This-Priis 2023: «Unsere Firmenkultur hat sich positiv verändert»
Menschen mit einem gesundheitlichen Handicap fällt es oft schwer, nach krankheitsbedingter Arbeitspause wieder beruflich Fuss zu fassen. Mit dem «This-Priis» würdigt die Sozialversicherungsanstalt (SVA) Zürich Unternehmen, die diese Menschen wieder in die Arbeitswelt integrieren. Preisträger 2023 ist Andreas Schulthess, Inhaber der Bachofner Kanalreinigungen AG in Fehraltorf. Mit seinem Engagement hat er sechs Leben verändert.
Quelle: Vengas photography / René Seitz
Jurymitglied Alex Oberholzer (links) und Moderator Martin Schilt, IV-Stellenleiter der SVA Zürich, freuen sich mit Andreas Schulthess, Inhaber der Bachofner Kanalreinigungen AG, und seiner Ehefrau Jeannine Schulthess über die Auszeichnung mit dem Zürcher IV-Arbeitgeberpreis 2023.
Das Team der Bachofner Kanalreinigungen AG guckt im wahrsten Sinne des Wortes in die Röhre: Sei es ein verstopfter Küchen- oder Duschablauf, die Begutachtung von Rohrleitungen mittels Kanal-TV-Untersuchungen oder die Reinigung von Terrassenabläufen von Hausanschluss- und Kanalisationsleitungen – die Mitarbeiter entstopfen, reinigen, kontrollieren und prüfen Abläufe, Rohrleitungen und Schächte vom Haushalt bis zur Kläranlage. Dass sich unter den 24 Angestellten auch sechs Personen mit einem gesundheitlichen Handicap befinden, ist Kunden und Partnern erst nach der Auszeichnung mit dem «This-Priis» im April dieses Jahres bewusst geworden. «Das haben wir nie nach aussen getragen, für uns gehört es einfach dazu», erklärt Andreas Schulthess, Inhaber der Bachofner Kanalreinigungen AG, bescheiden.
Den «This-Priis» verleiht die SVA Zürich an Unternehmen aus dem Kanton Zürich, die sich für die berufliche Integration von Menschen mit gesundheitlichem Handicap engagieren. Jeweils fünf Unternehmen kommen in die Endrunde. Eine Jury entscheidet, wer mit dem Arbeitgeber-Award ausgezeichnet wird. Die Bachofner Kanalreinigungen AG konnte sich nicht nur über den Arbeitgeber-Award freuen, sondern auch über den erstmalig verliehenen Publikumspreis. Die rund 200 anwesenden Arbeitgebervertreterinnen und -vertreter hatten für die Firma aus Fehraltorf online abgestimmt. «Dass wir auch den Publikumspreis gewinnen, damit haben wir nie gerechnet, es war eine Riesensensation und ein emotionaler, wunderschöner Abend», erinnert sich Andreas Schulthess.
Vom IV-Arbeitsversuch zur Festanstellung
Alles beginnt 2017 mit einem Telefonanruf. Ein Mitarbeiter des Integrationsprogramms Startrampe in Wetzikon fragt Schulthess, ob er interessiert sei, einen jungen Mann mit psychischen Problemen für einen Arbeitsversuch aufzunehmen. «Peter Müller* war wegen eines schweren Burn-outs aus dem ersten Arbeitsmarkt ausgeschieden und sollte nun mit einem reduzierten Pensum eingegliedert werden», fasst Schulthess die damalige Situation zusammen. Ein erstes Kennenlernen verläuft gut. Dass Peter Müller das Metier kennt und eine Ausbildung zum Kanal-TV-Operateur absolviert hatte, ist ein zusätzlicher Pluspunkt. Und der junge Mann kniet sich rein. Während der sechsmonatigen Eingliederung wird Müller durch Betreuer der Startrampe begleitet. Das Teilzeitpensum steigt schnell von 60 % auf 100 %. Peter Müller erhält eine Festanstellung und arbeitet bis heute bei der Bachofner Kanalreinigungen AG.
Quelle: Bachofner Kanalreinigungen AG
Das Aufgabengebiet der Bachofner Kanalreinigungen AG umfasst – wie der Name schon verrät – Spül- und Saugarbeiten von Kanalrohren. Mitarbeiter mit und ohne Handicap arbeiten dafür im Team zusammen.
Die positive Erfahrung öffnet die Tür für weitere Bewerber. Startrampe und auch die SVA Zürich schicken Dossiers passender Kandidaten, die von Schulthess genau unter die Lupe genommen werden. «Für mich ist wichtig, dass die Zeichen von Anfang an gut stehen und keine falschen Hoffnungen geschürt werden.» Von 2017 bis 2023 erhalten so sechs Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen nach erfolgreichen IV-Arbeitsversuchen eine Festanstellung. Vier der sechs neuen Mitarbeiter sind Quereinsteiger und die Altersspanne reicht von 18 bis 63. «Unseren Beruf konnte man lange Zeit nicht erlernen, so gab es immer wieder Quereinsteiger, das sind wir gewohnt. Neu war es, mit den verschiedenen Handicaps umzugehen. Da ist Flexibilität vonnöten und Verständnis für die Situation, dann funktioniert das», betont Schulthess.
So verrichte der Mitarbeiter mit Rückenproblemen zum Beispiel eher körperlich leichte Arbeiten. Für Menschen mit psychischen Problemen kreiert der Chef ein stabiles Arbeitsumfeld indem erfahrene Kollegen die Neulinge begleiten. Eine grosse Unterstützung ist auch die Personalvermittlung der SVA Zürich. Während der Einarbeitungsphase begleitet und berät sie den Betrieb und den Mitarbeiter mit Handicap. «Der Kontakt zur SVA ist sehr gut und offen. Immer ist jemand ansprechbar und hilft uns weiter, wenn es nötig ist», lobt Schulthess die Zusammenarbeit.
Quelle: Bachofner Kanalreinigungen AG
Wenn der Abfluss verstopft ist: Auch die Reinigung und Kontrolle einer Küchenablaufleitung gehört zu den Aufgaben der Mitarbeiter mit und ohne Handicap.
Win-Win-Situation für Betrieb und Mitarbeiter
Wirtschaftlich wie sozial hat sich das Engagement in den Augen von Andreas Schulthess ausgezahlt: So würden Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt integriert, aus dem sie ausgeschieden waren. Ausserdem gewinne das Unternehmen dringend nötige Fachkräfte. Davon profitieren auch andere Unternehmen. Ein Mitarbeiter mit Handicap absolvierte bei Bachofner erfolgreich eine Ausbildung und wechselte zu einem anderen Beitrieb. «Wenn ganz junge Menschen aus gesundheitlichen Gründen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und keine Arbeit mehr finden, ist das kein schöner Zustand. Menschen, die arbeiten wollen, versuchen wir mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, zu helfen. Als Unternehmer und Arbeitgeber hat man auch eine Verantwortung für die Gesellschaft.»
Die Mitarbeiter mit Handicap haben auch frischen Wind in den Betrieb gebracht. «Unsere Firmenkultur hat sich positiv verändert. Jetzt geht man noch lockerer, offener und kollegialer miteinander um», so Schulthess. Mehr Toleranz und Verständnis seien im Arbeitsalltag spürbar. «Man lernt das eigene Schicksal auch mehr zu schätzen, wenn man Menschen begegnet, die nicht so viel Glück im Leben hatten.» Es brauche vielleicht ein wenig Mut auf Unternehmerseite, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen eine Chance zu geben, aber es zahle sich aus. So hätten die Dankbarkeit und Loyalität dieser Mitarbeiter auf das gesamte Team abgefärbt.
Dass mit dem «This-Priis» das Engagement der Bachofner Kanalreinigungen AG öffentlich anerkannt wurde, hat das Team nachhaltig begeistert. Und auch die Wahrnehmung durch Kunden und Partner positiv verstärkt. Bis Ende Oktober kann man noch Unternehmen für den «This-Priis 2024» vorschlagen (siehe Infobox unten). Und damit weiteren Erfolgsgeschichten die verdiente Bühne geben.
* Name durch die Redaktion geändert.
Jetzt für den «This-Priis» 2024 nominieren
Nominationen werden von der SVA Zürich bis zum 31. Oktober 2023 entgegengenommen. Teilnehmen können Unternehmen mit Sitz im Kanton Zürich, die sich selbst finanzieren. Das nominierte Unternehmen muss bei Neuanstellungen auch IV-Kundinnen und IV-Kunden berücksichtigen und mindestens eine erfolgreiche Eingliederung vorweisen können. Beraterinnen für Prävention und Eingliederung der SVA Zürich führen mit allen nominierten Arbeitgebenden ein Telefoninterview. Anhand eines detaillierten Kriterienkatalogs werden die Firmen bewertet. Maximal fünf Unternehmen schaffen es ins Finale. Von allen Finalistinnen und Finalisten wird ein professionelles Videoportrait gedreht. Wer den Preis erhält, entscheidet die Jury. Die Preisverleihung findet am Mittwoch, den 10. April 2024, statt.
Unter www.svazurich.ch/this-priis sind alle Informationen abrufbar.
Die Geschichte des «This-Priis»
Der «This-Priis» wurde von Hansueli Widmer ins Leben gerufen. Sein Sohn Matthias war mit einer cerebralen Lähmung geboren worden, die ihn hinderte, einen Beruf zu ergreifen. In seinem Testament stellte Hansueli Widmer die finanziellen Mittel für die Auszeichnung von Firmen zur Verfügung, die sich für die Integration von gesundheitlich eingeschränkten Personen engagieren. Die Brüder Lienhard und Martin Widmer gründeten dafür im Jahr 2006 den Verein «This-Priis». Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich (SVA Zürich) unterstützte den privaten Verein und dessen Idee von Anfang an mit personellen Ressourcen und Know-how. 2016 entschied die Familie Widmer den Verein, und damit die Verleihung des Arbeitgeber-Awards, an die SVA Zürich zu übergeben.