Ausstellungstipp: Maurerlehrlinge und ein falscher Leuchtturm
Ob nun Maurerlehrlinge verlassene Räume zu Kunstobjekten umgestalten oder ein Leuchtturm über den Bodensee irrlichtert. – Ein Dutzend Architekten zeigen in der Ausstellung «Artistes – Architectes», wie Kunst und Architektur ineinander greifen können.
Manche Architekten sehen sich als Künstler, andere als Fachleute, die zum Betreten gemachte Gebrauchsgegenstände schaffen, die den Menschen den Aufenthalt darin so angenehm wie möglich machen. Die Fondation Fernet Branca in Saint-Louis (F), nur einen Steinwurf von der Grenze zu Basel entfernt, hat sich nun diesem Zwischenraum angenähert.
Kein Magenbitter für die Besucher
Die Stiftung hat ihr Haus, das sich aus seinen Zeiten als Distillerie
des Magenbitters Fernet Branca sowohl seinen Industriecharme als auch einen
(leider nicht öffentlich zugänglichen) Keller voller gigantischer Eichenfässer
zum Reifen des verdauungsfördernden Getränks bewahrt hat, der Ausstellung
«Artistes – Architectes» geöffnet. Diese zeigt ein Dutzend Architekten und
Architekturbüros, die in ihrem Schaffen auch künstlerisch tätig sind oder ihre
Projekte zusammen mit Künstlern erschaffen. Objekte zwischen Skulptur und
Architektur sind zu sehen, dazu Projekte, die eine gebaute Umgebung für Kunst
schaffen.
Quelle: zVg Fondation Fernet Branca
Jugendliche gestalten Räume in ehemaligem Opel-Werk
Georges Rousse zum Beispiel setzt mit Vorliebe Strukturen in verlassene Gebäude, die das Vorhandene verblüffend verfremdet. So hat er einige leerstehende Räume im Rüsselsheimer Opel-Werk mit Jugendlichen umgestaltet, die eine Ausbildung im Bauwesen machten. Sie erschufen beispielsweise diese kreisrunde Form, die sich in den Raum einfügt und ihm eine neue Dimension überstülpt.
In einer ehemaligen Kolonie für schwererziehbare Jugendliche hat er
mit Maurerlehrlingen Öffnungen in die Wände geschnitten und Elemente in den
Raum gebaut, die einen schwebenden Effekt erzeugen. So gibt er verlassenen
Gebäuden durch zeitgenössische Umgestaltung einen neuen Inhalt. Konstruktion und Dekonstruktion des
Vorhandenen gehören zu Rousses bevorzugten Themen.
Quelle: zVg Fondation Fernet Branca
Ein Strudel aus Holz?
Mit besonderen Treppen beschäftigen sich Stéphanie Mehl und Hervé Ellena. Die im Hintergrund abgebildete Holztreppe erschliesst das fünfte Stückwerk des Pariser Ministeriums für Landwirtschaft. Es war vorher nicht durch die pompöse Ehrentreppe, sondern nur über die im 19. Jahrhundert übliche bescheidene Dienstbotentreppe erschlossen. Die neue Treppe wurde gänzlich aus Holz gefertigt und besteht aus sich kreuzenden Wangen, die übereinander liegen und ineinander greifen. Diese von unten fast wie ein Strudel aus Holz wirkende Konstruktion trägt den Treppenlauf.
Quelle: Katja Bode
Leuchtturm irrlichtert über den Bodensee
Der Basler Florian Graf balanciert seine Werke feinsäuberlich auf der Kippe zwischen Architektur und Kunst. Er beschäftigt sich mit der emotionalen Wirkung von Räumen oder Gebäuden auf ihre Nutzer und dem Wohnen in einer mobilen Gesellschaft und zeigt dabei verschmitzt Sinn für Humor. Sein «Ghost Light Light House» stellt eigentlich einen Leuchtturm dar und wäre somit dafür gedacht, Schiffen Orientierung zu bieten. Nur treibt dieser spezielle Leuchtturm irrlichternd über den Bodensee.
Quelle: Julia Martin
Für «Watch Out» verwandelte Graf eine Baustelle in Edinburgh temporär in einen öffentlichen Garten, den er mit einem «Aussichtsturm» versah. Dessen Dimensionen von 1 Meter x 1 Meter x 3,8 Meter sind nichts für Leute mit Platzangst – er diente dennoch als Ort für diverse Performances.
Die Ausstellung läuft noch bis 22. Mai 2022.
Weitere Infos unter: fondationfernet-branca.org