere 300 Jahre bestehen. (mai/mgt)