Kolumne zum Donnerstag: Die Immobilie immer mit der Mobilie denken
In der Kolumne zum Donnerstag schreiben Exponenten der Branche über das, was sie bewegt. Heute ist es Thomas Müller, Kommunikationsberater des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA).
Ende vergangenen Jahres bin ich auf ein Zitat des letzten Kaisers Deutschlands, Wilhelm II., gestossen. Und zwar soll der von 1888 bis 1918 amtierende Monarch einmal zur Zukunft des Verkehrs gesagt haben: «Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.» Mein erster Reflex: ein amüsiertes Schmunzeln. Ein Schmunzeln darüber, wie fundamental falsch Wilhelm II. die mit seinem Amtsantritt zusammengefallene Geburtsstunde des Automobils mit Verbrennungsmotor und dessen Erfolgschancen einschätzte. Doch bei etwas längerem Nachdenken wurde mir klar, dass Wilhelm II. mit seiner Einschätzung alles andere als daneben lag. Vielmehr hat er im übertragenen Sinne schon damals eine Entwicklung vorausgesehen, wie sie gegenwärtig vonstatten geht. Versuchen wir doch heute nichts anderes, als unseren Autos vieles von dem beizubringen, was Pferde seit Jahrmillionen können.
Sie funktionieren absolut schadstofffrei. Sie haben völlig autonom alles im Blick oder im Ohr, was vor, neben und hinter ihnen passiert. Auf diese Weise Schreiten, Traben und Galoppieren sie dicht hinter- oder nebeneinander, ohne zu kollidieren oder wenn, dann dank angepasster Geschwindigkeit nur so, dass sie dabei kein Schaden nehmen. Steuern lassen sie sich per Zügel und Kommandos ihrer Reiterinnen oder Reiter. Und falls letztere im Sattel eingeschlafen sind, finden sie auch selbständig nach Hause.
Einverstanden, Pferde sind mit einem PS nicht ganz so stark und schnell wie unsere Autos. Aber ansonsten bringen sie, wie bereits erwähnt, in vielerlei Hinsicht genau das mit, was die Autoentwickler der Gegenwart gerade im Eiltempo versuchen, ihren Strassengefährten beizubringen. Noch einen Schritt weiter geht die chinesische Firma Ehang. Sie hat im letzten Jahr eine elektrisch und autonom fliegende Drohne zur Personenbeförderung vorgestellt. Je weiter die Entwicklung der fahrenden und fliegenden Fortbewegungsmittel vorankommt, umso mehr ändern sich auch die Ansprüche an die dafür nötige Infrastruktur – und ändert sich allem voran der Umgang mit der Strasse.
Und weil letztere, mit heute 30 Prozent Anteil an der Schweizer Siedlungsfläche, unsere Landschaften, Dörfer und Städte wie kaum ein anderes Element prägt, werden die Implikationen des sich verändernden Verkehrs auf unseren Lebensraum erheblich sein. «Es ist deshalb allerhöchste Zeit», wie es Werner Sobek, der renommierte und weltweit tätige Bauingenieur und Architekt aus Stuttgart an der Jurierung zur SIA-Auszeichnung «Umsicht-Regards-Sguardi 2017» formulierte, «dass wir endlich beginnen, die Immobilie konsequent mit der Mobilie zu denken.»