08:49 VERSCHIEDENES

Elektrizität: Neuartige Erdkabel reduzieren Transportverluste

Geschrieben von: Stefan Schmid (sts)
Teaserbild-Quelle: Hivoduct

Der Transport von Strom in hohen Spannungs- und Stromstärkebereichen ist mit einer Reihe von Restriktionen verbunden. Viel Sparpotenzial beim Transport liegt bei Erdkabeln in Metallröhren, in denen Druckluft herrscht. Das Schweizer Jungunternehmen Hivoduct hat eine Systemlösung aus Hochspannungs-Rohrleitungen mit grossem Marktpotenzial entwickelt.

Hivoduct - Textanlage Seebach

Quelle: Hivoduct

Installationsbeispiel eines Druckluftkabels für 36 Kilovolt bei einer Stromstärke von 3000 Ampere.

Die Versorgungssicherheit und die Klimaziele vor Augen richtete sich der Fokus bei der Stromproduktion in den letzten Jahren auf die Erschliessung oder Kapazitätserhöhung nachhaltiger Energiequellen bei gleichzeitiger Reduktion des Verbrauchs auf Abnehmerseite. Optimierungspotenzial bietet jedoch auch der Transport grosser elektrischer Ströme vom Generator bis zur Steckdose oder zur Industrie. 

Die Durchleitung von Strom über weite Strecken vom Produktionsort zum Verbraucher erfolgt hierzulande über das Schweizer Stromübertragungsnetz, das vor allem Freileitungen im Spannungsbereich von 220 oder 380 Kilovolt (kV) umfasst. Aus Gründen der Sicherheit müssen Freileitungen mit hohen Spannungen einen Mindestabstand vom Boden aufweisen. Mitunter wird auf Hochspannungsleitungen verzichtet, wenn sie durch Siedlungsgebiete führen würden oder sich aufgrund der topografischen Verhältnisse eine Verlegung von Erdkabeln aufdrängt. In beiden Fällen müssen die Hochspannungsleiter, die den Strom führen, aufwendig isoliert werden. Die Leiter sind in der Regel mit Kunststoffen wie Polyethylen isoliert.

Extrem schädliches Gas ersetzen

Als Alternative für den Transport im Hochspannungsbereich könnte eine neue Art von Erdkabeln dienen. Dabei wird das Hochspannungskabel in Metallrohren geführt, die mit Druckluft isoliert sind. Das bringt verschiedene Vorteile. Die Technik ist nicht neu. Denn die Elektrokonzerne Siemens und ABB entwickelten bereits 1975 Produkte nach dem Prinzip gasisolierter Rohrleiter. In den Rohrleitern bevorzugt die Industrie als Isoliermedium Schwefelhexafluorid, und zwar vor allem wegen dessen ausgezeichneter Isolierfähigkeit. Das Gas ist an sich ungiftig, doch stellte es sich später heraus, dass es für das Klima äusserst schädliche Auswirkungen hat. Gemäss dem Bundesamt für Umwelt Bafu entspricht ein Kilogramm Schwefelhexafluorid einem Erwärmungspotenzial von 22,8 Tonnen Kohlendioxid. Weil sich ein Verbot der Substanz als Isolationsmedium abzeichnete, begann die Suche nach Alternativen, was den Erfindergeist von Elektroingenieur Walter Holaus weckte. Aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit in der Entwicklung von Hochspannungsprodukten erkannte er sowohl im unteren als auch in hohen Spannungsbereichen mögliche Anwendungen für gasisolierte Rohrleiter. Erste Ideen konkretisierten sich, Marktevaluationen waren vielversprechend, die Gründung des Unternehmens Hivoduct ein logischer Schritt.

Kabel umhüllt von Druckluft

Wie bei herkömmlichen Anwendungen fliesst der Strom auch bei dieser Lösung durch einen Leiter aus Aluminium, der mittig in einem Metallrohr geführt wird. Als Isolator dient Luft. Dabei ist die Isolierfestigkeit von komprimierter Luft deutlich besser als bei Druck unter Normalbedingungen. Denn stünde das Rohr nicht unter Druck, wäre für die Isolationswirkung ein grösserer Rohrdurchmesser erforderlich. Bei höherem Druck muss die Rohrwand dagegen stärker ausgeprägt sein, um dem Innendruck standhalten zu können. Aufgrund von betriebswirtschaftlichen und technischen Optimierungen hat sich für den Druck in den Metallröhren bei der internationalen Forschergilde mit etwa 10 bar mittlerweile eine Art Standard herausgebildet. Für die Führung eines 145-kV-Kabels ist laut Walter Holaus ein Rohrdurchmesser von rund 20 Zentimeter ausreichend, sodass der Metalleiter lediglich mit einer isolierenden Druckluftschicht von etwa sechs Zentimetern umgeben ist. Das Gehäuserohr ist gleichzeitig Erdleiter, schützt vor Stromschlägen und schirmt Mensch und Tier vor elektromagnetischen Feldern.

Hivoduct - Seilzug

Quelle: Hivoduct

Das Rollensystem und die Vorrichtung zum Einziehen des Kabels haben sich bewährt. In 20 Minuten sind fünf Laufmeter verbunden und installiert.

Eine klimaschonende Alternative für den Isolator war somit gefunden. Doch auch für den speditiven Bau von umfangreichen Rohrleitungssystemen war eine marktfähige Lösung gefragt, denn die Montage von geschraubten Flanschen gestaltete sich viel zu kompliziert, wie Holaus aus Erfahrung wusste. Ein neu entwickeltes, patentiertes Flanschdesign ermöglicht eine flexible, den jeweiligen Verhältnissen angepasste und schraubenlose Rohrmontage, ein Rollensystem erleichtert die Installation. Die Montage des Leitungssystems lässt sich damit ohne Schrauben bewerkstelligen. Optional steht ein Monitoringsystem zur Verfügung, das beim Betrieb Gasdruck und Temperatur erfasst.

Elektrische Verluste viel geringer

Die Hivoduct-Lösung hat einen weiteren entscheidenden Vorteil: Aufgrund des grösseren Leiterdurchmessers sind die elektrischen Verluste bis zu zehnmal geringer als bei Freileitungen und zwei bis dreimal geringer als bei Erdkabeln mit Isolierkunststoff. Die geringeren Transportverluste und weitere Vorteile wie die tieferen Wartungskosten wiegen unter dem Strich die höheren Investitionskosten von Hochspannungs-Rohrleitungen pro Meter bei Weitem auf (etwa um den Faktor drei). Auch ist in vielen Fällen die Strecke vom Transformator beim Kraftwerk zum Abnehmer bei der Verwendung von Druckluftkabeln viel direkter und damit kürzer als eine Freileitung, was ebenso Kostenvorteile bringt, wie der Co-Gründer erklärt. Über rund 40 Jahre ergeben sich laut Angaben von Hovoduct sowohl für den Ersatz von Freileitungen als auch von herkömmlichen Hochspannungskabeln «viel geringere Nutzungsdauerkosten».

Feldstudie auf SBB-Gelände

Eine Vermarktung ist jedoch nur möglich, wenn die Produkte im praktischen Einsatz die erwünschte Leistung erbringen und zuverlässig funktionieren. Die Hochspannungs-Rohrleitungen wurden daher in Zusammenarbeit mit Forscherinnen und Forschern der Fachhochschule Ostschweiz im Prüfzentrum der Fachkommission für Hochspannungsfragen (FKH) in Däniken Tests unterzogen. Doch für einen möglichen Einsatz mussten sich die Hochspannungs-Rohrleitungen beim praktischen Einsatz bewähren.

Hivoduct - Graphik

Quelle: Hivoduct

Bei hohen Querschnitten der Leiterseile reduziert sich der Widerstand. Die Transportverluste werden reduziert.

In einer Feldstudie ermöglichte eine Testanlage auf dem Gelände des SBB-Kupplungsbahnhofs in Zürich-Seebach, das Rohrleitungssystem unter realen Bedingungen diversen Prüfungen und einem einjährigen Dauerbetrieb zu unterziehen. Dass die SBB das Gelände zur Verfügung stellten, war nicht zufällig, sieht sich die Bahn in dicht besiedelten Ballungsräumen bei der Stromverteilung oft gezwungen, Erdkabel zu verlegen. Zudem verspricht sich die Bahnbetreiberin mit den Druckluftleitungen eine Reduktion der sogenannten Blindleistung. Das Phänomen tritt bei Wechselstromnetzen, wie es die SBB betreiben, in Erscheinung.

Strombranche interessiert

Während eines Jahres stand ein 30 Meter langes Druckluftkabel von Hivoduct mit einer Spannung von 145 kV im Einsatz. In Dauertest flossen hohe Ströme mit unterschiedlicher Stärke durch die Anlage. Mit Simulationen wurden zudem die Auswirkungen eines maximalen Fülldrucks sowie eines raschen Druckabfalls im Rohr erprobt. Dabei zeigte es sich, dass die Rohre den Belastungen standhielten und auch bei absichtlichen Leckagen der Betrieb gewährleistet war. Zugleich war die Anlage übers Jahr den wechselnden meteorologischen Bedingungen ausgesetzt. Auch bei Sommerhitze blieben die Temperaturen im Rohr unterhalb festgelegter Grenzwerte.

Hivoduct - Leitung bei Strasser

Quelle: Hivoduct

In Siedlungsgebieten ist eine Erdverlegung von Kabeln oft unumgänglich. Gasisolierte Rohrleiter könnten eine Alternative sein.

Das Interesse der Strombranche an den Einsatzmöglichkeiten der innovativen Technik ist gross. Studien zu Kundenprojekten mit Druckluftkabeln wurden neben der SBB auch mit anderen schweizerischen und mitteleuropäischen Netzbetreibern gestartet.

Fokus auf Mittelspannung und Europa

Die zertifizierten Produkte des Startup-Unternehmens sind ausgelegt für Anwendungen in den Bereichen Mittelspannung (12 bis 52 kV) und Hochspannung (72 bis 145 kV). Auf diese Spannungsebenen will sich das Unternehmen in einer ersten Phase fokussieren. Anwendungsfelder für die Technik sehen die drei Gründer des Unternehmens jedoch in allen Spannungsebenen von 245 kV bis 380 kV. Die Marktbearbeitung initiieren wollen die Eigner mit Leitungen in Bereichen, in denen hohe Nennströme benötigt werden. Das Startup will vorab Produkte und Dienstleistungen auf dem Schweizer Markt anbieten, danach die Aktivitäten auf Zentraleuropa ausweiten. Mittelfristig werden alle neuen Hochleistungs-Verbindungen mit Druckluftkabeln erstellt werden, da die technischen und damit auch ökonomischen Vorteile überwiegen und der einfache Aufbau eine kostengünstige Volumenproduktion erlaubt. Davon sind die Gründer überzeugt. In Zeiten vieler technischer und ökonomischer Umwälzungen bei der Produktion und Nutzung von Elektrizität sehen sie auch auf dem globalen Markt grosses Wachstumspotenzial.

Gründungsdynamik

Co-Gründer Walter Holaus studierte an der TU Wien Energietechnik und promovierte später an der ETH Zürich zum Thema Hochspannungs-Schaltgeräte. Von 2002 bis 2017 war Holaus bei ABB Schweiz unter anderem als Projektleiter für die Entwicklung von gasisolierten Schaltanlagen bis 1100 kV sowie als Entwicklungsleiter und Technologiemanager tätig. 2017 hat er mit Hyundai Electric Schweiz ein Forschungszentrum für Energietechnik aufgebaut. Im Juli 2020 folgte mitten in der Corona-Zeit die Gründung des Technologie-Startups, das Holaus auch als CEO leitet. Zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind momentan im Unternehmen tätig. Forschung und Entwicklung sowie Testprojekte wurden unterstützt von der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung Innosuisse sowie dem Bundesamt für Energie. Beim Namen Hivoduct handelt es sich übrigens um eine Wortschöpfung, gebildet aus den beiden Vorsilben von High und Voltage sowie dem Wort Duct (engl. für Rohr), was soviel heisst wie Hochspannungs-Rohrleitung. (sts)

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