Kolumne von Urs Rieder: «Ein Blick in die Zukunft»
In der Kolumne berichten Exponenten der Branche über das, was sie bewegt. Urs Rieder, Präsident des SIA-Fachrates Energie, beschäftigt sich mit der Zukunft und macht einige Voraussagen, wie in zwanzig Jahren wohl gebaut wird.
Quelle: SIA
Urs Rieder ist Präsident des SIA-Fachrates Energie.
Durch meine Rolle als SIA-Co-Präsident werde ich immer mal wieder gefragt, wie wir in zwanzig Jahren wohl bauen werden. Nun, auch ich habe keine Kristallkugel zuhause, wage aber dennoch ein paar Voraussagen zu machen. Ich denke, es sind vor allem drei Dinge, welche sich in absehbarer Zeit beim Bauen in der Schweiz verändern werden. Diese Tendenzen sehen wir in Ansätzen schon heute, aber sie werden unsere Bauweise in den kommenden Jahren noch viel stärker prägen.
Zum einen müssen wir wieder schlanker bauen. Damit meine ich, immer mehr Fläche pro Person zu erstellen, kann auf die Dauer nicht funktionieren. Wir brauchen heute bei den Wohnungen die Hälfte an mehr Fläche pro Person als in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Wir sind zu verschwenderisch mit diesen Flächen umgegangen. Und viele werden kaum genutzt. Sowohl im Büro- als auch im Wohnungsbereich kennen wir intelligente Lösungen, wie wir den Raum effizienter nutzen und attraktiver gestalten können. Neben besseren Grundrissen gehört dazu auch eine höhere Flexibilität für allfällige künftige Anpassungen oder Umnutzungen.
Das zweite betrifft das Bauen im Bestand. Wir müssen häufiger weiterbauen, als neu bauen. In jüngerer Zeit wurde sehr viel abgerissen und in ähnlicher Weise neu wieder hochgezogen. Sicher, es wurde im Zuge der Hochkonjunktur auch vieles erstellt, das heute bereits wieder abgebrochen wird, weil es einfach nicht gut genug gemacht wurde, eine Ertüchtigung käme fast so teurer wie ein Ersatzneubau. Aber dennoch sollten wir, wenn immer möglich versuchen das bestehende weiterzuentwickeln.
Wir haben unseren Fokus auf die Wirtschaftlichkeit beim Bauen gelegt, nun werden wir der CO2- Bilanz beim Bauen – inklusive allen grauen Energien – grössere Beachtung schenken. Dieses Bewusstsein wird sich zusehends verbreiten und unsere Entscheide beeinflussen. Zudem sind unsere Freiflächen und die von allen geschätzte Natur begrenzt. Wir können schlicht nicht immer mehr zubauen. Der Traum vieler Schweizer auf einer grünen Wiese ihr Eigenheim zu erstellen, ist ein Auslaufmodell. Ich persönlich verstehe auch nicht, was so attraktiv sein soll, wenn man für jede Besorgung zuerst ins Auto steigen muss.
Der dritte Aspekt betrifft die Art und Weise wie wir bauen. Wir werden die Kreislaufwirtschaft beim Bauen viel stärker berücksichtigen. Wir werden das verwendete Material, seine Herkunft, wie es verarbeitet wird und auf die Baustelle gelangt, aber auch die Art und Weise wie wir die Teile zusammenfügen oder welche Konstruktion und Systeme zur Anwendung kommen stärker hinterfragen. Wenn wir weiterhin Plastikrohre in Beton eingiessen oder Zwischenräume mit Leim aufschäumen, können wir beim Rückbau diese Teile kaum mehr trennen, womit sie schlecht wiederverwertet und entsorgt werden müssen. Schliesslich verbraucht die Baubranche so viele Ressourcen und produziert so viel Abfall wie kein anderer Industriesektor.
Wenn mich mein Gegenüber dann etwas enttäuscht ansieht und meint, dann sei aber wenig schöne neue Architektur zu erwarten, muss ich vehement widersprechen. Ich sehe diese neuen Aufgaben im Baubereich als äusserst spannende Chancen. Und aktuelle Beispiele mit vorbildlichen Lösungen gibt es schon heute. Nur leider sind sie eher die Ausnahme und noch nicht die Regel. Ich freue mich auf das, was kommen wird. Gerade bei der Kreislaufwirtschaft sehe ich ein grosses Potenzial, denn hier stehen wir erst am Anfang. Wir werden weiter forschen und experimentieren, neues entwickeln und bestehende Prozesse hinterfragen. Damit rückt ein Aspekt bei der Arbeit der Planenden wieder stärker in den Vordergrund: Den Menschen einen nachhaltig gestalteten Lebensraum zu erstellen – ich kann mir kaum eine schönere Aufgabe vorstellen.