Verzögerungen bei der Lärmsanierung kommen Bund, Kantone und Gemeinden teuer zu stehen
Ab 2015 können von Strassen- oder Schienenlärm betroffene Liegenschaftsbesitzer Klage auf Lärmentschädigung einreichen. Dem Bund und den Bahnunternehmen, aber auch den Kantonen und Gemeinden drohen als Eigentümer von Strassen und Eisenbahnstrecken deshalb Kosten von über 19 Milliarden Franken. Dies steht in einem internen Faktenblatt des Bundesamts für Umwelt (BAFU) vom 19. November, das die SRF-Sendung «10vor10» veröffentlichte. «Bei Änderungen der Lärmbelastung wäre mit weiteren Kosten zu rechnen», heisst es im Bericht.
Bei der erstmaligen Berechnung der Kosten des Strassen- und Schienenlärms stützte sich der Bund auf das Beispiel des Flughafens Zürich. Der grösste Flughafen der Schweiz rechnet heute mit einer halben Milliarde Franken für die Entschädigung von Fluglärmklagen. «Basierend auf diesen Zahlen haben wir hochgerechnet, was das für Strasse und Schiene bedeuten könnte», sagte Bafu-Vizedirektor Gérard Poffet gegenüber «10vor10». Unter der Annahme, dass Entschädigungsklagen im selben Umfang wie beim Flughafen Zürich gutgeheissen würden, sei davon auszugehen, dass Kosten von über 19 Milliarden Franken entstehen könnten.
Klagen wegen Strassenlärm können Gemeinden teuer zu stehen kommen
Den grössten Teil dieser Entschädigungszahlungen - nämlich 14,5 Milliarden Franken - wären fällig wegen zu lärmigen Strassen, wie es im Bericht heisst. Diese Kosten müssten vor allem Kantone und Gemeinden tragen. Ihnen gehören die meisten Strassen. Laut Bafu stehen heute über 800'000 Wohnungen in der Schweiz an Strassen mit zu hoher Lärmbelastung. Von übermässigem Bahnlärm sind knapp 80'000 Wohnungen betroffen, unter zu starkem Fluglärm leiden über 32'000 Haushalte.
Dreissig Jahre haben Bund und Kantone Zeit gehabt, lärmige Strassen und Schienen mit geeigneten Massnahmen leiser zu machen. 2015 läuft die gesetzliche Frist für Lärmsanierungen bei den Nationalstrassen und den Eisenbahnstrecken ab. Ab 2018 haben auch Anwohner der übrigen Strassen einen Anspruch auf Lärmentschädigung. Viele Strassen- und Schienenabschnitte werden auch dann noch zu hohe Lärmwerte aufweisen.
Dies hat laut Poffet verschiedene Gründe: «Die Planung ist eine Sache, die Ressourcen eine andere und die Realisierung die Dritte.» Die Sanierungen seien «schwieriger als vorgesehen». Stützen können sich Kläger auf die Bundesverfassung. Diese verpflichtet den Bund, die Bevölkerung vor schädlichen Einwirkungen zu schützen. Somit stehen Bund, Kantone und Gemeinden - aber zum Beispiel auch die SBB - in der Pflicht.
Bund will mit Systemwechsel Lärmklagen abwenden
Um die drohenden Lärmklagen in Höhe von 19 Milliarden Franken abzuwenden, plant der Bund einen Systemwechsel. Bereits im Sommer 2012 hatte der Bundesrat in einem Grundsatzentscheid beschlossen, dass lärmgeplagte Liegenschaftsbesitzer jährlich automatisch eine finanzielle Entschädigung erhalten sollen, wenn ihr Haus an einer zu lauten Strasse oder Schiene liegt. Lärmklagen aber wären dann nicht mehr möglich.
Nach Meinung der Landesregierung würden damit Betroffene, aber auch die Betreiber von Infrastrukturen des Strassen-, Schienen- und Flugverkehrs bessergestellt. Heute müssen die von übermässigem Lärm betroffenen Hauseigentümer den Lärmverursacher auf Entschädigung für den Wertverlust ihrer Liegenschaften verklagen. Mit dem Systemwechsel rechnet der Bund mit jährlich wiederkehrenden Kosten von über 370 Millionen Franken.
«Dieses System ist für die Strassenbesitzer viel berechenbarer», sagte Poffet. «Wir bezahlen jedes Jahr eine kleine Summe statt eine grosse Summe, welche das Gericht festlegt.»
Automatische Entschädigung ist nicht im Sinn von Kantonen und Gemeinden
Doch die Kantone stossen sich an der neu geplanten Entschädigungspraxis. In einem Konsultationsschreiben an die kantonalen Baudirektoren lehnt der Vorstand der Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz (BPUK) das neue System ab. Es entstünden hohe Kosten für Kantone und Gemeinden, argumentiert die BPUK. «Wir beurteilen die Zahlen im Faktenblatt des BAFU mit Skepsis.» Zudem würde das neue Modell einen «riesigen administrativen Aufwand» fordern.
Bis am 31. Januar 2014 können die einzelnen Regierungsräte entscheiden, mit welchem System sie künftig übermässigen Lärm entschädigen wollen. Voraussichtlich im Frühling wird sich auch der Bundesrat wieder mit dem Dossier befassen. (sda/mrm)