Umstrittene Grossprojekte im Wallis
Die Ausmasse des geplanten Pumpspeicherkraftwerks Nant de Drance im Wallis sind gigantisch. Durch Tunnel im Berg werden die beiden Stauseen Vieux Emosson und Emosson miteinander verbunden. Obwohl es ein Kraftwerk ist, produziert es weniger Strom, als es verbraucht. Herzstück des 17 Kilometer langen Tunnelsystems oberhalb von Finhaut VS bei Martigny ist eine 190 Meter lange, 32 Meter breite und 25 Meter tiefe Felskaverne. Diese wird noch bis 52 Meter Tiefe ausgebaut. In dieser Kaverne werden sechs Turbinen-Generatoren-Gruppen bei Volllast 900 Megawatt Strom produzieren, fast gleich viel wie das AKW Gösgen.
Nant de Drance funktioniert wie ein Akku. Ist der Strom teuer, wird Wasser auf die Turbinen gelassen und Strom erzeugt. Wenn Strom billig ist, wird hingegen Wasser in den oberen Stausee gepumpt. Hinter dem 1,9 Milliarden Franken teuren Projekt stehen der Stromkonzern Alpiq, die SBB, die Industriellen Werke Basel (IWB) und das Walliser Energieunternehmen FMV AG. Der «Akku» Nant de Drance soll ab 2018 dazu beitragen, dass die Stromspitzen der SBB besser bewältigt werden können. Das Pumpspeicherkraftwerk ist auf die Produktion bis anhin teurer Spitzenenergie ausgerichtet.
Wette auf künftigen Strompreis
Der Bauentscheid für Nant de Drance wurde getroffen, als der Vorgänger des Stromkonzerns Alpiq - die Atel - den Ersatz des AKW Gösgen plante. Der verheerende Reaktorunfall von Fukushima liess Gösgen II platzen und veränderte die Strombranche stark. Ob das Pumpspeicherkraftwerk dennoch rentabel sein wird, ist unsicher. Die Investitionen von 1,9 Milliarden Franken scheinen wie eine Wette auf einen künftigen Strompreis. «Wir sind überzeugt, dass wir diese Wette gewinnen werden, da Pumpspeicherwerke ein wichtiges Element der künftigen Versorgungssicherheit sind», sagt Eric Wuilloud, Direktor der Nant de Drance SA. Dies würden Studien zur Strompreisentwicklung zeigen. Wuilloud räumtaber auch ein, dass es bei einem grossen Zeithorizont von rund 80 Jahren «auch eine Glaubenssache ist». Er sieht Nant de Drance als «Lunge» des Schweizer Stromnetzes.
Weiter unten im Wallis thront über dem Tal das stillgelegte Ölkraftwerk Chavalon. Der Westschweizer Stromkonzern EOS will an diesem Standort ein Gaskombikraftwerk bauen. Es ist das am weitesten gediehene Projekt eines Gaskombikraftwerks in der Schweiz. Die Betreibergesellschaft hat mit dem Bund bereits einen Vertrag zur CO2-Kompensation abgeschlossen. Chavalon könnte mit der Leistung von 400 Megawatt die Haushalte der Kantone Waadt und Genf mit Strom versorgen. Die letzte Studie zur Wirtschaftlichkeit wurde im 2010 erstellt. Unter damaligen Rahmenbedingungen war die Rentabilität «befriedigend», wie Alexis Fries, Verwaltungsratspräsident der Centrale Thermique de Vouvry SA, auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA sagt. Vor Baubeginn wird erneut die Rentabilität des 600 Millionen Franken teuren Kraftwerks geprüft. Noch wichtiger als die Baukosten ist laut Fries der Gaspreis. Trotzdem zeigt sich Fries überzeugt, dass Chavalon gebaut werden und rentabel sein wird.
Energieexperten zweifeln an beiden Projekten
Anderer Meinung ist Georg Klingler, Energieexperte von Greenpeace. Seiner Ansicht nach widerspricht Chavalon einem ernst gemeinten Klimaschutz und wäre nicht nötig, falls der Bund mit der Förderung erneuerbarer Energien ernst machen würde. Bessere Aussichten sieht Klingler für Nant de Drance - dort könnte einst mit überschüssigem Solarstrom Wasser hochgepumpt werden.
Urs Meister, Energieexperte bei der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse, bezeichnet Pumpspeicherkraftwerke wie Nant de Drance als «Hochrisikoinvestitionen». Die bisherigen, sicheren und relativ grossen Tag-und- Nacht-Unterschiede beim Strompreis werde es so künftig nicht mehr geben. Pumpspeicher seien aber auf hohe Preisunterschiede und hohe Auslastung angewiesen. Beides sei bei zunehmendem Anteil an Wind- und Sonnenenergie unsicher. Die Rentabilität von Chavalon wird gemäss Meister infrage gestellt. Diese hänge auch von EU-Rahmenbedingungen und besonders der Klimapolitik ab.
«Energieland» Wallis
Für den Kanton Wallis sind die Projekte Nant de Drance und Chavalon weitere Schritte auf dem Weg, sich noch stärker als Energiekanton zu positionieren. Der zuständige Walliser Staatsrat Jean-Michel Cina (CVP) ist überzeugt, dass die Projekte rentabel sein werden. Das Wallis leiste bei der Energiewende seinen Beitrag für die Stromversorgung der Schweiz, sagt der Vorsteher des Departements für Volkswirtschaft, Energie und Raumentwicklung. Man wolle aus dem Wallis ein «Energieland» machen.
Auch bei den in den 1960er-Jahren gebauten Staumauern sei die Rentabilität nicht sicher gewesen. Preisschwankungen und Risiken gebe es immer. Wenn man nicht eine gewisse Risikobereitschaft an den Tag gelegt hätte, wären die Kraftwerke vor vierzig Jahren auch nicht gebaut worden. Und trotzdem seien sie rentabel gewesen. «Ich bin überzeugt davon, dass diese Projekte rentieren werden.» Ansonsten sei es der Preis, den die Schweiz bezahlen müsse, um ihre Eigenständigkeit in der Energieversorgung aufrecht zu erhalten. Stromversorgung sei wie die Trinkwasserversorgung, pflege er zu sagen, und müsse in öffentlicher Hand bleiben.
Stärkere Stromleitungen nötig
Bereits heute kann nicht mehr der gesamte Strom aus dem Wallis ins Mittelland transportiert werden, wenn die Kraftwerke im Bergkanton auf Spitzenproduktion hochfahren. Neue Höchstspannungsleitungen sind notwendig, führen jedoch oft zu langen juristischen Verfahren. Erst Anfang Juni entschied das Bundesgericht, dass zwischen Chamoson und Chippis eine Höchstspannungsleitung als oberirdische Freileitung gebaut werden darf. Die Gegner hatten gefordert, dass die Leitung ganz oder teilweise in den Boden verlegt werden muss.
Auch Chavalon und Nant de Drance brauchen neue 380-Kilovolt-Leitungen. Im Fall von Chavalon sistierte die für das nationale Stromnetz zuständige Netzgesellschaft Swissgrid das Projekt, weil unklar sei, ob das Gas- und Dampfkombikraftwerk Chavalon gebaut werde, wie auf der Swissgrid-Internetseite nachzulesen ist. Das Projekt für Nant de Drance befindet sich in der Bewilligungsphase. (sda/aes)