Archäologische Streifzüge: Schichten erzählen Geschichten
Sediment- und Siedlungsschichten bilden die Chronologie ab. Fundstücke aus den Schichten erlauben Rückschlüsse auf die Lebensweise der Menschen älterer Epochen. Der Kanton Bern ist reich an historischen und prähistorischen Artefakten. Ein Buch präsentiert 23 Wanderungen zu Fundorten, die zu vielen neuen Erkenntnissen führten und die Vergangenheit in neuem Licht erscheinen lassen.
Quelle: Archäologischer Dienst Bern - Delphine Schiess
Das Schnidejoch wurde bereits in der Frühsteinzeit als Passübergang genutzt für den Tauschhandel zwischen Simmen- und Rhonetal. Diesen Schluss lassen Artefakte zu, auf die eine Wanderin 2003 stiess und vom Archäologischen Dienst des Kantons Bern analysiert wurden. Blick vom Joch in Richtung Norden.
Es war im Hitzesommer 2003, als der Chilchligletscher verschiedene Gegenstände freigab. Eine ausmerksame Wanderin entdeckte auf der Berner Seite des Passübergangs Schnidejoch eines der Objekte. Mit ihrer Mutmassung, dass es sich von Menschenhand gestaltete Objekte handeln dürfte, lag sie richtig und meldete den Fund dem Archäologischen Dienst des Kantons Bern.
Dieser erkannte sofort die Einzigartigkeit der frühgeschichtlichen Artefakte. Im Gletschereis konserviert wurde auch eine Hose aus Ziegelleder. Bei einem der Fundstücke handelte sich um ein jungsteinzeitliches Bogenfutteral aus Birkenrinde. Eine Schüssel aus Ulmenholz, der älteste Gegenstand am Fundort, datierten die Spezialisten auf eine Zeit um 4300 v. Chr. Archäologinnen und Archäologen konnten hunderte Objekte verschiedener Epochen sicherstellen, neben jungstein-, bronze- auch römerzeitliche Funde.
Für die Archäologie war es einer der bedeutendsten Funde im Alpenbogen. Die Erkenntnisse über die Lebensweise sind vergleichbar mit der Bergung von Ötzi. Der Mann aus dem Eis der Ötztaler Alpen lebte 5300 v. Chr. Über lange Zeit nutzen die Menschen nördlich und südlich der Alpen den Passübergang beim Schnidejoch, um zwischen dem Simmental und dem Wallis wohl auch Tauschhandel zu betreiben. Im Gebiet fand sich auch eine Spanschachtel, die der Aufbewahrung von Wertgegenständen diente.
Auf jeden Fall war es in der Frühzeit ein beschwerlicher Weg über den Pass auf 2755 Metern, verbunden mit vielen Gefahren. Das Wetter kann schnell umschlagen. Schutz bot dann die Tierberghöhle, eine jungsteinzeitliche Fundstelle, an der die hochalpine Tour vorbeiführt. Die spektakuläre Route mit landschaftlichen und frühgeschichtlichen Höhepunkten ist im Buch «Ausflug in die Vergangenheit – Archäologische Streifzüge durch den Kanton Bern» beschrieben.
Ältestes Brot Europas
Wer die Wandersaison gemächlicher angehen und staunen will über vergangene Epochen, kann dies auch im Rahmen von leichteren Touren tun, etwa entlang dem Südufer des Bielersees. Dort setzte die Uferbesiedelung ab 3840 v. Chr. ein. Auch das Nordufer bietet Anlass, in historisch bedeutsamer Umgebung wandernd neue Erkenntnisse zu gewinnen. In Twann beispielsweise stiessen Archäologinnen auf das älteste Brot Europas.
Die neue Art der Ernährung war das Resultat der sogenannten neolithischen Revolution, die verbunden war mit grundlegenden Veränderungen der Wirtschafts- und Lebensweise. Jäger und Sammler wurden nach und nach sesshaft, einhergehend mit der Etablierung des Getreideanbaus und der Tierzucht (um 5400 V. Chr.). Eine weitere lehrreiche Route führt vom Bahnhof Gampelen über Jolimont nach Erlach und weiter auf die St. Petersinsel.
Quelle: Archäologischer Dienst Bern - Kathrin Glauser
Rund um den Bielersee finden sich viele Siedlungsspuren früherer Epochen. Im Fundament für den Campus Biel wurden ebenfalls archäologische Untersuchungen durchgeführt. Neben Feinstarbeit kommen auch Bagger zum Einsatz. Motto: So fein wie nötig, so grob wie möglich.
Mit Bagger und Pinsel freilegen
Über die Archäologie gewährt das Buch einen speziellen Zugang auf die von Menschen über Jahrtausende mitgestaltete Umgebung: Räume erkunden auf Basis wissenschaftlicher Forschung. Denn archäologische Überreste ermöglichen andere Einblicke in Zeitabschnitte und auf Lebensbedingungen der Altvorderen als Urkunden und Bildzeugnisse, die Historikerinnen und Historiker erforschen. In schriftlichen historischen Zeugnissen wird oft das Wirken der Mächtigen glorifiziert.
Schriftliche Überlieferungen oder Wissen waren schon früh Instrumente der Macht. Dagegen bieten archäologische Quellen Anschauungsmaterial für die vielfältigen existenziellen Aspekte der Geschichte. Erkenntnisse und Spielraum für Interpretationen über die verschiedenen Lebensbereiche vergangener Epochen liefern sogenannte Stratigrafien. Archäologen legen dabei Schicht für Schicht der Siedlungs- und Nutzungsgeschichte frei. Kapitel für Kapitel erzählen Schichten Geschichten. Manchmal kommen dabei auch Bagger zum Einsatz. Als Motto bei Ausgrabungen gilt: «So fein wie nötig, so grob wie möglich.»
Kulturgüter aus 15000 Jahren
Die Artefakte lassen weitreichende Rückschlüsse zu über die Fertigung handwerklicher Erzeugnisse über den Bau von Häusern oder über die Ernährung. Im Verlaufe der Geschichte entwickelten sich Städte nicht an Orten, wo die Bedingungen dafür eigentlich ideal gewesen wären. Verkehrsknotenpunkte gewannen nach und nach an Bedeutung, wie jener bei der römischen Siedlung Petinesca in der Nähe von Studen, dem Ausgangspunkt einer leichten Wanderung. Oder die Topografie bot Dörfern Schutz, was die Besiedlung förderte. Auch meteorologische Bedingungen wie Gletschervorstösse und -schmelze formten die Landschaft des zweitgrössten Kantons der Schweiz.
Quelle: Archäologischer Dienst Bern - Eliane Schwarz
Neues entdecken lässt sich auch im vermeintlich bekannten städtischen Umfeld. Bei der Gründung der Stadt Bern wurde für den Vertreter des zähringischen Stadtherrn die Burg Nydegg errichtet. Rekonstruktion mit Blick nach Nordwesten.
Weil die Berner Aarehalbinsel laut geologischen Untersuchungen erstaunlicherweise erst einige tausend Jahre alt ist, setzte die Besiedelung der Bundesstadt spät ein. Doch erlebte die vormoderne Stadt im letzten Jahrtausend eine Reihe von Wachstumsphasen, die im Buch eindrücklich illustriert werden.
Durchzogen von grossen Flüssen, Seen und fruchtbaren Flächen bot die Landschaft im Gebiet des heutigen Kantons Bern schon früh in der Zeitgeschichte ideale Bedingungen für die Besiedelung und die zentrale Lage gute Voraussetzungen für den kulturellen Austausch. Im Kanton Bern lassen sich Kulturgüter aus rund 15000 Jahren nachweisen, von Siedlungsspuren über Befestigungsanlagen bis zu Bestattungsplätzen und Sakralbauten.
Routenplaner in die Vergangenheit
Im sorgfältig editierten Buch versammelt sind insgesamt 23 Wanderrouten zu historischen Stätten, die mit umfangreichem Bildmaterial illustriert sind. In Ausschnitten von Wanderkarten sind die jeweiligen Routen grob situiert. Vermerkt sind Etappenlänge, Schwierigkeitsgrad und Zeitbedarf, was die Organisation von Touren erleichtert. Manche Wanderungen erfordern eine gute Kondition wie jene zum Schnidejoch. Doch es ist auch möglich, nur einen Teil der vorgeschlagenen Strecke zu erwandern.
Bilder zeigen die heutige Situation bei Fundorten, während Rekonstruktionszeichnungen anhand von Grabungsmaterial und geologischen Forschungen zeigen, in welcher Form die Entwicklung der Städte ursprünglich ihren Anfang nahm. QR-Codes erschliessen zusätzlich wichtige Details. Der umfangreiche Anhang samt Glossar erklärt Ereignisse und Fundstellen der Epochen und verweist auf Museen, wo sich die kulturgeschichtlich wertvollen Fundstücke in Augenschein nehmen lassen.
Buchtipp
Ausflug in die Vergangenheit; Archäologische Streifzüge durch den Kanton Bern; Adriano Boschetti (Hrsg.); Armand Baeriswyl (Hrsg.); Verlag: Librum Publishers; 224 Seiten; Paperback; Deutsch; ISBN: 978-3-906897-74-5; 1. Auflage, 2023; 35,00 CHF; orellfuessli.ch