Verräterische Körpersprache
Verhandlungs- und Befragungssituationen beim Gericht oder bei der Polizei sind oft anspruchsvoll – insbesondere dann, wenn Personen aus unterschiedlichen Kulturkreisen beteiligt sind. Die verbale Kommunikation steht zwar im Zentrum, aber auch die Körpersprache kann wesentliche Hinweise geben.
Quelle: Photographee.eu/Shutterstock
Gespräch unter erschwerten Bedingungen: Bei Befragungssituationen ist Fingerspitzengefühl gefragt.
Von Karin Freiermuth*
Befragungen gehören zu ihrem Berufsalltag: Polizisten und Grenzwächter machen Einvernahmen mit verdächtigen Personen, Staatsanwälte befragen Angeklagte und Mitarbeitende von Migrationsbehörden führen Anhörungen zu den Fluchtgründen von Asylsuchenden durch. Gemeinsam ist ihnen, dass sie der Wahrheit auf der Spur sind. Ziel ist es, falsche Informationen aufzudecken und den tatsächlichen Gegebenheiten auf den Grund zu gehen, um danach einen Entscheid oder ein Urteil fällen zu können.
Jeder reagiert anders
Der Weg dahin kann schwierig sein: «Eine Einvernahme ist etwas sehr Fliessendes. Weder kann man den Verlauf zu Beginn mit Sicherheit planen, noch kann man jeweils dasselbe Einvernahme-Modell anwenden, da jeder Mensch anders reagiert», erklärt Roland Steiner, der die Grundausbildung an der Interkantonalen Polizeischule in Hitzkirch (IPH) leitet. Wichtig sei, dass der Polizist immer die Oberhand behalte – nicht von oben herab, sondern bedacht, um auf jede Handlung des Gegenübers professionell reagieren zu können.
Der unbekannte Bruder
Dass Gespräche aufgrund des Machtgefälles nicht auf Augenhöhe stattfinden, ist eine von mehreren Besonderheiten der Kommunikation bei Einvernahmen und Befragungen. Für Mark Moser, Berater für interkulturelle Kompetenz, stellt die Sprache eine weitere Herausforderung dar, weil die verschiedenen Parteien oft Interviews in einer Sprache führen, die nicht ihre Muttersprache ist.
Daraus können sich einfache, aber einschneidende Missverständnisse ergeben: «Das Wort Bruder wird von Afrikanern oft für eine Person benutzt, mit der man nicht direkt verwandt ist, sondern die man einfach kennt. Wir würden vermutlich den Begriff «Kolleg» verwenden. Wenn der Staatsanwalt oder der Polizist Bruder hört, geht er automatisch davon aus, dass der Befragte den Namen und die Adresse des Bruders kennt. Solche falschen Interpretationen können den weiteren Kommunikationsprozess massgeblich beeinflussen.»
Handschellen während der Befragung
Moser macht zudem darauf aufmerksam, dass auch die Arbeit von Übersetzern das Gespräch erschweren kann, da es immer wieder zu Unterbrüchen kommt und der natürliche Sprachrhythmus gestört wird. Oft gehe dadurch der Reichtum und die Exaktheit der Sprache verloren, da Sprache nicht bloss aus einzelnen Begriffen besteht, sondern erst im Gesamtgebilde der einzelnen Wörter, Pausen, Betonungen und des Rhythmus´ Sinn macht. Das Protokollieren kann ebenfalls zu starken Vereinfachungen oder zum Abkürzen einer Geschichte führen, deren Sinn und Sorgfältigkeit jedoch relevant wären.
Auch Stress, unter dem viele Angeklagte stehen, führt zu veränderten Kommunikationsmustern, etwa wenn sie während der Befragung Handschellen tragen müssen. In Stresssituationen wird insbesondere das Zuhören schwieriger, weil die Informationsverarbeitung stark reduziert ist. Auch Ängste vermindern die Fähigkeit, zuzuhören und führen manchmal zu irrationalen und widersprüchlichen Botschaften. Nicht zuletzt spielt auch der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle. Zum einen leidet natürlich ein Gespräch, wenn jemand stundenlang und ohne Pause befragt wird. Zum anderen wird die Zeit relevant, wenn ein Beschuldigter merkt, dass sich der Verhandlungsführer viel Zeit nimmt und so Druck ausübt. (...)
*Karin Freiermuth ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Nonprofit- und Public Management der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).