Lernende bauen selbständig Gebäude in Rheinfelden
Ein Entsorgungsunternehmen lässt ein neues Betriebsgebäude bauen. Den dreistöckigen Bau in Rheinfelden ziehen aber nicht routinierte Bauprofis hoch, sondern fast ausschliesslich Lehrlinge. Das Projekt, an dem sieben Unternehmen beteiligt sind, dürfte in dieser Form einzigartig sein.
Quelle: Eva Flury
Jugendliches Teamwork: Auf einer Hochbaustelle in Rheinfelden führen die Lehrlinge von sieben Unternehmen das Zepter – und lernen dabei viel.
Von Lucas Huber
Entsorgungsunternehmen sind weniger dafür bekannt, Massstäbe am Bau zu setzen. Pragmatische Zweckbauten sind schon eher ihr Ding: funktionell, genügsam im Unterhalt und überschaubar punkto Kosten. Um Massstäbe geht es Marc Waser auch nicht, keine baulichen zumindest. Der Inhaber des besagten Unternehmens, der Waser AG mit Sitz in Birsfelden, hat die Menschen im Blick, die so ein Gebäude errichten. Und das sind in seinem Fall Lehrlinge. Ausnahmslos. Beinahe jedenfalls.
Denn auf seiner Baustelle im Industriegebiet von Rheinfelden, mit der deutschen Grenze in Steinwurfweite, mauern, zimmern, bohren und schrauben nicht verdiente Altmeister, sondern Lehrlinge. Es sind angehende Heizungsplaner, Sanitärinstallateure, Maurer, Zimmermänner und Gebäudetechniker, die das dreistöckige Gebäude erstellen. Fragt man Bauherr Waser danach, spricht er von einer Herzensangelegenheit.
Waser ist ein Chef auf Augenhöhe. Lehrlinge, behauptet er von sich selbst, hätten einen ganz besonderen Stellenwert bei ihm. Sein Unternehmen bildet selbst welche aus, derzeit sind es drei Strassentransportfachmänner. Darum hatte er schon einige Zeit mit Grübeln verbracht. Daran nämlich, wie er seine Lehrlinge noch mehr fördern könnte. Der Geistesblitz, erzählt er, als er Anfang November über seine Baustelle führt, habe ihn beim Mittagessen mit einem Geschäftspartner getroffen. Manchmal geht eben auch die Inspiration durch den Magen.
Quelle: Eva Flury
Auf diesem Fundament lässt sich aufbauen: Die Lehrlinge erstellen in Rheinfelden das neue dreistöckige Betriebsgebäude des Entsorgungsunternehmens Waser AG.
Zeit in Lehrlinge investieren
Waser, der das Familienunternehmen seit 20 Jahren führt, plante den Bau eines Betriebsgebäudes in seiner Niederlassung in Rheinfelden. «Wäre das etwas für deine Lehrlinge?», habe er sein Gegenüber, einen Bauunternehmer, am Mittagstisch also spontan gefragt – und damit ein Projekt losgetreten, das in dieser Art einmalig sein dürfte.
Man weiss von Projekten bei den SBB, bei denen Lehrlinge ganze Bahnhofsschalter in Eigenregie führen, oder bei der Migros, die einzelne Filialen zeitweise in Lehrlingshand übergab. Aber ein Gebäude, vom Fundament bis zur Seifenhalterung? Bauherr Waser lächelt: «Klar!» Hier muss vielleicht gesagt werden, dass die insgesamt 20 bis 25 Lehrlinge, die das Gebäude errichten, nicht gänzlich auf sich allein gestellt sind. Natürlich werden sie von Meistern begleitet, und der Polier steht rund um die Uhr zur Verfügung.
Aber die Lehrlinge, das ist die Idee, gehen mutig vorneweg, sie wagen, entscheiden und – das steht im Zentrum des gesamten Projekts – lernen. Und zwar in einer Intensität, wie es im gewöhnlichen Lehrlingsalltag kaum möglich wäre. «Meistens ist der Zeitdruck enorm hoch und die Zeit für die Ausbildung der Lernenden knapp», sagt Marc Waser, «darum haben wir uns entschieden, dass sie dieses Objekt erstellen.». Es ist seine Art, der Zeit- und Ressourcenknappheit, der die Berufsbildung ausgesetzt ist, entgegenzutreten.
Quelle: Eva Flury
Sind begeistert davon, wie das Lehrlingsprojekt als Lernplattform angelaufen ist (von links): Remo Rickenbacher, Betriebsleiter Maurerei bei der Stamm Bau AG, Andreas Werner, Lehrlingsausbilder bei der Rosenmund AG und Marc Waser, Projektinitiant und Geschäftsführer der Bauherrin Waser AG.
Den Jungen etwas zutrauen
Dass er dabei auf das Vertrauen und den Goodwill seiner Partner angewiesen ist, war für ihn kein Hindernis, das Projekt entschlossen anzugehen. Und tatsächlich: Sieben Unternehmen sind am Bau beteiligt, und alle sieben sprangen ohne zu zögern auf den Lehrlingszug auf, vom Spengler bis zum Elektriker und von der Zimmerei bis zum Lüftungsanlagenbauer.
Es sei überhaupt keine Frage gewesen, sich auf das Experiment mit dem Lehrlingsbau einzulassen, erzählt Andreas Werner, Lehrlingsausbilder bei der Rosenmund AG. Sie ist für den Einbau der Heizungen und Sanitärinstallationen verantwortlich. «Wir lassen unseren Jungs viele Freiheiten.» Was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Lehrlinge auf der Baustelle auch mal auf sich gestellt sind, Ansprechpersonen aber jederzeit bereitstünden.
Werners Kollege Mehmed Karali ergänzt, dass die besondere Konstellation einiges an Mehraufwand bedeute, man das aber gern in Kauf nehme. «Der Planungsaufwand ist gegenüber vergleichbaren Projekten etwa doppelt so gross. Doch sonst gibt es wenig praxisbezogene Projekte. Hier profitieren unsere Lehrlinge sehr.» So werde das Projekt zur Bereicherung für alle Beteiligten, schliesst er.
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Die Lehrlinge dürfen hier Fehler machen und diese auch wieder selbst beheben.
Marc Waser, Geschäftsführer Waser AG
Marc Waser, Geschäftsführer Waser AG
Bereichernde Erfahrungen
Das sieht auch Marc Waser so: Das Betriebsgebäude in Rheinfelden soll als Vorzeigemodell für alle künftigen Bauten seiner Firma dienen. Das gilt einerseits für die Bautätigkeiten und die Beschäftigung von Lehrlingen. Und andererseits für das Wohlbefinden seiner Mitarbeiter, auf das er grossen Wert legt. Denn das Gebäude mit den Aufenthaltsräumen, Duschen und dem Gartensitzplatz baut er für sie, «damit sie sich wohlfühlen und am Feierabend frisch geduscht zu ihren Familien heimkehren können.»
Remo Rickenbachers Arbeitgeber ist Wasers wahrscheinlich wichtigster Partner: Die Stamm Bau AG mit Sitz in Arlesheim. Ihre Lehrlinge mauern, zimmern und machen den Innenausbau. Rickenbacher, Betriebsleiter Maurerei, ist begeistert von der Idee des Lehrlingsprojekts und der Lernplattform, die die Baustelle seinen Schützlingen bietet. Auf dem Bau bliebe immer weniger Zeit; «dabei einen Lehrling einzusetzen und sich die Zeit für ihn zu nehmen wird immer schwieriger.» Hinzu komme beispielsweise der Koordinationsaufwand mit den Berufsschultagen.
Doch nun liegt da dieses Fundament und stehen die Grundmauern, die dereinst den Keller bilden werden, errichtet von Rickenbachers vier Maurerlehrlingen. Die freuen sich über das Vertrauen, die Zeit, die man ihnen zugesteht – und sind ziemlich stolz, wenn sie erzählen, dass sie hier für einmal nicht nur «mitarbeiten», sondern selber bauen, an der Front und viel mehr als gewöhnlich in der Verantwortung stehen. Allerdings gäbe es auch viel mehr selber mitzudenken, da der Polier nicht jeden Handgriff vormache, so Maurerlehrling Andreas Bertsch.
Quelle: Eva Flury
Die gute Idee nach aussen sichtbar machen: Der Projektslogan prangt auf bunt bebilderten Blachen an der Baustellenumzäunung.
Fehler sind Teil des Lernens
Das führt unweigerlich zu Fehlern, und das ist gut so. Die nimmt Bauherr Waser nämlich ganz bewusst in Kauf: «Die Lehrlinge dürfen Fehler machen und diese auch wieder beheben.» Das ist schon vorgekommen, und es wird auch wieder geschehen. Seine Motivation, junge Berufsleute mit einem derartigen Projekt zu fördern, ist für ihn so selbstverständlich, dass er seinem Projekt sogar einen Namen gab.
Darum prangt der Slogan «Hier bauen Lehrlinge» auf bunt bebilderten Blachen, die an der Baustellenumzäunung hängen. Dort werden sie bis mindestens kommenden Frühling bleiben, für dann ist die Fertigstellung des Gebäudes vorgesehen. In zwei weiteren Bauetappen werden danach die angrenzende Sortierhalle umgebaut, ein Schrottplatz und ein Altholzrecyclingwerk eingerichtet sowie eine Photovoltaikanlage installiert.
Während das Recyclingwerk jährlich 10000 Tonnen Altholz für ein Holzkraftwerk aufbereiten wird, sollen die Solarpanels dereinst den Strom für die Schrottschere und die Sortieranlagen liefern. Dannzumal werden auch beim Rheinfelder Ableger der Waser AG Lehrlinge ausgebildet: Marc Wasers erste Recyclisten EFZ.
Ausschliesslich Recycling-Beton
Dass sich ein Recycling-Unternehmer wie Marc Waser nicht nur um die Zukunft angehender Berufsleute sorgt, sondern auch der Nachhaltigkeit grosse Bedeutung beimisst, ist naheliegend. Und weil sein Hauptsitz in Birsfelden bei Basel direkt neben einem Werk der Holcim Kies und Beton AG liegt, hat er auch einen direkten Draht zum Lieferanten des Betons, der im Neubau in Rheinfelden verbaut wird.
«Wir verarbeiten einen Teil von Wasers Bauschutt zu Recycling-Beton und -Kies», erzählt Yves Abegg, Verkaufsleiter bei der Holcim AG. «Da liegt es doch auf der Hand, dass sie diese Materialien nutzen.» Er betont, dass die Nordwestschweiz bezüglich Recycling von Baustoffen grossen Nachholbedarf habe, schliesslich würden die Deponien aus allen Nähten platzen. Und die Kiesvorkommen werden auch nicht grösser. Leider lande der Grossteil des aufbereiteten Betons im Tiefbau, was einem eigentlichen Downcycling entspreche. «Aber wir wollen den Beton recyceln, um ihn im Kreislauf zu halten», so Abegg.(lh)
Swissbau-Dossier (Schwerpunkt: Gebäudehülle)
Die Swissbau vom 14. bis 18. Januar 2020 steht unter dem Motto «Trial and Error – Mut für Neues?». Im Vorfeld zur führenden Fachmesse der Schweizer Bau- und Immobilienwirtschaft thematisieren wir in einer Beitragsreihe deren Schwerpunkte.Alle bisher erschienen Beiträge gibt es unter: baublatt.ch/swissbau2020