Arbeitssoziologie: Bei Ameisen machen auch alte Karriere
Nicht das Alter, sondern der Zufall bestimmt in Ameisenkolonien über den Karriereaufstieg. Auf diese Weise bleibt ein Volk auch funktionstüchtig, wenn kein Nachwuchs vorhanden ist. Dies hat ein Forschungsteam der Universität Lausanne im Rahmen einer Studie festgestellt.
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Die Karriereleiter können Ameisen immer erklimmen, egal ob sie acht Tage oder acht Monate alt sind.
Dazu wurde während 100 Tagen die Arbeitsteilung von 500 Ameisen untersucht, deren Geburtsdatum als Farb- und Barcode auf den Rücken appliziert worden waren. In der Regel arbeiten die Jungtiere im Nest als "Kindermädchen" für die Königin und ihre Larven, während sich ihre erfahreneren Kolleginnen ausser Haus und in Gefahr begeben, um Futter zu beschaffen.
Der Karriereschritt von der "Krankenschwester" zur "Futtersammlerin", ist ist laut Laurent Keller, Pojektleiter der Studie und Professor in der Abteilung für Ökologie und Evolution (DEE) an der Fakultät für Biologie und Medizin der Uni Lausanne (UNIL), wider Erwarten nicht vom Alter abhängig. Der berufliche Aufstieg der Ameise beruht damit auf einem zufälligen oder vielmehr auf einem stochastischen Prozess, wie Keller und seine Kollegen in einer am Dienstag in der Zeitschrift „Current Biology“ veröffentlichten Studie herausgefunden haben.
Karriere ist altersunabhängig
Ameisen steigen also nicht alle im gleichen Alter auf. Dennoch folgen sie einem ähnlichen und relativ schnellen Muster. „Innerhalb von ein bis zwei Wochen verwandeln sie sich von Fressern in Futtersammler“, so Keller.
Überraschenderweise haben Arbeiterinnen an jedem Tag ihres Lebens - ob acht Tage oder acht Monate alt - dieselbe Wahrscheinlichkeit, auf der Karriereleiter aufzusteigen, nämlich etwa drei Prozent. Das wurde festgestellt, indem zig Millionen Interaktionen der winzigen Studienteilnehmerinnen mit der Kamera aufgenommen und in einer detaillierten Karte notiert worden waren. „Wir sind die ersten, die zeigen, dass Rollenwechsel in einer Tiergesellschaft durch stochastische Prozesse reguliert werden. Diese Entdeckung hat wichtige Konsequenzen für unser Verständnis der Regulierung der Arbeit bei sozialen Insekten", betont Laurent Keller.
Alte Arbeitsameisen ersetzen junge
„Dieser auf den ersten Blick überraschende Mechanismus ist ein Vorteil, da er einer Gesellschaft ermöglicht, sich selbst zu regulieren und zwei Arten von Individuen (in diesem Fall Fresser und Futtersucher) das ganze Jahr über in den gleichen Proportionen zu halten“, so Keller. Denn während es zum Beispiel im Frühling an Nachwuchs mangelt, weil die Fortpflanzung den Winter über geruht hat, übernehmen die Seniorinnen dann auch Funktionen von ihren jüngeren Schwestern. Dank der flexiblen Karrieregestaltung hat die Kolonie immer die benötigte Anzahl Ammen und Futtersammlerinnen zur Verfügung.
Genderfluide Frösche?
Die dynamische, den Anforderungen angepasste Arbeitsteilung existiert auch anderswo in der Natur, wie Kellers Team schreibt. So können etwa bei einigen Bakterien, die genetisch identisch sind, Veränderungen der Gene zufällig auftreten und zu Verhaltenswechseln führen. Besonders eindrücklich zeigen dies Frösche: Ihr Geschlecht wird mitunter nicht durch die Gene, sondern durch äussere Erfordernisse, Umweltbedingungen wie die Temperatur, besteimmt. In diesem Fall sorgt ein Zufallsprozess dafür, dass die Geburten von Männchen und Weibchen am Ende gleichwertig sind.
Ob auch bei den Ameisen die Aufgabenänderungen Auswirkung auf ihre genetische Disposition haben, wird derzeit von der UNIL in Zusammenarbeit mit der ETH Lausanne in weiteren Studien untersucht. (sda/mai)
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