Moorschutz verhindert Erhöhung der Grimsel-Staumauern
In der Schweiz geniessen Moorlandschaften seit Annahme der Rothenturm-Initiative im Jahr 1987 einen rigorosen Schutz. Bei seinem Urteil gegen die Erhöhung der Grimselsee-Staumauern argumentierte das bernische Verwaltungsgericht aber nicht allein mit dem entsprechenden Gesetzesartikel.
Bundesrat hat Kompetenz überschritten
Im Zentrum der Urteilsbegründung stand nämlich genauso ein Entscheid des Bundesrats aus dem Jahr 2004. Damals setzte die Landesregierung die südliche Grenze der national geschützten Moorlandschaft Grimsel auf einer Höhenkote von 27 Metern über dem heutigen Seeufer fest. Dies sei unzulässig gewesen, befand das Gericht. Einziges Ziel des Bundesrats sei es damals gewesen, der Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) die Vergrösserung des Sees zu ermöglichen. Bundesverfassung sowie Eidgenössisches Natur- und Heimatschutzgesetz erlaubten aber dieses Vorgehen nicht; die Landesregierung habe ihren Ermessensspielraum verletzt.
Ein Augenschein des Gerichts im Spätsommer 2014 habe klar gezeigt, dass die Moorlandschaft bis zum heutigen Seeufer hinab reiche. Das Gesetz verlange eine Abgrenzung solcher Schutzgebiete in erster Linie mithilfe von in der Landschaft klar ersichtlichen Merkmalen, etwa Geländekreten. Im Fall der Grimsel-Moorlandschaft stelle die heutige Seegrenze die logische Grenze dar, nicht die – unsichtbare – Höhenkote.
Das Gericht hiess mit diesem Entscheid Beschwerden mehrerer Umweltorganisationen gegen eine Änderung jener Gesamtkonzession gut, welche die KWO nutzt, um im Grimselgebiet ihre Kraftwerke zu betreiben. Der bernische Grosse Rat hatte 2012 die Änderung dieser Konzession beschlossen. Dieser Entscheid wird nun aufgehoben. Das Urteil fiel mit 5 zu 0 Stimmen klar aus.
Rigoroser Moorschutz verunmöglicht Güterabwägung
Mehrfach hiess es in der öffentlichen Urteilsberatung, der 1987 vom Schweizer Volk angenommene Rothenturm-Artikel in der Bundesverfassung bedeute einen absoluten Schutz für Moorlandschaften. Doch sagten auch mehrere Richter, sie bedauerten den dadurch fehlenden Spielraum für eine Güterabwägung.
Gemäss der KWO AG hätten sich die negativen Auswirkungen des Ausbaus auf die Umwelt in Grenzen gehalten: Die zusätzlich eingestaute Landfläche betrage 0,87 Quadratkilometer. Diese Fläche liege zwar in einer Landschaft von grosser Schönheit, räumt die KWO AG ein, doch werde die Seeerhöhung von 23 Metern diese Landschaft «nicht augenfällig verändern». «An keinem anderen Ort in der Schweiz kann mit so wenig Flächenbedarf und so geringem Materialaufwand ein so grosses zusätzliches Speichervolumen geschaffen werden», heisst es in einem Informationsschreiben des Unternehmens.
Verwaltungsrichter Thomas Müller sagte, «ein so rigoroser Moorschutz» sei angesichts der Diskussionen um die Energiewende «ein Luxus». Aus dem Kreis der einen Richterin und der vier Richter hiess es aber auch, es sei nicht an den Gerichten, sondern an der Politik zu entscheiden, ob sich diesbezüglich etwas ändern müsse.
Grimsel-Ausbau würde Kapazität verdoppeln
Mit einer Aufstockung der bestehenden Staumauern Spittallamm und Seeuferegg um 23 Meter könnte das Seevolumen um 75 Prozent gesteigert werden. Der grössere Speicher erlaube es, das Wasser besser über das Jahr verteilt für die Stromproduktion einzusetzen, argumentiert die KWO AG. Zudem könnten die Seezuflüsse so effizienter genutzt und längere Perioden von Stromknappheit besser bewältigt werden.
Die Kraftwerkbetreiber sehen in einer Vergrösserung des Grimselsees zudem einen Beitrag zumHochwasserschutz. Der vergrösserte See könnte gemäss KWO AG bei starken Niederschlägen die Abflussspitzen auffangen und so die Hochwasserfracht in Meiringen um bis zu 30 Prozent reduzieren.
Redimensionierung des Projekts kommt nicht in Frage
Rund 306 Millionen Franken (Stand 2011, +/- 20 Prozent) will das Unternehmen, das im Besitz der BKW, der Industriellen Werke Basel, der Stadt Zürich und des Stadtberner Energieversorgers EWB ist, für die Erhöhung der Staumauern und andere Bauarbeiten aufwerfen.
Ob das Unternehmen das Urteil vor Bundesgericht anficht, steht noch nicht fest. KWO-Direktor Gianni Biasiutti sagte unmittelbar nach der Urteilsverkündigung, der Konzern wolle vor einem Entscheid die schriftliche Urteilsbegründung in der Hand halten. Klar sei angesichts der richterlichen Aussagen, dass eine Redimensionierung des Projekts nicht in Frage komme.
Mehr Energieeffizienz statt grössere Staudämme
Als ein «schönes Weihnachtsgeschenk» bezeichnete hingegen Jörg Rüetschi vom WWF Bern als Sprecher der Umweltorganisationen den Gerichtsentscheid. Sie bekämpfen das KWO-Projekt seit mehr als 20 Jahren. Dies in erster Linie mit dem Argument, wenn der Grimselsee erweitert werden dürfe, werde es landesweit Mooren und Moorlandschaften an den Kragen gehen.
Die Umweltorganisationen sagen auch, damit die Energiewende gelinge, brauche es nicht grössere Stauseen, sondern vor allem mehr Energieeffizienz in Haushalten und Unternehmen. Aus Umweltsicht sei der Verzicht auf die Stausee-Vergrösserung kein Verlust, da diese nur der Energiespeicherung, nicht der Energieproduktion hätte dienen sollen. (sda/mrm)