Poschiavo GR erhält Wakkerpreis 2025
Als „Vorbild für das gelungene Zusammenwirken von Tradition, Fortschritt und Gemeinschaftssinn“ würdigt der Schweizer Heimatschutz Poschiavo mit dem diesjährigen Wakkerpreis. Die Bauten des Hauptortes des Valposchiavo erzählen von einer bewegten Geschichte.
Quelle: Christian Beutler/Keystone/Schweizer Heimatschutz
Am Südhang des Berninapasses gelegen war Poschiavo wichtiger Ort für den Transitverkehr.
Seit Jahrtausenden bildet der Berninapass eine wichtige Verbindung
zwischen dem Oberen Engadin im Norden und dem Veltlin im Süden. Am
Südhang des Passes gelegen profitierte auch Poschiavo vom
Transitverkehr, von den Händlern und Säumern, die den Pass querten.
Im
Laufe der Zeit avancierte der Ort zur urbanen, zeitweise blühenden
Kleinstadt. Eine erstes Hoch bescherte ihm die Eroberung des Veltins im
1512 durch die Eidgenossen: Während der Handel im Tal auch mit den
südlich gelegenen Regionen zu florieren begann, entwickelte sich
Poschiavo im Zuge dessen zur Zwischenstation für die Mauliertreiber.
Rund zwanzig Jahre gab es einen weiteren Entwicklungsschub: Im Zuge der
Reformation flüchteten italienische Protestanten Richtung Norden -
einige liessen sich im katholischen Poschiavo nieder. Ihnen verdankt
Poschiavo den Umstand, dass hier kurze darauf die erste Druckerei
Graubündens gegründet worden ist.
Vom Nebeneinander der beiden
Konfessionen erzählen auch die Kirchen im Ort, zeitweise wurde die
Kirche San Vittore sowohl von Katholiken als auch von protestantischen
Gläubigen genutzt. Doch der 30jährigen Krieg - Poschiavo sollte
mehrheitlich katholisch bleiben - änderte dies und sorgte für eine
Trennung. Und dies wiederum hatte zur Folge, das vermehrt gebaut wurde.
Während die Reformierten ihr eigenes Gotteshaus in Norden des
Poschiavos errichteten, entstand bei San Vittore ein
Augustinerinnenkloster.
Die Palazzi der Zuckerbäcker
Quelle: Christian Beutler/Keystone/Schweizer Heimatschutz
Das Devon House: Das Devon House, erbaut 1863 von Pietro Pozzi, ist Teil der repräsentativen Via dei Palazzi, einer Reihe Herrenhäuser in eklektizistischem Stil mit gegenüberliegenden Gärten. Es wurde 1908 von der Familie Semadeni-Fisler nach ihrer Rückkehr aus England erworben. Heute finden hier kulturelle Aktivitäten statt: Der Besitzer betreibt im Garten ein Open-Air-Kino und nutzt die Scheune für einen Cinéclub.
Doch im Zuge des wirtschaftlichen Einbruchs den der Einfall von Napoleons Truppen im Veltlin verursacht hatte, wanderten viele Bewohner aus. Viele hofften, in den grossen Städten ihr Glück zu machen, unter andere als Zuckerbäcker. Einige von ihnen sollten in ihre alte Heimat zurückkehren, von ihrem Erfolg und dem gewonnen Wohlstand künden die prächtigen «Palazzi» jener Familien, etwa im Süden des Ortes.
Mitte des 19. Jahrhunderts verschaffte der Bau der Berninanpassstrasse oder vielmehr der Tourismus Poschiavo einen wirtschaftlichen Aufschwung: Der Ort wurde urbaner, der Dorfplatz wurde modernisiert und umgestaltet und alte Patrizierhäuser wurden dem Geschmack der Zeit angepasst. Derweil machte sich mit dem Bau einer Brauerei und dem einer Tabakfabrik die Industrialisierung bemerkbar. Daneben wuchs Poschiavo etwa im Süden mit einem Quartier aus noblen Wohnhäusern, hier wohnten vor allem Heimkehrer, die im Ausland wohlhabend geworden waren. Abermals Schub erhielt der Ort mit dem Ausbau der Eisenbahn.
All dies lässt sich bei einem Gang durch den Ort an den Bauten ablesen. Allerdings dürfte dies auch am sorgsamen Umgang der Gemeinde mit der Bausubstanz liegen: So ist der historischen Bestand sorgfältig inventarisiert und es sind Baureglemente entwickelt worden, die laut Schweizer Heimatschutz eine qualitativ hochwertige Instandhaltung und Weiterentwicklung garantieren. Neue Bauten orientierten sich an den traditionellen Grundsätzen, um das Ortsbild zu erhalten. Solches gilt auch für ausserhalb des Dorfzentrums: Die Maiensässe werden weiterhin genutzt und gepflegt.
Terassenlandschaften für Gemüse und Kräuter
Quelle: Christian Beutler/Keystone/Schweizer Heimatschutz
Vor Jahrhunderten legten die Landwirte mit Trockenmauern Ackerterrassen an, um Landwirtschaftsflächen zu gewinnen, die für die selbstversorgenden Familien existentiell waren. Zusammen mit der Gemeinde Poschiavo entwickelte die «Ente frazionale Poschiavo-Cologna» das Projekt «Runchett da Sotsassa» östlich des Dorfes. Ziel des Projekts: Wahrung, Wiederherstellung und Aufwertung der typischen Terrassenlandschaft in Poschiavo.
Eigenständig zu sein, ist für die Gemeinde ist eine Notwendigkeit: Abgeschieden gelegen verfügt sie über ein eigenes Spital, über Fernwärmeanlagen aber auch über Schulen und eine Bibliothek. Poschiavo stelle seinen Einwohnerinnen und Einwohnern eine umfassende Grundversorgung zur Verfügung, lobt der Heimatschutz in seiner Medienmitteilung und verweist auch auf das vielfältige Kulturangebot in der Region. Laut der Denkmalschutzorganisation ist diese Eigenständigkeit ein entscheidender Faktor im Kampf gegen die Abwanderung, unter der viele Bergregionen leiden.
Allerdings geht es um mehr als um Baukultur. Wie der Heimatschutz schreibt, gestaltet die Gemeinde Poschiavo ihre Kulturlandschaft aktiv weiter. Die traditionellen Terrassenlandschaften in der Umgebung werden wiederhergestellt und für den Anbau von Gemüse und Kräutern genutzt. Daneben sind über 90 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen Poschiavos biozertifiziert. Um den biologischen Anbau und die Kreislaufwirtschaft zu fördern, hat die Gemeinde mit dem Projekt Smart Valley Bio initiiert, es soll dafür sorgen, dass die gesamte Wertschöpfungskette vom Anbau, über die Verarbeitung bis hin zur Vermarktung im Tal bleibt.
„Poschiavo
zeigt eindrucksvoll, wie periphere Regionen ihre Potenziale nutzen
können“, schreibt der Heimatschutz. Mit dem diesjährigen Wakkerpreis
will er diesen Einsatz würdigen. Poschiavo sei nicht nur ein Beispiel
für gelungene politische und administrative Strategien, sondern auch ein
Beweis dafür, dass gesellschaftliches Engagement und Zusammenhalt eine
Berggemeinde zu einem qualitativ hochwertigen Wohn- und Arbeitsort
gestalten könnten. (mai/mgt)
Die offizielle Preisübergabe findet am 23. August im Rahmen einer öffentlichen Feier statt.
Quelle: Christian Beutler/Keystone/Schweizer Heimatschutz
Vor Jahrhunderten legten die Landwirte mit Trockenmauern Ackerterrassen an, um Landwirtschaftsflächen zu gewinnen, die für die selbstversorgenden Familien existentiell waren. Zusammen mit der Gemeinde Poschiavo entwickelte die «Ente frazionale Poschiavo-Cologna» das Projekt «Runchett da Sotsassa» östlich des Dorfes. Ziel des Projekts: Wahrung, Wiederherstellung und Aufwertung der typischen Terrassenlandschaft in Poschiavo.
Quelle: Christian Beutler/Keystone/Schweizer Heimatschutz
Der Palazzo Landolfi ist eines der ältesten Herrschaftshäuser in Poschiavo (ca. 1565), verbindet ländliche Tradition mit städtischem Einfluss. Einst befand sich hier erste Druckerei Graubündens, nebem der Werkstatt umfasst sie einen Wohn- und Wirtschaftsteil unter einem Dach. Das Gebäude wurde im Zuge eines Architekturwettbewerbs umgebaut. Die Architekten Corrado Albasini und Gianluca Martinelli kombinierten den historischen Bestand mit einem modernen Anbau, der zeitgenössische Fassadengestaltung integriert. Ergänzt durch eine Tiefgarage und einen neu gestalteten Garten wurde das Gebäudeensemble im Sinne der historischen Ortsentwicklung weitergedacht
Quelle: Christian Beutler/Keystone/Schweizer Heimatschutz
Die Mulino Aino führt das vorindustrielle Handwerk des bäuerlichen Lebens des 18. Jahrhunderts weiter. Mühle, Sägewerk und Schmiede werden mit Wasserkraft betrieben. Auf dem Gelände befinden sich auch das Waschhaus und die offene Hufschmied-Werkstatt. Die Mühle ist ein integraler Teil der lokalen Wertschöpfungskette. Sie mahlt den gesamten Buchweizenertrag des Tales, das gewonnene Mehl wird daraufhin lokal weiterverarbeitet.
Quelle: Christian Beutler/Keystone/Schweizer
Das ursprünglich vernakuläre Gebäude aus Stein und Holz wird wie zu Zeiten der Stufenwirtschaft als Zweitwohnung von der lokalen Bevölkerung weitergenutzt. Architekt Urbano Beti hat den steinernen Teil des Maiensäss Curvera aus dem Jahr 1588 in Zusammenarbeit mit der kantonalen Denkmalpflege rekonstruiert und den hölzernen Teil restauriert.
Quelle: Christian Beutler/Keystone/Schweizer Heimatschutz
Der Kulturspeicher der Musei Valposchiavo, ein Holzbau von Architekt Urbano Beti, ergänzt das vorindustrielle Gebäudeensemble «Mulino Aino». 2021 wurde der Kulturspeicher eingeweiht, ein Zentrum zur Erhaltung des kulturellen Erbes des Valposchiavo. Es beherbergt historische Alltagsobjekte, die hier aufbereitet, konserviert, gesichert und zur Vermittlung zugänglich gemacht werden.
Quelle: Christian Beutler/Keystone/Schweizer Heimatschutz
Der Neubau aus dem Jahr 2011 an der Via Olympia, entworfen von Architekten, orientiert sich an den charakteristischen Merkmalen des historischen Dorfzentrums. Die klassische Dreiteilung der Fassade und die typischen Proportionen wurden in eine moderne Architektursprache übersetzt. Mit seiner Einbettung in den Kontext erhielt das Gebäude eine besondere Erwähnung bei der Auszeichnung für gute Bauten Graubünden 2013.
Quelle: Christian Beutler/Keystone/Schweizer Heimatschutz
Die Gemeinde Poschiavo vereinigte ihre konfessionell wie örtlich getrennten Schulen zu einem einzigen Schulzentrum. Das Projekt ging 1969 aus einem Wettbewerb hervor. Der Architekt Andry Flurin realisiere den Bau. Mit dem architektonischen Ausdruck im Stil des Brutalismus, konstrastiert er mit benachbarten barocken Kirche.