Gewerkschaften fordern höhere Löhne und Teuerungsausgleich
Die Gewerkschaften setzen 2023 bei der Entwicklung der Löhne einen Schwerpunkt. Es brauche Reallohnerhöhungen, einen automatischen Teuerungsausgleich und mindestens 5000 Franken Monatslohn für Berufstätige mit Lehre. Ungelernte sollen mindestens 4500 Franken erhalten.
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Tausendernoten, Symbolbild.
Die Rolle der Gewerkschaften sei sehr wichtig, sagte
Pierre-Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB),
am Montag vor den Medien in Bern. Dies habe sich zuletzt angesichts der
anziehenden Teuerung gezeigt. Zwar sei es für eine Bilanz zur Lohnentwicklung noch
zu früh. Dort, wo die Gewerkschaften verhandelt hätten, lägen die Zuwächse aber
nahe an der Teuerung.
Der SGB anerkennt zwar, dass es in vielen Branchen
Lohnerhöhungen gegeben habe. Die Lohnschere gehe aber wieder auseinander. «Ein
Lohn muss zum Leben reichen», lautet deshalb seine Forderung. Das Geld für ein
würdiges Leben für alle sei vorhanden. Schliesslich gehöre die Schweiz zu den
reichsten Ländern der Welt.
Lohnschere geht auf
Laut dem am Montag veröffentlichten SGB-Verteilungsbericht
erhalten Berufstätige mit tiefen und mittleren Löhnen heute real weniger Lohn
als 2016. Aufwärts gegangen sei es nur bei den obersten zehn Prozent. Die
Lohnoffensive sei deshalb nötig, sagte SGB-Chefökonom Daniel Lampart.
Die Entwicklung gehe in die falsche Richtung, kritisierte
Maillard – auch wenn die Lage in der Schweiz besser sei als in anderen Ländern.
Durch den Ukraine-Krieg werde sich die Ungleichheit weiter verschärfen. «Wir
sind besorgt.»
Eine ausgewogene Wohlstandsverteilung stärke die Demokratie,
betonte der Waadtländer SP-Nationalrat. Dies sei gerade in der heutigen Zeit
besonders wichtig, sagte er mit Verweis auf die Ereignisse in Brasilien am
Sonntag. Die Demokratie sei vielerorts Angriffen ausgesetzt.
Rückschritte bei der Gleichstellung
SGB-Vizepräsidentin Vania Alleva kritisierte Rückschritte
bei der Gleichstellung. Tieflöhne von unter 4000 Franken etwa im Detailhandel,
in der Reinigungsbranche oder in der Pflege seien inakzeptabel. In
Tieflohnbranchen seien die Reallohnverluste besonders hoch – und Frauen seien
dort übervertreten.
Rückwärts statt vorwärts gehe es auch bei den Renten, so
Alleva. Es habe sich gezeigt, dass die Befürworter einer Erhöhung der
Frauenrentenalters im Abstimmungskampf «nichts als leere Versprechungen» gemacht
hätten.
Nötig sei neben Lohnerhöhungen auch eine Reduktion der
Arbeitszeiten, so die Präsidentin der Gewerkschaft Unia. Sie verwies dabei
insbesondere auf den Pflegenotstand. Viele Pflegende reduzierten heute aus Not
auf eigene Kosten ihr Pensum, rund 300 Pflegende flöhen derzeit jeden Monat aus
ihrem Beruf.
Angriffe von Arbeitgeberseite
Es brauche Druck bei den Verhandlungen über
Gesamtarbeitsverträge, forderte Alleva. Dies umso mehr, weil die Bürgerlichen
versuchten, den Schutz der Arbeitnehmer aufzuweichen.
Vorstösse aus Arbeitgeberkreisen im Parlament wollten die Erholungs-
und Ruhezeiten im Arbeitsgesetz verkürzen, kritisierte der SGB. Sie wollten
Nacht- und Sonntagsarbeit ausweiten – neuerdings auch unter dem Vorwand der
Energiemangellage. Oder sie wollten die Existenzminima der kantonalen
Mindestlöhne unterlaufen.
Maillard warf den Bürgerlichen eine polarisierende Politik
vor. Es gelte deshalb, das Erreichte etwa bei den Renten zu verteidigen. Er sei
überzeugt, dass die Bevölkerung Kompromisse in diesem Sinne erwarte.
Jede dritte Person erschöpft
Ausbauen wollen die Gewerkschaften die Prämienverbilligungen
bei der Krankenversicherung. Die Prämienerhöhungen von 6,6 Prozent in diesem
Jahr seien ein Schock und für viele untragbar.
Auch bei den Arbeitszeiten brauche es eine Trendwende: Statt
immer neue Ausnahmen bei den Arbeits- und Ruhezeiten zu fordern, sollten sich
die Arbeitgeber wieder an der Arbeitszeitreduktion beteiligen, um den
Gesundheitsschutz und das Familienleben der Arbeitnehmer zu verbessern.
Mittlerweile sei fast jede dritte berufstätige Person
ziemlich oder sehr erschöpft. Das sei nicht nur für die Betroffenen eine
leidvolle Entwicklung. Psychische und körperliche Belastungen verursachten auch
Gesundheitskosten, so der SGB.
Anders als in den meisten Ländern zahlten die Arbeitgeber in
der Schweiz nichts an die Krankenversicherung, so Lampart. Dies, obwohl viele
Gesundheitsprobleme auf die Belastung bei der Arbeit zurückzuführen seien.
Schätzungen zeigten, dass die stress- und arbeitsbedingten Gesundheitskosten
mehrere Milliarden Franken betragen.
Der SGB-Chefökonom bekräftigte daher, die Mehrerträge aus
der Umsetzung der OECD-Mindeststeuer sollen für eine Senkung der Prämienlast
eingesetzt werden. (sda/pb)