Ausstellungstipp: Architektur und die Uhrenindustrie in La Chaux de Fonds
Es erzählt von einem bedeutenden Stück Schweizer Industriegeschichte – und macht sich nun selbst zum Thema: das Internationale Uhrenmuseum in La Chaux-de-Fonds – das Musée international d’horlogerie – schenkt sich zum 50-Jahr- Jubiläum seines brutalistischen Baus eine Ausstellung zu seiner Architektur.
Quelle: Bastien Bösiger
Das Museum von Aussen, aus der Vogelperspektive gesehen.
Nachdem die Uhrmacherkunst in Le Locle zu Beginn des 18. Jahrhunderts blühte, etablierte sie sich auch zunehmend im nahegelegenen La Chaux-de-Fonds. Rund 180 Jahre später sollte Karl Marx in seinem Werk «Das Kapital» konstatieren, La Chaux-de-Fonds könne man als eine einzige Uhrenmanufaktur betrachten. Mit seiner Bemerkung kam er der Realität in vielerlei Hinsicht recht nahe: Als er sein Manifest niederschrieb, hatte die Uhrenindustrie der Stadt im Neuenburger Jura längst den Stempel aufgedrückt.
Strassensystem von Charles-Henri Junod
Im Mai 1794 war in La Chaux-de-Fonds – damals noch ein Dorf – eine katastrophale Feuerbrunst ausgebrochen, die zwei Drittel der Häuser in Schutt und Asche gelegt hatte. In der Folge wurde der Ort wieder aufgebaut, sozusagen von Uhrmachern für Uhrmacher. Perfektioniert wurde die Stadtplanung schliesslich vom Ingenieur Charles-Henri Junod (1795-1843 ): Er sorgte mit einem grosszügigen, axialen Strassensystem dafür, dass sich die Stadt in rechtwinkligen, geordneten Bahnen weiterentwickelte. Zudem wurden Haushöhen festgeschrieben, damit Manufakturen möglichst lange vom Tageslicht profitieren konnten, was den Bedürfnissen der Uhrenindustrie Rechnung trug. Gleichzeitig war die Stadt so angelegt, dass beim Ausbruch eines Feuers schnell reagiert werden konnte. – Weitere sogenannte Planstädte sind in der Schweiz Le Locle, Heiden, Seewis und Glarus – den Ausschlag zu ihrer besonderen Anlage hatte wie im Fall von La Chaux-de-Fonds jeweils eine Brandkatastrophe gegeben.
Quelle: Charles-Henri Junod - Inventar der neueren Schweizer Architektur, 1850-1920. Bd. 3, S. 143. GSK: Bern 1982, Public Domain
Baulinienplan für La Chaux-de-Fonds von 1841 von Charles-Henri Junod.
Auch später sollte die Stadt beweisen, dass sie auf der Höhe der Zeit ist. Unter anderem mit dem Uhrenmuseum aus der Feder von Georges J. Haefeli (1934-2010) und Pierre Zoelly (1923–2003): Die beiden Architekten entwarfen das Gebäude des Internationalen Uhrenmuseum oder des Musée International de la Horlogerie, das dieses Jahr sein 50jähriges Jubiläum feiert. Jedoch ist das Museum mit seiner spektakulären Uhrenkollektion selbst weitaus älter; es geht auf eine Initiative des Uhrenunternehmers Maurice Picard zurück und öffnete seine Pforten 1902.
Kostbarer Schatz im Untergrund
Viel ist
allerdings von Haefelis und Zoellys brutalistischer Architekturperle,
für welche die Architekten auf die Zusammenarbeit mit Bauingenieur
Perre Beurret setzten, von aussen nicht zu sehen. Denn wer unter dem
grün bewachsenen, massiven Betonbaldachin hindurch geht und das Museum
betritt, steigt hinunter. Die Ausstellungsräume sind unterirdisch
angelegt, entfernt erinnert der weitläufige Ausstellungsbereich mit den
teils kugelförmigen Ausstellungvitrinen an eine grosse Schatzhöhle. Oder
an einen «Schrein» aus rauem Beton, Stahl und Ziegeln - passend zum
Titel der aktuellen Ausstellung «Ein monumentaler Schrein», die am
Wochenende startet und der Architektur gewidmet ist.
Quelle: Victor Savanyu, 2023, Musée international d’horlogerie
Eingang zum Internationalen Uhrenmuseum in La Chaux-de-Fonds. Von aussen ist nicht viel sichtbar, da es sich mehrheitlich unter dem Boden befindet.
Dass sich die Architekten entschlossen hatten, das Museum unter dem Boden zu bauen, liegt übrigens unter anderem daran, dass sie den umgebenden Park und die anderen beiden Museen in der Nähe nicht stören wollten. «Ausserdem ergab das rauhe Jura-Klima eine unerwünschte Belastung der gewünschten, konstanten Luftkonditionen», berichtete die Fachzeitschrift Werk in der Ausgabe 2 des Jahres 1975.
Mit der Ausstellung macht das Museum auch was seine Einrichtung anbelangt sich selbst zum Thema: Die Arbeitsgemeinschaft des Team BTG, Pierre Bataillard, Serge Tcherdyne und Mario Gallopini, konzipierte Displays und Vitrinen. «Besonderes Augenmerk lag auf der Durchlässigkeit und der Leichtigkeit der Präsentationselemente, die einen Kontrast zur massiven Struktur des Gebäudes bilden und sich zugleich an dies anlehnen sollten», schreibt das Museum in seiner Medienmitteilung zur Ausstellung. Dass ihnen dies gelungen sein dürfte, zeigt auch die Tatsache, dass es für die Ausstellungstätte bei der Eröffnung einiges Lob gab. Später wurde es 1977 mit dem ersten Prix Béton ausgezeichnet, im Folgejahr erhielt der Bau den Prix Cembureau und wurde zum Europäischen Museum des Jahres gekürt.
Die Quarzkrise und Swatch
Quelle: Jess Hoffmann, 2018, Musée international d’horlogerie
Entfernt erinnert das Innere an eine Höhle.
Als die Bagger 1972 für den Bau des Museums auffuhren, befand sich die Uhrenindustrie in einem tiefgreifenden Wandel. Ursache war die Quarzkrise: Ausgelöst hatte sie die zunehmend erschwinglich werdende Quarztechnologie, im Zuge derer die herkömmlichen mechanischen Uhren von neuartigen elektronischen Quarzuhren abgelöst worden sind. Dies wiederum setzte der Uhrenindustrie Europas und Amerikas bis in die 1980er-Jahre hinein heftig zu, zahlreiche Hersteller gingen Konkurs. Kreativität war nötig, um dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Einer davon war Nicolas Hayek, der mit der Gründung von Swatch günstige Uhren zu begehrten Accessoires machte – bis heute werden die bunten Zeitmesser von manchen begeistert gesammelt.
Solche Geschichten von Pionier-
und Erfindergeist lassen sich auch an den Exponaten des Museums ablesen.
Ebenso in den Stücken, die in der alljährlichen Ausstellung zu
Neuerwerbungen des Museums – sie startet auch am Wochenende –
präsentiert werden. Das gilt zum Beispiel für die Square aus der Hand
des Designers Maurice Huber für die Marke Ventura. Oder aber für die
Kollektion von 180 Uhren mit Preziosen schweizerischer und europäischer
Uhrmacherkunst aus dem 18. bis 20. Jahrhundert, die Maurice Streit
(1939-2023) über die Maurice Favre Stiftung dem Museum überlassen hat.
Lesetipp: Demnächst erscheint ein weiterer Band der Reihe Schweizerische Kunstführer der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte mit dem Titel "Das Museée international d'horlogerie in La Chaux-de-Fonds" von Nadja Maillard. 56, Seiten, Deutsch, ISBN 978-3-03797-885-6, Preis 19 Franken 90
Ausstellungen:
MIH. 50 Jahre ein monumentaler Schrein, 23. März bis 10. November
Neuerwerbungen, ab 23.März
Weitere Informationen auf www.chaux-de-fonds.ch/de/musees/mih/mih-musee
Quelle: Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds
Kugelförmige Vitrine vor einer Zeichnung von Pierre Zoelly.
Quelle: Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds
Das Museum im Bau um 1973.