Forscher haben möglicherweise ältesten Eiskern der Welt ausgegraben
Forscher haben im Ong Valley in der Antarktis eine Eisprobe entnommen, die auf ein Alter von drei bis fünf Millionen Jahren datiert wurde. Der fast zehn Meter lange Eiskern könnte neue Erkenntnisse in der Klimaforschung liefern.
Quelle: Gemeinfrei
Transarktisches Gebirge: Eingeschlossene Luftblasen im Eis liefern Eindrücke und Erkenntnisse zur Erdatmosphäre von vor Jahrtausenden.
Das Eis in der Antarktis ist wie eine Zeitkapsel: Seine alten, eingeschlossenen Luftblasen liefern Eindrücke und Erkenntnisse zur Erdatmosphäre von vor Jahrtausenden. Wissenschaftler suchen deshalb nach immer älterem Eis, um die Klimaaufzeichnungen der Erde zu erweitern. Im Transantarktischen Gebirge im Ong Valley haben nun Forscher, unter anderem von der Universität von North Dakota, einen fast zehn Meter langen, mit Sedimenten gefüllten Eiskern ausgegraben.
Das Team schätzt, dass das Eis bis zu fünf Millionen Jahre alt ist – und damit möglicherweise das älteste, das jemals geborgen wurde. Die Methode zur Messung des Alters wurde kürzlich in der Fachzeitschrift «The Cryosphere» der European Geoscience Union veröffentlicht und könnte laut einem Artikel des Magazins «Nature» den Weg für die Erforschung noch älterer Eisproben ebnen.
Die meisten Eiskerne werden an Orten in der östlichen Antarktis entnommen, da dort das Eis sauberer abgelagert ist, als im Ong Valley. Mehrere Forscherteams versuchen dort seit längerem, die ältesten Eiskerne aus diesen Ablagerungen tief unter der Erde zu gewinnen, um nahtlose Zeitleisten der atmosphärischen Bedingungen erstellen zu können, die bis vor etwa 1,5 Millionen Jahren reichen.
Teure Tiefbohrungen für Eiskerne
Mit der neuen Datierungsmethode könnte es laut Marie Bergelin, Gletschergeologin und Hauptautorin der Studie im «Cryosphere», möglich sein, noch ältere, von Gletschern abgelagerte Eisproben zu datieren, die leichter zugänglich sind, weil sie sich näher an der Oberfläche befinden. Bergelin stellte sich die Frage, an welchen Orten man sonst noch potenziell altes Eis finden könnte, anstatt tief unter der Erde nach Kernen zu suchen.
Denn Tiefbohrungen für Eiskerne sind sehr teuer und können oft mehr als ein Jahrzehnt an Planung und Feldarbeit erfordern, wie aus dem «Nature»-Artikel hervorgeht. Auf der Suche nach altem Eis, das keine so hohen Investitionen erfordert, entschieden sich Bergelin und ihre Kollegen schliesslich für das Ong Valley, weil frühere Schätzungen darauf hindeuteten, dass dort das unter von einem Gletscher transportiertem Gesteinsmaterial vergrabene Eis mehr als eine Million Jahre alt ist.
Quelle: Jaakko Putkonen
Forscher haben im Ong Valley in der Antarktis den möglicherweise ältesten je geborgenen Eiskern entnommen.
Quelle: Marie Bergelin
Teammitglied Jaakko Putkonen, Geologe an der Universität von North Dakota, bearbeitet den trümmerreichen Eiskern aus dem Ong Valley.
Nachdem die Gletscher ins Ong Valley gerutscht waren, begann ihr Oberflächeneis zu sublimieren – es verwandelte sich in Wasserdampf. Zurück blieb schliesslich eine schützende Decke aus Gesteinsmaterial mit konserviertem Eis darunter. Das mit Sedimenten gefüllte Eis des Ong Valley könne wahrscheinlich nicht die detaillierten Klimaaufzeichnungen liefern, wie Bohrkerne können. Laut «Nature» könnte es aber dennoch neue Informationen liefern.
Eiskern bis zu 5,1 Millionen Jahre alt
Die Forscher hatten den Eiskern während der Feldsaison 2017-2018 gesammelt. Auf der Grundlage ihrer Kenntnisse über die Ablagerung von Eis in dieser Region entwickelte das Team dann ein Modell, wie sich seltene Isotope von Beryllium, Aluminium und Neon im Laufe der Zeit in den Eistrümmern anreichern. Diese Isotope entstehen durch hochenergetische, kosmische Strahlung aus dem Weltraum, die auf Gesteinsmaterial an oder nahe der Oberfläche prallt.
Nach einem Vergleich der Modellvorhersagen mit dem gemessenen Isotopenprofil in dem zehn Meter langen Eiskern konnten sie daraufhin schätzen, dass ein Teil des Eises bis zu einer bestimmten Tiefe etwa drei Millionen Jahre alt ist. Unterhalb dieser Tiefe waren die Isotopenkonzentrationen viel höher als erwartet, was die Forscher zu der Schlussfolgerung veranlasste, dass in diesem Teil des Ong Valley zwei getrennte Eismassen übereinander geschichtet sind. Das Team schätzt, dass die ältere, tiefere Eismasse sogar zwischen 4,3 und 5,1 Millionen Jahre alt ist.
Quelle: Jaakko Putkonen
Das Team schätzt, dass die ältere, tiefere Eismasse in der Probe sogar zwischen 4,3 und 5,1 Millionen Jahre alt ist.
Erkenntnisse zum Klimawandel
Nach Ansicht von Bergelin könnte ihr Datierungsmodell auch auf andere antarktische Regionen mit ähnlichen, isolierten und vergrabenen Eismassen angewendet werden. Die Studie liefere «starke Beweise dafür, dass Eiskerne oder Eisproben drei oder vier Millionen Jahre lang erhalten bleiben können», wird Yuzhen Yan, ein Paläoklimatologe, der 2019 über einen 2,7 Millionen Jahre alten antarktischen Eiskern berichtete, zitiert. «Das eröffnet eine neue Möglichkeit für künftige Bohrungen.»
Der Eiskern könnte nun Aufschluss über einen Zeitraum von etwa 2,5 bis 5 Millionen Jahren geben, als die globalen Temperaturen und Kohlendioxidwerte höher waren als heute. Das Team um Bergelin glaubt, dass diese Zeit auf der Erde auch Aufschluss darüber geben könnte, wie der Planet heute auf den vom Menschen verursachten Klimawandel reagiert. «Wir haben dieses Eis gefunden und datiert», so Bergelin. «Jetzt müssen wir uns ansehen, was wir aus ihm herausholen können.» (mgt/pb)
Zum Artikel im Fachmagazin «Nature»: www.nature.com