11:21 MANAGEMENT

21. Wirtschaftsforum der FRZ: Transformation gleicht einer Bergtour

Geschrieben von: Stefan Schmid (sts)
Teaserbild-Quelle: Stefan Schmid

Innovative Produkte sind eine Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels. Gleichzeitig ist eine Hinwendung zur Kreislaufwirtschaft notwendig. Die Voraussetzungen in der Schweiz für die Transformation von Systemen sind ideal. Dass es angesichts von Extremereignissen eine schwierige Tour sein wird, zeigt beispielhaft der Bergsport. 

Bergsteiger Dani Arnold am Wirtschaftsforum der FRZ

Quelle: Stefan Schmid

Es sind oft Rennen gegen die Zeit und für neue Bestmarken. Entscheidend ist jedoch, den Schwierigkeitsgrad richtig einzuschätzen. Dani Arnold in der Vertikalen (Bild).

«Wir von der Empa versuchen lediglich, den Innovationsmotor zu zünden, damit wir den Lebensstandard behalten können», sagte Empa-Direktor und Physiker Gian-Luca Bona anlässlich des 21. Wirtschaftsforums FRZ Flughafenregion Zürich, Wirtschaftsnetzwerk und Standortentwicklung. Denn die gesellschaftlichen und klimatischen Veränderungen stellen spezielle Herausforderungen an die Innovation. Als renommierte Forschungsinstitution ist die Empa speziell gefordert, künftige Entwicklungen zu antizipieren. Zugleich ist der Einsatz technischer Lösungen zur Reduktion des Energieverbrauchs bereits heute vorteilhaft für Klima und Portemonnaie. Wie sich diese mit vergleichsweise kleinen Eingriffen in Gebäuden mit vorhandener Technik bereits realisieren lässt, erklärte Bona konkret anhand eines Beispiels.

Die Absenkung der Raumtemperatur in Gebäuden während der Nacht könnte künftig beispielsweise intelligenter auf Basis von datengestützten Voraussagen erfolgen. Mittels Machine Learning wird dabei der optimale Heizbedarf ermittelt, der anhand von Wettervorhersagen, Sensoren in Gebäuden und weiteren Indikatoren erfasst wird. Zurzeit sind die Systeme laut Bona aber noch viel zu träge. Modellrechnungen gehen davon aus, dass sich mit der vergleichsweise einfachen Lösung eines Empa-Startups im Winter rund ein Drittel der Heizenergie einsparen liesse und dabei der Ausstoss des Klimagases entsprechend reduziert werden kann, erläuterte Bona beim Wirtschaftsforum, das im Convention Center des «Circle» über die Bühne ging.

Kreislaufwirtschaft als Lösung

Es gehe darum, erneuerbare Energien besser zu nutzen und unter Einbezug der Systemkosten eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Man sei es gewohnt, eine lineare Wirtschaft zu betreiben mit einem grossen Ressourcenverschleiss. In der Energiewirtschaft werde sich das als problematisch erweisen, zumal auf den Baubereich und die Mobilität ein Grossteil des Energieverbrauchs entfalle. Die integrale Kreislaufwirtschaft erfordere es zudem, mittels saisonaler Speicherung Energie vom Sommer in die Winterzeit zu verlagern. Die Forschungsinstitution geht auch bei den eigenen Gebäuden mit gutem Beispiel voran. Beim neuen Campus dienen Bohrungen einer solchen saisonalen Speicherung. Mit dem Leuchtturmprojekt ist die Empa auf dem Weg zum Ziel netto Null.

Die Schweiz verfüge mit einer starken Wirtschaft und eine gut ausgebaute Wasserkraft über ideale Voraussetzungen, die Transformation aktiv anzugehen. Zu denken sei auch an synthetische Treibstoffe oder an Lösungen im Rahmen von Power-to-Gas sowie an Windkraftanlagen. Auch sei das Potenzial der Photovoltaik noch besser auszuschöpfen, um in der Schweiz den Rückgang der Energieproduktion aus Kernkraft zu kompensieren. «In kurzer Zeit schickt die Sonne so viel Energie auf die Erde, wie die gesamte Menschheit in einem Jahr verbraucht», führte Bona aus. Laut Strategie 2050 muss die Energie erneuerbar und dezentral sein. Daher ist für Bona auch klar: «Elektrizität wird zur Schlüsseltechnologie.»

Neue Anwendungen ergeben sich

«Aus Sicht der Empa sollen aus Entdeckungen neue Aufträge, Prozesse oder Lösungen entstehen, die die Industrie umsetzen und damit Profit erzielen kann.» Es gehe jedoch nicht um Profitmaximierung, sondern um neue Lösungen, aus denen Businessmodelle abgeleitet werden könnten. Lösungen zu suchen seien in der Schnittmenge der drei Bereiche Umwelt, Anwendung und Wirtschaft.

Doch mitunter können aus Forschungsprojekten auch Anwendungen für andere Bereiche entstehen, an die ursprünglich nicht gedacht wurde, wie Bona weiter ausführte. Auf dem Jungfraujoch hat die Empa eine Apparatur installiert, mit der aus einem Ensemble von Milliarden kleinster Teilchen einzelne Moleküle von klimaschädlichen Gasen aufgespürt werden können, etwa chlorierte Kohlenwasserstoffmoleküle (FCKW). Das Gas gilt als klimaschädigend. In der Zeitreihe mit der Wetterentwicklung konnte mit dem Dedektor, einer Art hochempfindliche Nase, schliesslich der Nachweis erbracht werden, dass eine Fabrik in Italien FCKW in die Atmosphäre entweichen liess. Die Forschungen waren laut Bona schliesslich im Rahmen der Laser-Spektroskopie Basis für neue Anwendungen in der Medizinaltechnik oder für Abfüllanlagen.

«Risiken muss ich kalkulieren»

«Der spinnt.» Dani Arnold ist solche Urteile gewohnt, wenn er wieder eine seiner extremen Expeditionen in den Bergen plant, wie er selber sagt. Rechtfertigen will er sich nicht mehr, wie beim Durchstieg des 340 Meter hohen Eisfalls oberhalb von Kandersteg. «Crack Baby» heisst die Route, die Arnold in einer absoluten Rekordzeit im Alleingang ohne Sicherungen durchstiegen hat. «Ein gewisses Risiko muss da sein, sonst kann ich nie Erfahrungen machen und an mir selber wachsen oder besser werden», beschreibt Arnold sein Umgang mit Extremsituationen. «Aber die Risiken muss ich kalkulieren. Ohne zu überlegen, Risiken einzugehen, wäre dumm. Das hat nichts mit Mut zu tun.»

Empa-Direktor Gian-Luca Bona am Wirtschaftsforum der FRZ

Quelle: Stefan Schmid

Die Empa geht auch bei den eigenen Gebäuden mit gutem Beispiel voran. Beim neuen Campus dienen Bohrungen der saisonalen Speicherung von Energie, wie Empa-Direktor Gian-Luca Bona aufführte (Bild).

In Rekordzeit durch den Eisfall

Daher evaluiert Arnold mitunter jahrelang eine Route, setzt sich intensiv mit den Bedingungen und den Schwierigkeiten auseinander. Kalkuliert Risiken, überlässt nichts dem Zufall, sucht Antworten, stellt sich unentwegt Fragen. Soll ich es machen? Oder doch nicht? Wie soll ich es machen? Dabei kann es schon mal einen Tag in Anspruch nehmen, um zu testen, welche Steigeisen genau auf den Schuh passen. 

Arnold wählt aber nicht nur extreme Routen, die er in Rekordzeit durchsteigt, sondern auch aussergewöhnliche Verhältnisse. Speziell fasziniert ist er vom Eisklettern, konnte dabei in Tausend Tagen Erfahrungen sammeln. Zur Vorbereitung auf die Eisfalltour bei Kandersteg gehörte auch, dass er die Route am Vortag mit einem Kollegen geklettert ist, um die Verhältnisse kennenzulernen. In den Bergen müsse man sich den veränderten Gegebenheiten anpassen, sagt Arnold. Schnell könne es passieren, dass bei einem Kältesturz Felsenpartien mit Eis überzogen seien. Doch ein Restrisiko bleibt. «Es gibt Situationen, die wir nicht beeinflussen können.»  

Die drei Nordwände

Vorgenommen hat sich Arnold in den letzten Jahren auch die drei grossen Nordwände der Alpen. Eiger, Matterhorn, Grand Jorasse. Und schiebt die Grenze des Machbaren immer weiter hinaus. Am Eiger nimmt er noch ein Seil mit, beim Grand Jorasse klettert er ohne Zusatzmaterial. «Ich mache es so, wie ich das Gefühl habe, dass es richtig ist.» Wichtig ist ihm auch, dass er seine Free-Solo-Touren beweisen kann, etwa mit Zeitraffervideos wie beim Eisfall. Es sind oft Rennen gegen die Zeit und für neue Bestmarken. Entscheidend ist jedoch, den Schwierigkeitsgrad richtig einzuschätzen. Das heisst auch, ein Gefühl zu entwickeln für eine Situation, bei der alles passt. 

Elektrizität wird zur Schlüsseltechnologie.

Gian-Luca Bona, Physiker und Direktor der Empa

Bei der Eigernordwand war das Jahre zuvor nicht der Fall. Der Verzicht auf den Durchstieg war begleitet von Selbstvorwürfen und Versagensängsten, ein selbst gestecktes Ziel nicht erreicht zu haben, wie Arnold sagt. «Ich habe erst viel später realisiert, dass es manchmal Mut braucht, Nein zu sagen. Denn man darf sich selbst nichts vormachen und sich einreden, dass es nicht gefährlich ist. Ich muss vollkommen überzeugt sein, dass es klappt.» Dabei muss er jederzeit mit allen Eventualitäten rechnen. Den Sport seriös betreiben, heisse, Sicherungen den Verhältnissen entsprechend kalkuliert zu setzen. Dabei versucht er, sich möglichst wenig auf der «Kante» zu bewegen, wie er es nennt.

Abenteuer Broad Peak

Nach diversen «Free Solos» und Erstbesteigungen fehlte Arnold im Palmarès noch ein Achttausender. Als Teilnehmer einer kommerziellen Expedition ohne Verantwortung als Bergführer ist die Besteigung des Broad Peak für Arnold eher eine anspruchsvolle Wanderung. Es sei um das Erlebnis der Höhe gegangen. Die Besteigung von Achttausender-Gipfeln mit einem Heer von Sherpas bedeute jedenfalls noch keine bergsteigerische Qualifikation, konstatiert er. Es komme immer darauf an, welche Ziele sich jemand setze. Die werde er sich künftig wieder in tieferen Regionen suchen.

Im Urner Schächental oberhalb von Bürglen aufgewachsen, entdeckt Arnold früh sein Talent. Er wagt Touren mit immer höherem Schwierigkeitsgrad. «Man macht es immer wieder und versucht, wie weit man gehen kann.» Seit rund zehn Jahren ist er professionell als Bergsteiger unterwegs. Ein bis dreimal pro Jahr sind es Extremprojekte, dazwischen führt er als Bergführer Gäste auf den Berg. Letztes Jahr ist Arnold Vater geworden. Hat das sein Verhältnis zum Risiko verändert? «Ja, es muss alles noch besser abgesichert sein. Aber auch bisher war ich nie voll im Risiko.»

Das gehöre zum Leben wie Angst, Erfolg und Misserfolg, sagt Arnold. Es sei wichtig, dass jeder und jede irgendetwas habe, dass er oder sie unbedingt erreichen wolle. «Freude ist ein wichtiger Teil, egal was man macht.» Er stellte seine Ausführungen unter das Motto: Neue Wege gehen. Über die Art, wie diese zu begehen sind, liess sich beim Wirtschaftsforum viel lernen. Genaue Beobachtung, detaillierte Vorbereitung, Absicherung, kalkuliertes Risiko, eigene Entscheidungen in Frage stellen. Und: Nein sagen können. Arnold meistert spezielle Herausforderungen. Auf seinen Wegen folgen können ihm nur wenige – an die Weltspitze ohnehin nicht. Realistische Ziele setzen. Auch das war eine Erkenntnis.

FRZ Flughafenregion Zürich

Die FRZ Flughafenregion Zürich, Wirtschaftsnetzwerk und Standortentwicklung, umfasst aktuell 13 Gemeinden und Städte mit 181 000 Einwohnerinnen und Einwohnern sowie rund 145 000 Arbeitsplätze. Das Gebiet liegt im Ranking der 110 Schweizer Wirtschaftsregionen auf Platz drei. Zehn Jahre nach der Gründung zählt der Verein mittlerweile über 740 Mitglieder, dazu gehören auch 697 Unternehmen sowie 30 Verbände und Organisationen.

Ein wichtiger Motor des Wachstums im funktionalen Wirtschaftsraum ist der Flughafen Kloten, der im letzten Jahr wegen des darniederliegenden Flugverkehrs schwere Einbussen verkraften musste. Die Passagierzahlen sanken laut Stephan Widrig, Geschäftsführer der Flughafen Zürich AG, auf weniger als ein Drittel von 2019. Es sei ein mehrjähriger Prozess, bis der uneingeschränkte weltweite Reiseverkehr wiederhergestellt sei. Aktuell gehe man davon aus, dass das erst 2025 der Fall sein werde. Neben dem Flugbetrieb sorge auch eine konservative Finanzstrategie sowie mit dem «Circle» die Weiterentwicklung des Flughafens für Stabilität. Die Flächen des Gebäudes seien grösstenteils vermietet. Mittel- bis langfristig übergeordnete Treiber der Luftfahrt sieht Widrig im Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum sowie der internationalen Vernetzung. (sts)

Geschrieben von

Redaktor Baublatt

Seine Spezialgebiete sind wirtschaftliche Zusammenhänge, die Digitalisierung von Bauverfahren sowie Produkte und Dienstleistungen von Startup-Unternehmen.

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