12:05 KOMMUNAL

Simulationstool der Empa: Was hilft gegen den Lärm der Bahn?

Teaserbild-Quelle: Holger Schué, Pixabay-Lizenz

Welche technischen und baulichen Massnahmen nützen gegen den Krach vorbei donnernder Güterzüge? Was hilft gegen den regelmässigen Lärm, den die S-Bahn verursacht, deren Strecke vor einer Siedlung verläuft? Solche Fragen kann ein Simulationstool beantworten, das die Empa im Rahmen des Projektes Silvarstar entwickelt hat.

Güterzug

Quelle: Holger Schué, Pixabay-Lizenz

Wie sich der Lärm von Güterzügen in unterschiedlichen Umgebungen weiss die Software, aber auch von einem ICE oder einer S-Bahn.

Für Anwohner von Bahnstrecken lästig und für Fachleute eine vielschichtige Herausforderung: der Lärm von rollenden Stahlrädern auf Schienen, von Bremstönen unterschiedlichster Frequenzen, Motorenlärm – je nachdem geprägt von Böschungen, der Beschaffenheit des Bodens unter den Gleisen, von Lärmschutzwänden und auch von der Umgebung, in der sich die Schallwellen ausbreiten. 

Wie komplex diese akustischen Folgen des Schienenverkehrs sind, wisssen die Fachleute um Gruppenleiter Reto Pieren von der Abteilung «Akustik / Lärmminderung» der Empa aus praktischer und theoretischer Erfahrung. Seit Jahren erkunden sie das Phänomen mit Messungen, Simulationen, Validierungen. Die dabei gewonnen Erkenntnisse sind in das zweijährige EU-Projekt «Silvarstar» mit eingeflossen. Das Resultat hat Pieren nun an der Fachtagung Forum Acusticum in Turin präsentiert: eine akustische Simulation von Bahnlärm unterschiedlichster Ausprägungen – hör- und erlebbar mit Hilfe von virtueller Realität. 

Solche Tools für die «Auralisation» gibt es vereinzelt als Prototypen in der Forschung, doch in der Praxis von Planung und Lärmschutz sind sie bislang nicht verfügbar. Das  Silvarstar soll das ändern – dank des gebündelten Wissens vieler Fachleute. Während das Empa-Team, das bei der Simulation die Projektleitung innehatte, sein akustisches Expertenwissen aus zahlreichen Projekten einfliessen liess, steuerten Fachleute von der Universität von Southampton UK und der Zürcher Firma Bandara VR GmbH Knowhow bei, um ein nutzerfreundliches System zu entwickeln. Als Grundlage diente unter anderem die verbreitete Software Unity, die in der professionellen Game-Entwicklung angeewandt wird. 

Hohe oder niedrige Lärmschutzwände, Interregio oder ICE

Ziel war schliesslich ein Tool, das auch Laien anwenden können. Zum Beispiel Verkehrspolitiker, die Auswirkungen einer künftigen Bahntrasse abschätzen möchten. Wie sie solche virtuellen Vorbeifahrten erleben, zeigt beispielhaft ein Video der Empa von Vorbeifahrten: Für eine einzige Strecke lassen sich mehrere Szenarien vergleichen, zum Beispiel mit Zugtypen vom Güterzug über eine Regionalbahn bis zum ICE, mit hohen oder niedrigen Lärmschutzwänden, spezifischen Rad- und Dämpfungstypen, die ebenfalls einen hörbaren Einfluss auf den Bahnlärm haben, und vielen weiteren Faktoren. Und weil auch die Umgebung eine Rolle spielt, können Nutzer zwischen «Stadt» oder «Land» oder einer ebenerdigen oder erhöhten Position wählen.

Video zu Silvarstar.

Hinter diesen Möglichkeiten stecken komplexe Algorithmen in einem physik-basierten Rechenmodell, das akustische Signale nicht aus archivierten Tondateien erzeugt, sondern allesamt einzeln berechnet und erzeugt – für hunderte Geräuschquellen und Einflussfaktoren, je nach Komplexität des Szenarios. Dies stellte das Empa-Team auch vor Herausforderungen. Denn die grosse Vielfalt von Einflüssen ermöglicht zwar realitätsnahe Simulationen, aber sie erforderte auch, das Geflecht der Algorithmen auf das Wesentliche zu reduzieren – dies mit Blick auf die nötige Rechenzeit: Ein moderner PC braucht bis zu drei Stunden, um eine Vorbeifahrt eines 500-Meter-Güterzugs, damit dessen Lärmemissionen unter verschiedenen Bedingungen hörbar gemacht werden können. 

Erste Einsätze von Silvarstar

Der Aufwand scheint sich zu lohnen, wie die Validierung des Systems zeigte. Die Grafiken der synthetisierten Lärmverläufe liegen laut Empa sehr nahe bei gemessenen Vergleichswerten und sind zum Teil gar deckungsgleich. Subjektive Eindrücke lieferten Vorführungen an Verkehrstechnik-Messen wie der «InnoTrans» im vergangenen Jahr in Berlin: Die Besucher attestierten der Simulation eine hohe Glaubwürdigkeit und zeigten grosses Interesse an der Anwendung des virtuellen «Bahnlärm-Spiels».


Für Interessenten ist der Download der Tools mitsamt Lizenzvereinbarung für nicht-kommerzielle Zwecke über die Silvarstar-Webseite der Empa möglich. «Die ersten Einsätze der Simulation beginnen bereits», so Pieren. «Wir sind mit den Resultaten sehr zufrieden und erwarten für die Zukunft zahlreiche Anwendungen.»  (mgt/mai)



Silvarstar: Internationales Projekt mit Förderung der EU

Das europäische Forschungsprojekt Silvarstar, das gut zwei Jahre lief, wurde im Rahmen des EU-Programms Horizon 2020 durch Europe's Rail gefördert. Im Projekt-Konsortium wirkten neben der Empa industrielle und akademische Partner aus fünf europäischen Ländern mit: Vibratec (Frankreich, Koordination), Wölfel Engineering (Deutschland), die University of Southampton (England), KU Leuven und UNIFE, die Union des Industries Ferroviaires Européennes (beide aus Belgien).  

Neben der Simulation von Bahnlärm entwickelte das Projekt ausserdem Modelle für die Erschütterungen des Untergrundes durch Zugverkehr. (mgt)

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