Ausstellung zu James Turrell: Papier zum Leuchten bringen
James Turrell gilt als einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart, der mit Installationen Licht in Szene setzt. Weniger bekannt ist das druckgraphische Werk, das er teilweise in Zürich mit dem Kupferdrucker Peter Kneubühler realisierte. Eine Werkauswahl ist in der Graphischen Sammlung der ETH Zürich zu sehen.
Quelle: Graphische Sammlung ETH Zürich / James Turrell
Blatt aus der Folge «First Light».
Licht ist in der Kunst seit Jahrtausenden Gestaltungelement. In der Malerei verleiht Licht Figuren und Objekten Konturen und Plastizität, Räume entfalten durch Licht dreidimensionale Wirkung. Nachdem elektrische Beleuchtung in vielen Lebensbereichen Einzug hielt und intensive Forschungen im Bereich der Optik rasch zu neuen Erkenntnissen führen, finden im 20. Jahrhundert auch Künstlerinnen und Künstler im Licht selbst ein weites Experimentierfeld, um Phänomenen nachzuspüren. Lichtkünstler James Turrell tut dies seit Jahrzehnten auf radikale Weise. Er beleuchtet Räume auf eine Weise mit Lichtspektren, dass sie zu schweben scheinen. Mit seinen Installationen scheint er die Statik aufzuheben. Ecken und Flächen verschwinden im Lichtschimmer und ermöglichen neue Impressionen von Räumen. Oder in dynamischer Umgebung lässt der Künstler Sequenzen des Lichtspektrums aufeinander folgen, Grundfarben fliessen ineinander über wie beim SBB-Bahnhof in der Stadt Zug. Farbiges Licht macht Phänomene optisch fassbar als Gegenpol zum physischen Gewicht der Architektur.
Quelle: Graphische Sammlung ETH Zürich / James Turrell
Ohne Titel der Folge «Deep Sky».
Dabei haben Turrell schon früh die unterschiedlichsten Aspekte des Lebens interessiert. Geboren 1943 beginnt er nach dem Studium von Psychologie und Mathematik Mitte der 1960er-Jahre künstlerisch die Fühler auszustrecken. Die Wirkung von Licht und Raum wecken seinen Entdeckergeist. 1968 folgt ein Kunststudium mit Abschluss an der Graduate School im kalifornischen Claremont. Am damaligen Institute of Art and Knowlogy des Los Angeles Country Museum of Art arbeitet er, interdisziplinären Ansätzen folgend, mit dem Künstler Robert Irving und dem Wahrnehmungspsychologen Edward Warth zusammen. Verschiedene Wissenschaften wirken in Turrells späterem Schaffen hinein mit vielen Schnittfeldern in andere Disziplinen.
Lichtfänger im Vulkankegel
Auf einem Flug über die Weiten Arizonas entdeckte Turrell in den 1970er-Jahren eine kegelförmige Geländeformation, die sich als erloschener Vulkan mit ovaler Caldera herausstellte. Auf dem Gebiet in der Nähe der Stadt Flagstaff begann er mit dem Projekt «Roden Crater». Um den Gang der Himmelsmechanik mit grösster Präzision abzubilden, entsteht nach und nach in enger Zusammenarbeit mit Astronominnen und Astronomen im Vulkankrater eine monumentale Anlage. In den Vulkankegel baut er Stollen und Schächte, die zu unterirdischen Räumen führen, was im Zusammenspiel von Licht und Dunkelheit künstlerische Möglichkeiten eröffnet. Zu Licht und Raum gesellt sich sowohl im persönlichen als auch im astronomischen Sinn die Zeit. Für den Naturwissenschaftler wird es zum Lebenswerk. Mit dem Betrieb einer Farm finanziert Turrell den Kauf des Gebiets und den Bau der Anlage.
Quelle: Graphische Sammlung ETH Zürich / James Turrell
West Chamber der Folge «Mapping Spaces»
Sein Werk sieht der Künstler auch als Fortsetzung einer jahrtausendealten Tradition. Der Blick in den Kosmos sollte neben metaphysischen Interpretationen auch praktische Folgen für die Existenz hienieden zeitigen. Reihen von Menhiren bildeten vermutlich Sonnenkalender, die Hinweise lieferten für den idealen Zeitpunkt der Aussaat. Oberirdische Observatorien existieren etwa in Newgrange in Irland oder in Abu Simbel in Ägypten. Zu solchen prähistorischen Artefakten gehört auch Stonehege oder Steinformationen in Falera GR.
Beim «Roden Crater» funktionieren Ostportal und Tunnel wie eine monumentale Camera obscura, eine Lochkamera. Jährlich wird beispielsweise zum südlichsten Sonnenuntergang das Licht aus der Öffnung des Ostportals ein Tunnel auf die Westseite geführt, um dort in der Sonne-Mond-Kammer auf dem monumentalen Bildstein Effekte zu erzeugen. Alle 18,6 Jahre fällt das Licht beim «Mayor Lunar Stand Still», dem sogenannten «Grosser Mondstillstand», durch die Räume genau auf den Bildstein. Daneben realisierte Turrell als Lichtkünstler weltweit unterschiedlichste Projekte.
Zürcher Kupferdrucker inspiriert
Ergänzend zu Lichtinstallationen und Konstruktionen schafft Turrells auch ein umfangreiches druckgrafisches Werk. Es ist gleichzeitig eine Hinwendung zum Bildträger Papier. Herausragende Druckgraphiken entstehen in den 1980er-Jahren in Zürich nach intensiver Zusammenarbeit im Atelier des bekannten Kupferdruckers Peter Kneubühler, den Turrell auf Anregung seines Verlegers Peter Blum kennenlernt. In Absprache mit dem erfahrenden Druckermeister werden die Blätter in Aquatinta ausgeführt.
Quelle: Jacques Richter
James Turrell (links) und Peter Kneubühler (rechts) in den 1980er-Jahren im Kupferdruckatelier in Zürich.
Dabei handelt es sich um eine Tiefdrucktechnik, bei der das Zusammenspiel von Flächen betont wird im Gegensatz zu Radierungen, bei denen üblicherweise Linien oder Figuren als Stilmittel hervorgehoben werden. Durch stufenweises Ätzen und Abdecken eines mit Kolophonium beschichteten Kupferplatte lassen sich verschiedene Tonwerte erzeugen, sodass fein nuancierte Flächen entstehen. Das Resultat sind üblicherweise abgestufte Grauwerte, die eine räumliche Wirkung evozieren, was den künstlerischen Intentionen Turrells entgegenkommt, wie Linda Schädler, Kuratorin und Leiterin der Graphischen Sammlung der ETH Zürich, anlässlich der Vernissage erklärte.
Auf elementare Weise tritt das Licht auf dem Papier in Erscheinung. Weisse Flächen sind zugleich Gestaltungselement. Unbedruckte helle Stellen leuchten förmlich wie Licht aus dunkler Umgebung. Die Herangehensweise kommt auch im Titel der Ausstellung zum Ausdruck: «Licht im Papier». Dabei fasziniert das Zusammenspiel von reduzierten Formen und Lichtwirkung des Papiers auf fast magische Weise. Schon früh wollte Turrell auch den sogenannten Mondstillstand graphisch einfangen. Bei der Vernissage war Turrell über einen Videostream ins Auditorium der ETH zugeschaltet. Und er betonte Kneubühlers inspirative Kraft und die meisterhafte Beherrschung des Handwerks. Über mehrere Jahre dauerte die künstlerisch äusserst ergiebige Zusammenarbeit.
Skizzen zeigen Werkentstehung
Die Motive der Druckgraphiken beziehen sich auf verschiedene raumbezogene Lichtinstallationen der 1960er-Jahre. Entstanden sind Illusionen von Lichtkörpern, die in einer Ecke zu schweben scheinen, indem das Licht scheinbar durch eine Öffnung in der Decke in den Raum dringt wie bei der Serie «First Light». Oder im Werk «Deep Sky» bildet scheinbar eine schmale Öffnung in der Ecke die Lichtquelle. Fahles Licht streift über die Wand und ermöglicht durch den Gegensatz von begrenzten und unendlichen Räumen unterschiedliche Wahrnehmungen.
Quelle: Graphische Sammlung ETH Zürich / James Turrell
Ohne Titel der Folge «Roden Crater».
Die Bilder sind Beispiele, wie Turrell Räumlichkeit evozieren kann. In der Ausstellung des Graphischen Kabinetts sind in den Druckgraphiken immer wieder auch lose Bezüge zum Landschaftsprojekt «Roden Crater» zu entdecken. Bei den in der Ausstellung präsentierten Graphiken handelt es sich um eine Auswahl von über 150 Werken und Entwürfen, welche die Graphische Sammlung 2008 aus dem Nachlass der Stiftung Peter Kneubühler erhalten hat. Neben Drucken umfasst der Nachlass auch Skizzen, vorbereitende Zeichnungen und Probedrucke, was interessante Einblicke in den Schaffensprozess erlaubt. Solche Darstellungen von Zwischenschritten bei der Entstehung von Kunstwerken sind in Ausstellungen eher selten zu sehen. Bei der präsentierten Auswahl von Bildern sind die Motive von unterschiedlichsten Interessensgebieten geprägt wie Architektur, Landschaftsgestaltung, Raum, Licht und Astronomie oder zur Mystik.
Ausstellung und Symposium
Licht im Papier. Die Druckgraphik von James Turrell
Graphische Sammlung ETH Zürich
Rämistrasse 101, HG E 52, 8092 Zürich
Täglich von 10 bis 17 Uhr; bis 10. November (ausser 8.11.)
5. / 6. November: Symposium zur Multiperspektivität von Turrells Werk
www.gs.ethz.ch