Mit Schulden Geld verdienen
Seit die Nationalbank vor drei Jahren Negativzinsen eingeführt hat, sind Gemeinden begehrte Schuldner geworden. Insbesondere mit der Aufnahme von kurzfristigen Krediten können Kommunen sogar Geld verdienen. Das verleitet fast schon zum Schuldenmachen, doch die meisten Gemeinden handeln verantwortungsvoll.
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So günstig und so einfach wie jetzt konnten Gemeinden noch nie Fremdkapital aufnehmen. Das birgt Chancen wie Risiken.
Dass ich in meiner Karriere noch miterleben darf, wie die Gemeinde Fislisbach bei der Kreditaufnahme Geld verdient, hätte ich nie geglaubt», lässt sich Richard Schraner, Leiter Finanzen der Aargauer Gemeinde Fislisbach, auf der Webseite der Onlinefinanzierungsplattform Loanboox zitieren.
Auch Rolf Vorburger, Gemeinderatsschreiber im sankt-gallischen Steinach bestätigt: «In den letzten sechs Monaten haben wir mit zwei kurzfristigen Darlehen einen Gewinn erzielt.» 2016 hat die Stadt Zürich drei Überbrückungskredite im Gesamtwert von 300 Millionen Franken zu Negativzinsen aufgenommen – zur Abdeckung eines «saisonalen Liquiditätsbedarfs». Diese Kredite zahlte sie nach zwei bis vier Monaten zurück. Dafür habe die Stadt eine «kleine Rendite» von ungefähr 300 000 Franken bekommen, sagte Patrick Pons, der Sprecher des städtischen Finanzdepartements damals gegenüber dem «Tages-Anzeiger».
Und auch die Stadt Bern hat laut der Zeitung «Der Bund» alleine von Anfang 2015 bis August 2016 von verschiedenen Banken, Pensionskassen und Versicherungen kurzfristige Kredite aufgenommen und damit rund 450 000 Franken Gewinn erwirtschaftet.
Der Grund für diese dem gesunden Menschenverstand widersprechenden Gewinne ist das globale Tiefzinsumfeld, insbesondere die im Januar 2015 eingeführten Negativzinsen der Nationalbank. Seither ist es ungünstig, viel liquide Mittel zu horten. «Es ist für Anleger teurer ihr Geld bei der Nationalbank zu parkieren als es jemandem auszuleihen. Und die öffentliche Hand ist ein sehr sicherer und zuverlässiger Schuldner», sagt der Steinacher Gemeinderatsschreiber Rolf Vorburger.
Mit Schulden Geld verdienen? Die Versuchung scheint für Gemeinden gross, Investitionen vorzuziehen und so viele Kredite wie möglich aufzunehmen, solange das Marktumfeld derart traumhafte Bedingungen bietet. Reiner Eichenberger, Wirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg, gibt denn auch im «Bund» zu bedenken: «Viele Politiker ergreifen Chancen zur Ausdehnung der Staatsaktivität und zu zusätzlicher Verschuldung noch so gerne.»
Negativ für Gemeinden positiv
Doch sind die Gemeinden wirklich so verantwortungslos, wie es ihnen Eichenberger unterstellt, und erhöhen ohne Not die Schulden, nur weil es gerade günstig ist? Im «Tages-Anzeiger» verneinen bürgerliche Kommunalpolitiker: «Gemeinden dürfen nicht ihre Investitionspolitik ändern, nur weil das Geld billig ist. Wenn wir ein Schulhaus bauen, dann weil es nötig ist, und nicht, weil es wenig kostet», sagt der Oberriedner Gemeindepräsident Martin Arnold (SVP) stellvertretend. Auch offensive Landkäufe lehnt Arnold ab. Der Staat sei kein Spekulant.
Hinzu kommt: Würde etwa eine grössere Stadt deutlich mehr Geld aufnehmen als sie aktuell benötigt, müsste sie das Geld wieder bei einer Bank parkieren – und dafür selbst «Strafzinsen» zahlen. Aus dem Vorteil würde schnell wieder ein Nachteil. Die Negativzinsen, die für Gemeinden zu Positivzinsen werden, nehmen die Finanzverantwortlichen aber als «schönen Nebeneffekt» gerne mit, wenn Finanzierungen anstehen.
Alexander Gulde, Leiter des St. Galler Amts für Gemeinden, mahnt ebenfalls zur Vorsicht: «Investitionen sollten mit dem Bedürfnis der Bevölkerung und den langfristigen finanziellen Möglichkeiten der Gemeinden begründet werden. Das kurzfristige Finanzierungsumfeld sollte hingegen nicht massgebend für einen Investitionsentscheid sein. Insofern würden wir davon abraten, aufgrund der derzeitigen Finanzierungskonditionen die Investitionszyklen zu verkürzen.» Er sieht die Verlockung für Gemeinden aber durchaus und rät, nicht nur kurzfristig zu denken: «Die Tragbarkeit von Investitionen ist immer auch langfristig zu beurteilen. Wird die Beurteilung nur kurzfristig vorgenommen respektive werden die momentanen Finanzierungskonditionen bei der langfristigen Tragbarkeitsbeurteilung angewendet, besteht die Gefahr von übermässigen Investitionen.» Und solche würden den finanziellen Handlungsspielraum langfristig einschränken, so Gulde.
Kreditplattform profitiert
Nebst den Gemeinden profitieren auch die Kreditvermittler von der momentanen Situation. Die Onlineplattform Loanboox etwa hat seit ihrem Start im September 2016 schon Kreditanfragen in einem Volumen von über sieben Milliarden Franken erhalten – und das nur von der öffentlichen Hand (siehe Artikel «Auch Darlehen gibt es digital»). Das Geschäft lief so erfolgreich, dass Loanboox im Oktober 2017 nach Deutschland expandierte. In diesem Jahr ist der Markteintritt in weitere europäische Länder geplant.
Loanboox hat sich zum Ziel gesetzt, den Markt für öffentliche Finanzierungen radikal zu vereinfachen. Statt einzelne Banken oder teure Broker anzufragen, macht man auf der Onlineplattform eine einzige Anfrage und erhält alle Angebote zum gewünschten Zeitpunkt in übersichtlicher Form aufgelistet. Somit ist es gegenwärtig nicht nur so günstig wie noch nie um einen Kredit aufzunehmen, es ist auch einfacher als je zuvor.