Wasserversorgung in Konstantinopel: Wie der längste Aquädukt der Antike gewartet wurde
Das Römische Reich war in vieler Hinsicht seiner Zeit voraus. Davon erzählen unter anderem die Überreste von Wasserversorgungsanlagen, wie der längste Aquädukt der Antike, die 426 Kilometer lange Valens-Wasserleitung von Konstantinopel. Laut neuesten Forschungen wurde er regelmässig von Kalkablagerungen gereinigt.
Bauten, Monumente und Infrastrukturanlagen aus der Römerzeit üben heute noch eine starke Faszination aus. Dazu gehören Tempel, Theater und Amphitheater, aber auch ein dichtes Strassennetz und Aquädukte, die jahrhundertelang für eine zuverlässige Wasserversorgung vieler Städte, auch noch über die Römerzeit hinaus sorgten.
Wasser für Konstantinopel
Wissenschaftler der Johannes
Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben den längsten Aquädukt der damaligen
Zeit, die 426 Kilometer langen Valens-Wasserleitungen, die der Wasserversorgung
von Konstantinopel dienten, untersucht und dabei neue Hinweise auf die Instandhaltung
der Anlage gefunden. (Verlauf der Wasserleitung in der Karte am Ende des Artikels.)
Offenbar wurden die Kanäle noch wenige Jahrzehnte, bevor die Anlage aufgegeben wurde, von Kalkablagerungen gesäubert. "Die revolutionärste technische Errungenschaft des Römischen Reichs ist seine Wasserversorgung, vor allem die Aquädukte, die über große Distanzen Wasser in die Städte, zu den Bädern und Minen transportiert haben", so Gül Sürmelihindi von der Arbeitsgruppe Geoarchäologie der JGU. Aquädukte waren keine römische Erfindung. Aber unter den Römern breiteten sich die Langstrecken-Wasserleitungen über ihr gesamtes Imperium aus.
Im Römischen Reich verfügte daher praktisch jede Stadt über eine ausreichende Versorgung mit Frischwasser, in manchen Fällen besser als heute. "Die Aquädukte sind vor allem wegen ihrer eindrucksvollen Brücken bekannt, wie dem Pont du Gard in Südfrankreich. Aber noch mehr beeindruckt die Art und Weise, wie Konstruktionsprobleme gelöst wurden, die heutigen Ingenieuren noch gewaltig erscheinen", merkt Cees Passchier an. Heute weiss man von mehr als 2'000 römische Langstrecken-Aquädukten, viele warten noch auf ihre Entdeckung. Die Studie von Sürmelihindi und ihrem Forscherteam befasst sich mit dem spektakulärsten spätrömischen Aquädukt, den Wasserversorgungsanlagen von Konstantinopel, dem heutigen Istanbul in der Türkei.
Kalkablagerungen geben Aufschluss über Wassermanagement
Quelle: Cees Passchier / Johannes Gutenberg Universität Mainz
Karbonatablagerung des Aquädukts von Konstantinopel mit etwa 25 Jahresschichten
Konstantin der Grosse hatte Konstantinopel 324 n.Chr. zur neuen Hauptstadt des römischen Reiches bestimmt. Doch obwohl die Stadt günstig an den Schnittstellen von Landwegen und Schiffsrouten lag, stellte die Wasserversorgung ein Problem dar. Daher wurde ein neuer Aquädukt gebaut, der die Stadtbevölkerung mit Wasser aus 60 Kilometer westlich gelegenen Quellen versorgen sollte. Mit dem Wachstum der Stadt wurde das System im 5. Jahrhundert erweitert. Es wurden Quellen in bis zu 120 Kilometer Entfernung erschlossen und die Wasserleitungen auf eine Gesamtlänge von mindestens 426 Kilometer ausgebaut – der längste Aquädukt der Antike. Er besteht aus gemauerten Kanälen aus Stein und Zement, 90 großen Brücken und mehreren bis zu fünf Kilometer langen Tunneln.
Gül Sürmelihindi und ihr Team haben
Karbonatablagerungen des Aquädukts untersucht – Kalkstein, der sich in dem
fliessenden Wasser gebildet hat. Die Ablagerungen verraten viel über das
Wassermanagement und die Umweltbedingungen zur damaligen Zeit.
Erstaunlicherweise fand sich in der gesamten riesigen Aquäduktanlage nur eine
dünne Schicht von Kalkablagerungen, die einer Nutzung von 27 Jahren entspricht.
Tatsächlich ist aber aus den Überlieferungen bekannt, dass die Anlage über 700 Jahre, mindestens bis ins 12. Jahrhundert genutzt wurde. "Das bedeutet, die kompletten, 426 Kilometer lange Wasserleitungen mussten im Byzantinischen Reich gewartet und von den Ablagerungen gereinigt worden sein, noch kurz bevor der Betrieb aufgegeben wurde", so Sürmelihindi. Ablagerungen können die Wasserversorgung stören und müssen daher von Zeit zu Zeit entfernt werden.
Doppelte Kanäle für die Instandhaltung
Obwohl der Valens-Aquädukt spätrömischen Ursprungs ist,
stammt der Kalk in den Kanälen aus der mittelbyzantinischen Epoche. Die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überlegten daher, wie die Anlage
gereinigt und instand gehalten wurde – bei 426 Kilometern kein einfaches
Unterfangen, wenn die Stadtbevölkerung auf eine ununterbrochene Wasserversorgung
angewiesen ist. Ein eingehend untersuchter 50 Kilometer langer Abschnitt im
zentralen Teil der Anlage liefert vermutlich die passende Erklärung: Hier
verläuft die Wasserleitung sozusagen zweigleisig mit einem Kanal über dem
anderen – auch über zweistöckige Brücken.
"Wahrscheinlich wurde dieses System für die Reinigungs- und Wartungsarbeiten errichtet", erklärt Sürmelihindi. "Das war eine kostspielige, aber praktische Lösung." Damit konnte das Wasser über den zweiten Kanal umgeleitet und besonders sensible Abschnitte gereinigt und von Ablagerungen befreit werden, ohne den Wasserfluss zu unterbrechen.
Ballıgerme-Brücke gespengt
Noch vertieftere Erkenntnisse über die
genaue Funktionsweise der Anlage können nicht mehr gewonnen werden: Eine der eindrucksvollsten Brücken, die
Ballıgerme-Brücke, ist letztes Jahr von Schatzsuchern gesprengt wroden. Sie nahmen in der
irrtümlichen an, dass in den Ruinen sei Gold versteckt ist. (mai/mgt)
Quelle: Cees Passchier
Der 426 Kilometer lange Aquädukt von Konstantinopel