11:58 VERSCHIEDENES

Geothermie: Studie bereitet Feld für flächendeckenden Einsatz

Geschrieben von: Stefan Schmid (sts)
Teaserbild-Quelle: Keystone-sda

Für die Gewinnung von Wärmeenergie bietet Geothermie bis zu einer Tiefe von 400 Metern grosses Potenzial. Eine Forschergruppe der EPFL hat dazu auf Basis von umfangreichem Datenmaterial im Lemanbogen die verfügbare Fläche und das technische Potenzial eruiert. Die Studie dürfte bei der geothermischen Nutzung des Niedertemperaturbereichs wegweisend sein für die Schweiz.

Bohrung für Geothermie

Quelle: Keystone-sda

Bohrlöcher für Erdwärmsonden im Niedertemperaturbereich reichen bis in eine Tiefe von 400 Metern, wobei der Fokus der Potenzialanalyse auf der Nutzung des Erdreichs liegt.

Auf Heizung und Kühlung von Gebäuden entfällt rund ein Drittel des gesamten Energiebedarfs der Schweiz. Etwa zu 75 Prozent wird dabei auf fossile Energieträger zurückgegriffen, um die dafür benötigte Energiemenge bereitzustellen. Auf Gebäude ist somit ein Anteil von 27 Prozent der nationalen Emissionen von Kohlendioxid zurückzuführen. Erneuerbare Wärme- und Kältequellen haben daher einen erheblichen Hebeleffekt zur Reduktion der Emissionen.

Fürs Heizen mit Energie aus erneuerbaren Quellen bietet sich die Geothermie an. Nachdem Wärmepumpen in der letzten Dekade, unabhängig von den genutzten Medien, ein exponentielles Wachstum verzeichneten, soll die Technik nun bei der oberflächennahen Geothermie eine breitere Anwendung finden, und zwar im Niedertemperaturbereich. Wärme wird dabei aus dem Erdreich in einer Tiefe von weniger als 400 Metern gewonnen und direkt Heizanwendungen zugeführt. Da die Bodentemperatur in der Tiefe der Erdwärmesonden im Jahresverlauf nahezu konstant ist, weisen diese Systeme eine hohe Leistungszahl auf (COP – Coefficient of Performance). Um aus verfügbaren Flächen ein Maximum an Wärmeenergie herauszuholen, gilt es, bestimmte Gesetzmässigkeiten zu beachten.

Technisches Potenzial eruieren

Eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der EPFL in Lausanne rund um Aline Walch hat für die Erschliessung des Energiepotenzials einen besonderen Fokus auf den Lemanbogen gelegt. Gegenstand der Studie ist die Abschätzung des technischen geothermischen Potenzials von oberflächennahen Erdwärmepumpen, die für einzelne Grundstücke im regionalen Massstab vorgestellt werden. Beim technischen Potenzial handelt es sich um die maximale thermische Energie, die aus vertikalen Erdwärmesonden gewonnen werden kann, die auf der gesamten verfügbaren Fläche installiert sind, sodass diese mit mindestens 80 Prozent der empfohlenen Leistung betrieben werden können, wie es in einem Fachartikel zu den Forschungen heisst. Der technische Rahmen der Studie bildet die Geothermienorm des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA), welche hierzulande die Anforderungen an die Dimensionierung von oberflächennahen Erdsondenwärmepumpen definiert und von einem Planungshorizont von 50 Jahren ausgeht.

Ein besonderes Augenmerk richteten die Wissenschaftler auf die Wärmekapazität des Bodens und die effektiv verfügbare Fläche für geothermische Anwendungen. Die Studie widmet sich auch dem Problem einer potenziellen Übernutzung, sei dies durch thermische Überlagerungen benachbarter Bohrungen. Die Ergebnisse zeigen ausserdem, dass die kumulative Tiefe der installierten Erdsonden ein geeigneter Parameter sein kann, um eine mögliche Übernutzung der Wärmekapazität des Bodens zu beurteilen. 

Die vorgeschlagene Methode kombiniert die thermischen Eigenschaften des Bodens, die verfügbare Fläche für die Installation von Erdwärmesonden und ein entsprechendes technisches Modell, wobei sich die EPFL-Studie auf die Quantifizierung thermischer Überlagerungen zwischen Erdwärmesonden konzentriert. Zu berücksichtigen waren zudem regionale Unterschiede. Auch in dieser Hinsicht ist die Studie ein Novum, denn derzeit gibt es noch keine Methode zur Quantifizierung eines bedarfsunabhängigen technischen Potenzials auf regionaler Ebene.

Grafik 1 - Geothermie Niedertemperaturbereich EPFL

Quelle: EPFL

Regionale Unterschiede der Bodendaten in der Fallstudienregion. a) Restriktionszonen für Geothermie; b) Temperatur der Bodenoberfläche in der Tiefe; c) Wärme- und Temperaturleitfähigkeit laut Geothermiekataster. Die grauen Zonen liegen ausserhalb des Untersuchungsgebiets.

Bis anhin stand bei ähnlichen Studien oft das theoretische Potenzial im Zentrum der Erwägungen, ausgehend von einem gegebenen Bodenvolumen sowie der Temperatur, der Wärmekapazität und -leitfähigkeit des Bodens. Auch wurde die Grundwasserfliessgeschwindigkeit berücksichtigt oder aufgrund eines einzelnen Bohrlochs die entnehmbare Wärme mithilfe von Ingenieursnormen, Simulationen oder Analysemodellen geschätzt. 

Mitunter wurden dabei jedoch Auswirkungen der bebauten Umgebung sowie Störungen benachbarter Bohrungen vernachlässigt. Das kann dazu führen, dass die Schätzungen zu optimistisch ausfallen. Ein zentraler Aspekt ist der Bohrlochabstand. Werden bei Simulationen Annahme getroffen, die von einem Abstand von sechs bis 7,5 Meter ausgehen, kann als Folge ein zu hohes theoretisches Potenzial ausgewiesen werden. Um das technische Potenzial, nicht das theoretische, zu bestimmen, setzt das EPFL-Team mit der Studie konzeptionell grundsätzlich andere Akzente.  

Verfügbare Fläche bestimmen

Um die jährliche Gesamtenergieentnahme schätzen zu können, mussten die Autorinnen zuerst die für Installationen verfügbare Fläche bestimmen. Danach liess sich anhand verschiedener Szenarien die Installationsdichte festlegen. Grundlage der Analyse bildeten GIS- sowie Parzellengrenzdaten aus dem topografischen Landschaftsmodell (TLM) von Swisstopo samt 3D-Darstellungen von Landschaftsobjekten. Zurückgegriffen wird auch auf Vektordarstellungen amtlicher Vermessungsdaten von Liegenschaften. Berücksichtigt wurden des weiteren Flurstücke mit mindestens einem Gebäude.

Wo geothermische Anlagen nicht realisiert werden können, waren die Flächenangaben zu bereinigen. Dazu dienten Angaben über bereits überbaute Grundstücke, Gebäudegrundrisse und verkehrsbezogene Zonen wie Strassen, Bahnlinien, Parkplätze oder Sportanlagen dienten dazu. Zudem erwähnt die Studie gewisse Einschränkungen, denn in der Praxis können Nutzungen des Untergrunds wie Versorgungsleitungen oder Tunnels die verfügbare Fläche für geothermische Anlagen verringern. Schliesslich konnte die effektiv verfügbare Fläche für geothermische Anwendungen eruiert werden.

Bohrlochabstand optimieren

Einer der wichtigen Ansatzpunkte der EPFL-Studie ist die Maximierung der Wärmentnahme bei einer optimalen Zahl von Bohrlöchern auf der verfügbaren Fläche. Denn befinden sich diese zu dicht beieinander, kommt es zu unerwünschten Überlagerungen. Wenn dagegen die Abstände zu gross sind, werden Flächen nicht maximal genutzt. In beiden Fällen sind Schätzungen der möglichen Entnahmeenergie daher ungenau. Die Autorinnen und Autoren gehen bei der Bestimmung des technischen Potenzials in der Folge davon aus, dass der Abstand zwischen den Erdwärmesonden mehr als die Hälfte der Bohrlochtiefe betragen sollte.

Grafik 2 - Geothermie Niedertemperaturbereich EPFL

Quelle: EPFL

Bohrlochabstand (a) und -tiefe (b) bilden die Basis für Optimierungen. Der Abstand zwischen den Erdwärmesonden sollte mehr als die Hälfte der Bohrlochtiefe betragen. Die kumulative Tiefe der installierten Erdsonden eignet sich als Parameter, um mögliche Übernutzungen zu erkennen.

Um die maximal entnehmbare Wärme zu bestimmen, wurden dazu die thermischen Überlagerungen in unterschiedlichen Bohrlochabständen (5 bis 100 Meter) und Tiefen (50 bis 200 Meter) simuliert. Dabei stehen Überlagerung und Bohrlochabstand in einem Zusammenhang, der mathematisch auf Basis der logarithmischen Skala erfasst werden kann. Anhand von Dichteszenarien zeigt die Studie auf, in welchem Abstand die Bohrlöcher geplant werden sollten. Diese wiederum konzentriert sich bei der Schätzung der Wärmeentnahme auf das Erdreich. 

Nicht in die Analyse einbezogen wurde zudem die Wärmeübertragung durch Grundwasserströmung. Auch die Wiederaufladung etwa mit überschüssiger Wärme von solarthermischen Generatoren oder von Raumkühlungen in Sommertagen wurde nicht berücksichtigt, obwohl die Möglichkeit besteht, solche Systeme bidirektional zu nutzen. Im Winter eignen sie sich zum Heizen, im Sommer zum Kühlen. Insgesamt führen Ausgangslage und Methodik im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema zu eher einer konservativen Schätzung des technischen Potenzials, wie die Forscherinnen schreiben.

Weitere Parameter und Variablen

Die Simulation des Wärmeentzugspotenzials erfordert neben den Bodendaten auch technische Parameter sowie Auslegungsvariablen. Zu den verwendeten Bodendaten zählen Temperatur sowie die Wärmeleitfähigkeit und -durchlässigkeit, die sich anhand von 3D-Modellen des Untergrunds für verschiede Tiefen ableiten lassen. Zu den technischen Parametern gehören der thermische Bohrlochwiderstand und -radius sowie die jährlichen Betriebszeiten. 

Die Auslegungsvariablen schliesslich umfassen die freien Parameter, die auf eine Weise gewählt werden sollten, um das Potenzial zu maximieren. In der Studie wählten die Autoren das Standardauslegungsverfahren für geothermische Anlagen, sodass die mittlere Temperatur des Wärmeträgermediums in der Bohrung während der gesamten Dauer über einem Mindestwert liegt. Die Kombination von Bodendaten, Parameter und Variablen ergäbe eine schier unüberblickbare Zahl von Kombinationen. Daher werden in der Studie für die Bohrlochtiefe und den -abstand geeignete Annahmen getroffen. Auch für die Bestimmung der Systemlast folgt die Studie einem eigenen Vorgehen.

Um das technische Potenzial möglichst genau abschätzen zu können, sind auch Schwankungen bei den Parametern in den Regionen zu berücksichtigen. Dabei ergeben sich gewisse Unsicherheiten. Mittels Sensitivitätsanalysen zeigen die Wissenschaftler, welche Auswirkungen Veränderungen von Parametern auf die Ergebnisse in den Regionen haben können. Eine der Hauptquellen der Ungewissheit betreffen die thermischen Eigenschaften des Bodens aufgrund von regionalen Ausprägungen der Geologie, über die mittels Probebohrungen Erkenntnisse gewonnen werden können.  

Genf und Waadt im Fokus

Mit dieser Ausgangslage soll sodann das technische Potenzial des Systems maximiert werden, indem für jedes Feld separat die Bohrlochdichte und -tiefe gewählt werden. Diese Optimierung wird durch die maximale Bohrlochtiefe und die minimale Wärmeauskopplungsrate eingeschränkt, häufig bedingt durch örtliche Gegebenheiten und Vorschriften. Der Wert ist jedoch ein Indikator für die wirtschaftliche Machbarkeit einer Anlage. Im Rahmen einer Fallstudie wird der Ansatz der Methode auf regionaler Ebene – einer zentralen Stossrichtung der Studie – demonstriert, und zwar in den Gebieten von Genf und Waadt.

Beide Kantone weisen sowohl ländliche als auch städtische Regionen auf, verfügen bereits über eine grosse Anzahl an Erdsondewärmepumpen sowie über hochauflösende Landschaftsdaten und einen geothermischen Kataster, die auch Informationen über Restriktionszonen, Bodenbeschaffenheit und bestehende Anlagen lieferten. Zudem ist der Wärmebedarf für die Kantone bis auf einzelne Feldgrössen heruntergebrochen. Mit angemessenen Anlagen (COP 4,5) könnten auch Überschüsse bewertet werden, die in unterversorgte Gebiete transferiert werden könnten. Die Fallstudie umfasst ein Gebiet mit einer Fläche von 1600 Quadratkilometern und 250'000 Gebäuden. Geologisch reicht das Plateau im alpinen Molassebecken vom Jura bis zu den Voralpen im Süden.

Nach Analyse der Daten mit der beschriebenen Methode ergibt sich für die Fallstudienregion, dass auf der verfügbaren Fläche von 284 Quadratkilometern 80'000 bis 100'000 Parzellen für die Installation von Erdsondewärmepumpen in Frage kommen könnten, wobei die Werte regional verschieden sind. In ländlichen Gebieten sind es mehr Parzellen als im städtischen Umfeld. Eine Rolle spielen auch Grösse und Form der Parzellen.

Bedarf in vielen Gebieten gedeckt

Auf den 284 Quadratkilometern ergibt sich laut der Studie ein technisches Potenzial von 4,65 TWh, ausgedrückt als jährliche Gesamtsumme. Die Ergebnisse liefern eine erste Schätzung des technischen Potenzials von Erdwärmesonden für ein Fallstudiengebiet in der Westschweiz. Diese Schätzung deutet darauf hin, dass Erdwärmesonden genügend Energie liefern können, um den Wärmebedarf der meisten vorstädtischen und ländlichen Gebiete zu decken, während das Potenzial in dichten städtischen Zentren unzureichend ist, wie die Studienautoren schlussfolgern.

Bezogen auf das Mittelland, wo weitere Gebiete für geothermische Nutzungen im Niedertemperaturbereich erschlossen werden könnten, wäre das gesamte Potenzial in der Schweiz enorm. Die EPFL-Studie dürfte daher einen wichtigen Beitrag leisten für Strategien zur Dekarbonisierung des Wärmesektors von Gebäuden sowie zur Beurteilung von wirtschaftlichen Aspekten. Die Arbeit kann zudem als wissenschaftlicher Rahmen für die Regulierung von Geothermieanlagen und der politische Entscheidfindung bei Stadtplanungen und der Siedlungsentwicklung dienen.

Grafik 3 - Geothermie Niedertemperaturbereich EPFL

Quelle: EPFL

Prozentualer Anteil der verfügbaren Fläche für geothermische Anwendungen im Niedertemperaturbereich, ermittelt als Summe der verfügbaren Fläche aller Parzellen und bezogen auf die Pixelfläche von 40000 Quadratmetern.

Geschrieben von

Redaktor Baublatt

Seine Spezialgebiete sind wirtschaftliche Zusammenhänge, die Digitalisierung von Bauverfahren sowie Produkte und Dienstleistungen von Startup-Unternehmen.

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