2. Tag der Bauleitung: «Die Branche muss mutiger sein»
Nachdem der 1. Tag der Bauleitung der Organisation Bauleitung Schweiz (OBS) 2021 noch als Experiment galt, konnte der Nachfolgeanlass am 30. September 2023 mehr als 200 Teilnehmer verbuchen. Professionelle Bauleiter trafen sich in Brunnen SZ zum Austausch.
Quelle: Manuel Pestalozzi
Wie gewinnt die Branche neues Fachpersonal? Darüber diskutierten (v.l.n.r.) Moderator Stephan Lendi, Cristina Schaffner von Bauenschweiz, Mediator Walter A. Speidel, Markus Tremp, Geschäftsführer der WSP Suisse AG und Yannick Blättler, Neoviso AG, unter Einbezug des Publikums.
Die OBS gibt es seit 1991. Sie vertritt als Berufsverband die Interessen aller eidg. dipl. BauleiterInnen und in der Bauleitung engagierten Fachleute, stärkt deren Position im schweizerischen Bauwesen und fördert das Berufsbild in der Öffentlichkeit. Mittlerweile hat die Organisation rund 730 Mitglieder, die auf sieben Sektionen verteilt sind. Sie dient dem Networking und dem fachlichen Austausch, ausserdem möchte sie auch das Berufsbild einer breiteren Öffentlichkeit näherbringen.
«Mit uns kann man Geld und Nerven sparen», fasste Thomas Blattmann, Präsident der OBS, Sinn und Zweck des Berufsstands in seiner Begrüssungsrede zum 2. Tag der Bauleitung griffig zusammen. Er hiess die Beteiligten zu einem reichhaltigen Tagesprogramm im Seehotel Waldstätterhof in Brunnen willkommen. Dass ein Bedarf an professioneller, selbstbewusster Bauleitung besteht, war zu erkennen an der stattlichen Liste der Sponsoren, auf der sowohl Bauherren, Baufirmen wie auch Zulieferbetriebe, Planungsunternehmen und Bildungsinstitutionen zu finden waren. Verwandte Organisationen sind dem OBS als Partnerinnen verbunden.
”Mit uns kann man Geld und Nerven sparen.
Thomas Blattmann, Präsident OBS
Thomas Blattmann, Präsident OBS
Das zeigte der Auftritt von Cristina Schaffner, seit 2020 Direktorin beim Dachverband Bauenschweiz, die das Einführungsreferat zum 2. Tag der Bauleitung hielt. Die Inhaberin eines Masterabschlusses der Universität St. Gallen in «International Affairs und Governance» nannte vier Herausforderungen, denen sich die Branche stellen muss: die Auseinandersetzung mit dem Wandel, welche Forderungen nach Zirkularität und «Netto Null» mit sich bringen, der Mangel an Fachkräften, die Schaffung eines attraktives Arbeitsumfelds und die Qualität der Bauplatz-Installationen.
Schaffner rief die Teilnehmer zu einem offenen Blick auf, der auch über den Tellerrand hinaus reichen sollte. Neben der Auseinandersetzung mit den vier genannten Themen sieht die Bauenschweiz-Direktorin auch ein Nachholbedarf bei der Kommunikation der Branche mit der breiten Öffentlichkeit. «Es braucht mehr Mut, über sich selbst zu reden», sagte sie.
Quelle: Manuel Pestalozzi
Cristina Schaffner ging in ihrem Referat auf die grossen Herausforderungen der Baubranche ein.
Rüstzeug zur Mediation
Nach der Einführung fand eine Gruppenbildung statt. Die Teilnehmer hatten bei der Anmeldung die Wahl, sich für verschiedene Kurse, Foren und Workshops anzumelden. Sie widmeten sich einer breiten Vielfalt von Themen, welche im Alltag einer Bauleitung auftauchen und angepackt werden müssen. Neben regulatorischen Belangen, etwa der Norm SIA 271, gab es auch Gruppen, die sich konkreten Fragen bei der Ausführung widmeten, beispielsweise der Mengenermittlung mit Bluebeam oder der Qualität von Malerarbeiten auf Weissputzflächen. Nicht zu kurz kamen Fragen des menschlichen Austauschs, der Psychologie und der Baustellenorganisation, die alle eng miteinander verwoben sind.
Der Workshop «Kommunikation und Baumediation» wurde geleitet von Walter A. Speidel M.A., Experte-Mediator SDM /SKWM. Nach einer Karriere als Architekt und viel Bauleitungserfahrung, entschloss sich Speidel für eine Ausbildung als Mediator, der bei Konflikten schlichtet und vermittelt. Der Baubranche ist er nahe geblieben: Einerseits betreut er Strangsanierungen, die oft bei Häusern in bewohntem Zustand durchgeführt werden, andererseits bildet er beim Schweizerischer Platten-verband (SPV) Fachleute in der Mediation aus, die auf der Baustelle bei Bedarf als «Baukonfliktlotsen» bereitstehen oder dafür sorgen, dass Spannungen gar nicht erst entstehen können. Nicht selten reichen die Mediationstätigkeiten aber auch weit in die Strukturen der Bauherrschaft hinein, zum Beispiel bei Konflikten in Erb-gemeinschaften.
Walter A. Speidel zeigte im Workshop, dass sich Mediationen gewissermassen institutionalisieren lassen, beispielsweise durch Mediationsklauseln in Verträgen, welche die Mediation vor einem Gang vor Gericht zur Pflicht machen. Zudem legte er dar, dass der Mediationsvorgang systematisch abläuft. «Wir ordnen die Stolpersteine», umschrieb er die Tätigkeit der Mediationsleitung. Dies geschieht mit einer thematischen Gliederung der Fragen in einer vorgegebenen Reihenfolge. Damit gehen die Beteiligten einer Angelegenheit zuerst auf den Grund und erkunden anschliessend die Bedürfnisse der Beteiligten.
Im Workshop wurden in Gruppen unterschiedliche Problemkreise erläutert, in denen ein Mediationspotenzial besteht: das eigene Büro, die Baustelle und das weitere Umfeld mit Behörden oder der Nachbarschaft. Auffallend war, dass einige Gruppen sofort reelle Situationen aus ihrem Alltag untereinander diskutierten – und dass IT-Probleme und BIM (Building Infor-mation Modeling) im Bereich Bauleitung offenbar keine Konflikte auslösen.
Nach einer kurzen Besprechung lud Walter A. Speidel einige Teilnehmer zu einem konkreten Rollenspiel ein, in dem er das «Konstruktive Konfliktklärungs-System» (KKS) erläuterte. Das Setup: ein Vorgesetzter und ein Arbeitnehmer, der zum Islam übergetreten ist und in Arbeitspausen seine Gebete verrichten möchte, was andere Mitarbeitende irritiert und zu negativen Bemerkungen veranlasst. Den beiden gegenüber steht der Mediator mit seiner Flipchart, auf der sofort Details des Gesprächs festgehalten werden.
Quelle: Manuel Pestalozzi
Bei einem Rollenspiel zeigte Walter A. Speidel (rechts), wie ein Mediationsgespräch strukturiert wird.
Walter A. Speidel machte darauf aufmerksam, dass nicht nur die Systematik im Vorgehen oder der Ton des Gesprächs, sondern auch die Bewegungen bei einem solchen Mediationstreffen koordiniert, wenn nicht orchestriert werden müssen. So sollte die Drehung zur Flipchart immer nach aussen auf der Seite der Platzierung jener Person erfolgen, dessen Informationen dann auf der Chart festgehalten werden. Bei der Mediation sind offenbar der respektvolle Empfang von Informationen und deren schriftliches Festhalten quasi die «halbe Miete». «Es geht darum, sofort zu reflektieren und zu visualisieren», erklärte Walter A. Speidel. Das öffnet den Weg zu einer gütlichen Einigung. «Ich bin der Störfilter für euch», sage er jeweils den Beteiligten. Die Teilnehmer des Workshops wurden anschliessend mit zwei keinen Communications-Cards in die Mittagspause entlassen.
Unbesiegbar
Die zweite Tageshälfte begann wieder mit Gruppenveranstaltungen. Wer sich mentalen Verfassungen und Zuständen hingeben wollte, konnte sich am Workshop Resi-lienz beteiligen. Geleitet wurde er von Dieter Studer, Psychologe MSc., der seine berufliche Laufbahn bei der Stadtpolizei Zürich startete, sich in der Jungendprävention engagierte und schliesslich zum akkreditierten Berater GFCH in den Bereichen Friendly Work Space und Job Stress Analysis weiterentwickelte.
Wie schon die Bezeichnung der Einsatzbereiche und das Wort Resilienz andeuten, spielt der angelsächsische Kulturraum eine bedeutende Rolle bei der Auseinandersetzung mit der antrainierbaren Widerstandsfähigkeit. «Resilienz ist wie ein Schwamm, der zur Ursprungsform zurückkehrt», umschrieb Studer den Sinn des Wortes, das Individuen im mentalen Bereich «unbesiegbar» machen kann. Zum Erreichen dieses Zustandes braucht es Ressourcen, respektive Reserven, welche den Weg zurück zu dieser Ursprungsform ermöglichen. Ein wichtiger Schritt zu diesen Ressourcen liegt schlicht darin, dass man sie überhaupt erkennt.
Der Weg zum inneren Rechenschaftsbericht wurde im Workshop in Zweiergruppen geübt. Zu berücksichtigen galt es dabei Charaktereigenschaften, die als «big five» zusammengefasst wurden: Extraversion, Offenheit, Neurotizismus, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Ihre Untersuchung ermöglicht es den Einzelnen, ihre Schwächen zu erkennen und Korrekturen vorzunehmen, denn: «Resilienz ist lernbar», wie Studer versicherte. Die sieben Resilienz-Schlüsselworte, welche er seinen Workshop-Schützlingen mit auf den Weg gab, lauteten: Optimismus, Achtsamkeit, Selbstverantwortung, Lösungsorientierung, Akzeptanz, Netzwerkorientierung und Zukunftsorientierung. Er riet ihnen am Ende der unterhaltsamen, dem praktischen Berufsalltag eher entrückten zwei Stunden der Verinnerlichung zur täglichen Erlebnisbilanz.
Quelle: Manuel Pestalozzi
Yannick Blättler gewährte einen Einblick in die Lebensrealitäten der Generation Z.
Wie tickt die Generation Z?
Für den letzten Teil des 2. Tages der Bauleitung versammelten sich die Gruppen wieder im grossen Saal des Seehotels. Es ging im letzten Referat um ein Thema, das wirklich alle Teilnehmer interessieren musste: die Generation Z und den Kampf um qualifiziertes Fachpersonal. Wenige wissen hierzulande besser Bescheid über die jungen Menschen mit Jahrgängen von 1995 bis 2010 als Yannick Blättler. Der junge Inhaber eines Bachelorabschlusses der Universität Zürich und eines Masterabschlusses in Business Innovation der Universität St. Gallen ist Gründer und CEO der auf die Generation Z spezialisierten Neoviso AG.
Die Firma erforscht die Befindlichkeiten und Bedürfnisse der Menschen, die heute zwischen fünfzehn und dreissig Jahre alt sind und setzt sich insbesondere mit ihrer Position in verschiedenen Märkten auseinander – mitunter auch dem Arbeitsmarkt. «Eine Alternative gibt es nicht – die Jungen kommen», sagte er zu Beginn seiner Ausführungen. Aus demographischer Sicht sind Menschen mit den genannten Jahrgängen ein ziemlich rares Gut und entsprechend begehrt. Das entgeht diesen natürlich nicht, und entsprechend hoch sind ihre Ansprüche an die älteren Semester. Sie wollen dort abgeholt werden, wo sie sich aufhalten. Und dies sind gemäss Yannick Blättler bestimmte Orte in den Sozialen Netzwerken: Instagram, Tiktok und neuerdings Twitch.
Blättler stimmte in die anfangs des Tages gestellte Forderung von Cristina Schaffner ein, dass die Branche mutiger sein müsse. Im konkreten Fall heisst dies, dass man sich auf diese Kommunikationsplattformen und ihre Gesetzmässigkeiten einlässt. Einfach muss alles sein, unkompliziert und mit möglichst wenigen For-mularen, beispielsweise bei einer Stellenbewerbung. «Die Generation Z will bei der Arbeit klare und kurz gesetzte Zielvereinbarungen mit Instant-Feedback», erklärte Blättler, nicht Endjahresgespräche.
Das Wort «instant», bei dem ältere Generationen wohl an Kaffee denken, kam noch desöftern vor, beispielsweise bei «instant Gratification», also der sofortigen Befriedigung bei der Arbeit. Dazu braucht es Erfolgserlebnisse und auch klar konturierte Aufstiegsperspektiven. Blättler kam auch auf die Fragilität der Generation Z zu sprechen: Durch Social Media einem ständigen Vergleichs- und Ratingwettbewerb ausgesetzt, plagt die Generation Z die stete Angst, abgehängt zu werden. Deshalb braucht sie einen konkreten Durchblick. «Das Arbeitsplatzdesign ist kulturprägend», versuchte es der Referent auf den Punkt zu bringen, und er richtete folgenden Apell an sein Bauleitungs-Publikum: «Gebt den Leuten maximale Freiheit, aber auch maximale Klarheit.»
Diese Botschaften mussten anschliessend verdaut werden. Eine Gesprächsrunde mit Thomas Blattmann, Cristina Schaffner, Walter A. Speidel und Markus Tremp, Geschäftsführer von WSP Suisse AG, versuchte dies. Sie diskutierte unter der Moderation von Stephan Lendi über die Herausforderungen bei der Positionierung der Branche auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Cristina Schaffner plädierte für spannende Berufsbilder, eine hohe Durchlässigkeit in den Hierarchien und die Übertragung von Verantwortung.
Als gutes Vorbild für die Berufsbildvermittlung erwähnte der Moderator die Initiative «Zimmermann on Tour» von Holzbau Schweiz. Dies motivierte Yannick Blättler zur Frage, ob es vielleicht eine einzige, gemeinsame Plattform für alle Berufe der Branche brauche. Das Publikum konnte sich in der Folge an der Diskussion beteiligen. Moniert wurde die lange Ausbildungszeit von sechs Jahren für die Bauleitungs-Qualifikation. Dieses ferne Ziel wirke auf viele entmutigend. Eine Anregung schlug in der Folge ein System wie bei den Farben der Judo-Gürtel vor, was es ermöglichen würde, sich etappenweise der absoluten Meisterhaftigkeit anzunähern.
Das Publikum folgte diesen Ausführungen trotz des sich nähernden Schlussapéros mit Interesse und Aufmerksamkeit. Am Ende der Veranstaltung zeigte sich Thomas Blattmann zufrieden mit dem Verlauf des 2. Tages der Bauleitung. Er sei zwar von seinen Neigungen her eher ein Skeptiker, aber er habe sich viele Notizen gemacht und neue Denkansätze empfangen. Dieser Erkenntnis dürften sich viele der Teilnehmer angeschlossen haben.