Gesundheit und Grünräume: Am Garten soll der Mensch gesunden
Ob Park, Schreberanlage oder Klostergarten – Grünräume sind gesund. Im aktuellen Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Gartenkultur (SGGK) geht es um „Garten und Gesundheit“. Es zeigt, dass Grünräume vor der Haustüre nicht erst seit Corona wichtig sind.
Quelle: Carl Spitzweg,1856
Biedermeier-Idylle: Ein Kaktusfreund mit seinen stacheligen Lieblingsgewächsen in seinem Hausgarten.
Gesundheit ist ein kostbares Gut. Dies führt uns nicht zuletzt die Pandemie vor Augen», heisst es im Vorwort der jüngsten Jahrespublikation «Topiaria Helvetica» der Schweizerischen Gesellschaft für Gartenkultur, die das Thema «Garten und Gesundheit» behandelt und zu einem kulturhistorischen Spaziergang durch Klostergärten, Familiengärten und städtische Grünanlagen lädt.
«Einschränkende Massnahmen zum Schutz der Gesundheit (…) haben viele unserer Lebensgewohnheiten auf den Kopf gestellt und den Bewegungsradius eingeschränkt. Vor diesem Hintergrund erfuhren Gärten, Parks und Ausflüge in die nähere Natur eine neue Wertschätzung. Viele Menschen haben in dieser Zeit das Grün vor ihrer Haustür neu entdeckt.» Dass der Park im Quartier oder der Wald hinter dem Haus nicht nur neu entdeckt, sondern während der Pandemie einfach auch wieder entdeckt worden ist, davon erzählt der vielfältige Büchlein anhand von zahlreichen Beispielen aus der Vergangenheit..
Dies gilt etwa für die Landflucht in der Industrialisierung: «Die städtische Bevölkerung nimmt in ungleichem Grade zu, als die ländliche; Besonders wachsen die Grossstädte an Umfang und Einwohnerzahl in bedenklichem Masse. Während des Zeitraums von 1867 bis 1871 hat im preussischen Staate die ländliche Bevölkerung um 197961 Personen oder 1,02 Prozent zugenommen, dagegen hat sich die städtische Bevölkerung um 466909 Personen oder 6,22 Prozent sich vermehrt», rechnete die deutsche Sozialreformerin und Stadtplanerin Gräfin Adelheid Dohna-Ponińska in ihrer Streitschrift «Die Grossstädte in ihrer Wohnungsnot und die Grundlagen einer durchgreifenden Abhilfe» vor, die sie 1874 unter dem Pseudonym Arminius veröffentlicht hatte. Berlin allein habe im gleichen Zeitraum um 123904 Einwohner oder um 17,4 Prozent zugenommen.
Gärten für die Arbeiterklasse
Im Umstand, dass es für das Gros der Arbeiterklasse trotz gestiegener Löhne immer schwieriger wurde, eine bezahlbare Wohnung zu finden, sah sie eine der Ursachen für soziale und gesundheitliche Probleme. Dies, weil die oft beengte Wohnsituation ihren Tribut forderte. Desaströse Hygieneverhältnisse, Seuchen und Infektionskrankheiten aber auch Mangelernährung gehörten zum Alltag der armen Stadtbevölkerung. Mit der Wohnungsnot erkannte die Gräfin noch ein weiteres Problem: «Die wachsende räumliche Ausdehnung der Grossstädte führt ausserdem noch den bedenklichen Nachteil herbei, dass der aus mannigfachen Gründen so notwendige, zeitweilige Aufenthalt in der freien Natur den Arbeitern ungemein erschwert wird.»
Dohna-Ponińska empfahl, Einfamilienhäuser mit Hausgärten und Wohnüberbauungen mit Hausgartenparzellen für die einzelnen Parteien zu versehen. Für diejenigen, die weder von einem eigenen Garten noch von einer Gartenparzelle profitieren konnten, schlug sie «Familienlauben in Nutzgärtnereien» – respektive Schrebergärten – am Stadtrand vor. Damit nicht genug. Zusätzlich riet sie, Promenaden und Parkanlagen zu schaffen. Damit könnte dem Bedürfnis der Stadtbevölkerung Rechnung getragen werden, sich mit Familie und Freunden in der Natur zu treffen oder mit Gleichgesinnten im Freien gemeinsamen Aktivitäten nachzugehen.
Paris‘ Boulevards und New Yorks Lunge
Mit dem Gedanken, dass mehr Grün in den Städten für mehr körperliche und seelische Gesundheit sorgen kann, war die Gräfin auf der Höhe ihrer Zeit und längst nicht alleine. Auch davon erzählt der kleine Band. So dürfte eines der spektakulärsten Projekte in diesem Zusammenhang die Stadterneuerung von Paris unter Georges-Eugène Baron Haussmann gewesen sein, der zwischen 1853 und 1870 als Präfekt des französischen Départements Seine geamtet hatte. Er liess die Stadt komplett umbauen und versah sie im Zuge dessen unter anderem mit weitläufigen Grünräumen und baumgesäumten Boulevards.
Etwa zur selben Zeit entstand in New York mit dem Central Park eine gigantische grüne Lunge, die sich heute über rund 350 Hektaren erstreckt. Den Plan dazu lieferten Fredrick Law Olmsted und Calvert Veaux. Sie sahen die Nachbildung verschiedener Landschaften der USA vor. Die Anlage sollte Wiesen für Picknicks und Spiele bieten, einen See, auf dem man Sommers mit dem Boot und Winters mit Schlittschuhen unterwegs sein konnte, aber auch Aussichtspunkte und lauschige Spazierwege. Die Bauarbeiten starteten 1859, 1973 öffneten sich die Parktore für das Publikum.
Mit solchen Geschichten liefert die aktuelle «Topiaria Helvetica» ahlreiche Denkanstösse. Weil das Thema so breit und vielfältig ist, wird vieles nur angetippt. Aber de Publikation macht neugierig auf mehr.
«Esset Bibernell, dann sterbt ihr nid so schnell.» Garten und Gesundheit
Topiaria Helvetica, Band 2022
SGGK Schweiz. Gesellschaft für Gartenkultur (Hrsg.), 104 Seiten, Format 21 x 26 cm, broschiert, zahlreiche Abbildungen, durchgehend farbig, vdf Hochschuleverlag an der ETH Zürich, ISBN: 978-3-7281-4104-0, 39 Franken