Buchtipp «Land der Pässe»: Über alle Bergrücken
Der Alpenbogen war für Menschen lange ein unüberwindbares Hindernis. Doch für die Besiedelung und den Austausch fanden sich Fusswege. Regelmässig begangene Routen wurden nach und nach gesichert. Historisch war es ein langer Weg zu befahrbaren Pässen. Ein Buch zeichnet den Werdegang der wichtigsten Schweizer Alpenpässe nach.
Quelle: Richard de Tscharner
Blick von den ersten Kurven des Furkapasses ins Urserental mit Real im Vordergrund, Andermatt zuhinterst im Tal und dem Aufstieg zum Oberalp.
Berge stehen für Beständigkeit, gleichzeitig für stetige Veränderungen der Landmassen durch Tektonik und Verwitterung. Bergketten und Eismassen bildeten bei der Besiedelung der Alpentäler lange schier unüberwindbare Hindernisse, die vorerst umgangen werden mussten. Im Gelände suchte man nach möglichst tief gelegenen und gangbaren Stellen eines Höhenrückens oder einer Bergkette. Geografisch bedingt prägten Alpenübergänge früh den Austausch. Artefakte legen nahe, dass Hirten, Jäger und Händler bereits um 4000 v. Chr. den Lötschenpass überquerten, um ideale Lebensräume zu finden oder Gerätschaften zu tauschen.
Die Besiedelung der Alpentäler setzte jedoch früher ein, wobei die Orte nur saisonal genutzt wurden. Die ältesten Spuren von Sesshaftigkeit stammen aus dem Jahr 8000 v. Chr. Nach und nach entstand ein Wegnetz von Übergängen. Die Schweiz wird zum «Land der Pässe», wie der Titel dieses Buches lautet. 2187 Übergänge tragen hierzulande einen Namen, die Hälfte davon in den Kantonen Graubünden und im Wallis. Manche sind in Vergessenheit geraten, andere werden schon seit Jahrtausenden begangen und befahren.
Funktion der Pässe verändert sich
Den Grossen St. Bernhard nutzten die Römer für die Expansion nach Gallien, die Kaiser liessen auch die Pässe Julier, Septimer und San-Bernardino ausbauen. Danach stockten Ausbau und Unterhalt der Passwege. Lokale Stämme nötigten Durchreisenden auf den Passrouten immer wieder mal einen Wegzoll ab. Schliesslich übernahm der Klerus über weite Strecken die Instandhaltung der Strecken, Hospize wurden errichtet für die Rast auf der Pilgerreise.
Im Mittelalter kam in Kontinentaleuropa der Handel in Fahrt. Stoffe werden von den italienischen Stadtstaaten über Pässe nach Norden spediert, Manufakturwaren gen Süden. Der Warenstrom folgt Routen in Graubünden und im Wallis. Der Simplonpass gewann im Wettlauf der Grossmächte rasch an Bedeutung. Danach erschlossen Dichter und Naturforscher andere Sichtweisen auf die Alpen.
Errungenschaften aus Naturwissenschaft und Technik führten zu einer Ausweitung der Mobilität – und dank Tunnelbauten zu kürzeren Wegen. Pässe bedeuten im durchgetakteten Verkehr Umwege, die viele bei einer Passfahrt vor den Bergkulissen gerne in Kauf nehmen. Pässe verlieren einen Teil ihrer ursprünglichen Funktion als Route für den Gütertransport. Die Fahrt über Pässe wird zum Freizeitvergnügen.
Grossformatige Bilder in Schwarzweiss und in Farbe zeigen Landschaften der 120 gut ausgebauten Alpenübergänge. Bei anderen Pässen, die über Fusswege be-nachbarte Täler verbinden, lässt sich die Bedeutung für eine Region heute nur noch erahnen. Im Buch «Land der Pässe» beleuchten mehrere Autoren unterschiedlichste Facetten der Schweizer Alpenpässe. Der Fokus liegt auf den mit Strassen erschlossenen Alpenpässen. Ausführlich besprochen wird der Gotthard, der für den Gütertransport bis ins 16. Jahrhundert aber noch keine Rolle spielte. Es brauchte umfassendes bautechnisches Wissen und Pionierleistungen mehrerer Epochen, um über die Zentralalpen Nord- mit Südeuropa zu verbinden.
Buchtipp: Land der Pässe
Hrsg. von Richard v. Tscharner, Sion: Fondation Carène, 2023. Gebunden. 264 S.; Abb.: 50 farbige u. 74 s/w; 30 × 30 cm. Orell Füssli: 70 Franken. ISBN 978-3-03942-156-5