09:43 KOMMUNAL

Mangelware Schulraum: Verschiedene Ansätze gegen die Schulraumnot

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: Stadt Zürich (Matthias Vollmer)

Mit wachsender Bevölkerung und veränderten Unterrichtsformen steigt der Bedarf an Schulraum in der Schweiz rasant an. Vielerorts werden hastig Neubauten hochgezogen, doch damit allein lässt sich die Nachfrage nicht decken. Ein Vergleich kleiner und grösserer Schulgemeinden und ihres Umgangs mit der sich abzeichnenden Schulraumnot.

ZM-Pavillons, Schulhaus Heubeeribüel Zürich

Quelle: Ben Kron

Pavillon statt Pausenplatz: Beim Schulhaus Heubeeribüel mussten Freiflächen zusätzlichen Klassenzimmern weichen.

Die Bevölkerung der Schweiz wächst beständig. Nach einer Phase der Überalterung nimmt inzwischen auch die Anzahl der schulpflichtigen Kinder wieder zu. Zwischen 2010 und 2020 stieg sie um fast sieben Prozent, so dass aktuell rund 975 000 Kinder die Schulbank drücken. Rechnet man die Kinder aus der Ukraine hinzu, sind es sogar rund eine Million. Und aufgrund der demographischen Entwicklung dürfte dieser Trend anhalten. 

Das wiederum stellt unser Schulsystem vor mehrere grosse Herausforderungen: Zum einen wird qualifiziertes Lehrpersonal knapp, so dass immer mehr Quereinsteiger zu Lehrerinnen und Lehrern umgeschult werden. Damit alle Kinder Unterricht erhalten, müssen im Moment sogar die Klassen vergrössert werden, was eigentlich den Anforderungen der modernen Pädagogik entgegen läuft.

Trend zu kleineren Klassen

Zum anderen nimmt der Bedarf an Schulraum laufend zu. Dies nicht nur wegen den vielen Kindern, die zusätzlich in die Schulen strömen, sondern auch, weil die Anforderungen an den Schulraum sich verändern. Der Trend geht generell wieder zu kleineren Klassen, dazu diversifiziert sich der Unterricht, und überall müssen wegen der zu schaffenden Tagesstrukturen zusätzlich Räume für Mittagstische und Betreuungsangebote gefunden werden. Nicht zu vergessen die zusätzlich benötigten Turnhallen. 

ZM-Pavillon Schulhaus Heubeeribüel Zürich

Quelle: Ben Kron

Pavillon-Neubau auf der grünen Wiese: Zürich hat aktuell 84 ZM-Pavillons an diversen Standorten in Betrieb; weitere sind geplant.

Immerhin: Die demographische Entwicklung lässt sich langfristig voraussagen, so dass auch die Bereitstellung von Klassenzimmern und anderen Räumen langfristig geplant werden kann. Das zeigt sich am Beispiel des Kantons Aargau: Hier wird die Zahl der Jugendlichen in der Mittelschule bis 2045 um satte 31 Prozent steigen. 

Bereits vor ein paar Jahren haben die Verantwortlichen deshalb den Bau neuer Kantonsschulen in die Wege geleitet, die 2029 beziehungsweise 2031 ihre Türen öffnen sollen. Auch Städte und Gemeinden sind gefordert. So muss die Kleinstadt Bülach ZH mit rund 22 000 Bewohnern bis ins Jahr 2040 Platz für rund zwanzig zusätzliche Klassen schaffen. Man hofft aber dank weitsichtiger Planung die hierfür anfallenden Kosten im Griff behalten zu können.

Beispiel Glarus

Auch in kleineren Gemeinden können die Verantwortlichen auf den sich abzeichnenden steigenden Bedarf frühzeitig reagieren, wie das Beispiel der Gemeinde Glarus zeigt. Diese betreibt in Netstal, Ennenda, in Glarus selbst und im Ortsteil Buchholz Tagesstrukturen. An diesen vier Standorten besteht für die total 151 Kinder ein umfassendes Betreuungsangebot, das vom Frühstück bis in den Abend hineinreicht. Auch eine Ferienbetreuung an einem zentralen Standort existiert.

Die Gemeinde Glarus entstand aus der Fusion der vier Ortsteile Netstal, Riedern, Glarus und Ennenda, die zuvor ihre Schulanlagen mit unterschiedlichen Zielsetzungen entwickelt hatten. Dank der Fusion konnte ein gemeinsamer kommunaler Richtplan verabschiedet und auf dieser Basis der Auftrag zur Erarbeitung einer Schulraumplanung für das gesamte Gemeindegebiet erteilt werden.

Schulanlage Allmend, Zürich, Neubau

Quelle: Stadt Zürich (Matthias Vollmer)

Neubau des Schulhauses Allmend in Zürich-Leimbach: Die Stadt wird in den nächsten 15 Jahren voraussichtlich zwei Milliarden Franken in Schulbauten investieren.

Bedarf noch nicht gedeckt

«In Zusammenarbeit mit einer externen Firma wurde der Bedarf an Schulraum anhand einer Schüler- und Klassenprognose mit Zeithorizont 2038 erstellt», erklärt Martin Bilger, der Departementsleiter Bildung und Familie. Zentrales Projekt war dabei das 2017 verabschiedete Sanierungsprojekt «Gesamterneuerung Schulhaus Netstal», mit einem Budget von acht Millionen Franken. Die Schule Netstal, deren Gebäude von 1838, 1905 und 1958 stammen, wurde in drei Etappen und während laufendem Schulbetrieb saniert. 

Nach der Ende 2022 mehrheitlich ab-geschlossenen Sanierung entsprechen die Schulbauten energetisch und in Sachen Sicherheit den aktuellen Anforderungen. «Lediglich Treppenlifte, gewisse Leuchten und der Haupteingang konnten aufgrund langer Lieferfristen noch nicht fertiggestellt werden», so Marc Ziltener, der Abteilungsleiter Immobilienmanagement der Gemeinde. Indes: «Der Bedarf an Schulräumen ist damit aber noch nicht abgedeckt», weiss Martin Bilder. Deshalb hat man eine Arbeitsgruppe gebildet, um die weiteren Bedürfnisse der Schulen abzuklären und eine effizientere Nutzung der aktuell vorhandenen Schulräume voranzubringen.

Während kleinere Städte wie Bülach oder Gemeinden wie Glarus ihre Probleme dank überschaubaren Schülerzahlen und einer in der Regel eher einfachen politischen Struktur lösen können, ist die Situation in den Grossstädten komplex. Dies zeigt das Beispiel der Stadt Basel: Ob-wohl hier in den letzten Jahren 790 Millionen Franken in 65 Schulbauten investiert wurden, musste man zuletzt vor allem mit zusätzlichem Schulraum aus Containern auf die wachsende Zahl von Kindern reagieren. Dazu wurden Gruppen- und Spezialräume zu Unterrichtsräumen umfunktioniert. 

Schulhaus Rüti ZH, Klassenzimmer

Quelle: Patrick Aeschlimann

Klassenzimmer in der Primarschule: Der Trend zu kleineren Klassen ist pädagogisch sinnvoll, verschärft aber das Schulraum-Problem zusätzlich.

Basel: Motion verlangt Massnahmen

Inzwischen aber kommt auch diese kurzfristige Lösung an ihre Grenzen. «Immer mehr Schulstandorte platzen aus allen Nähten» heisst es in einer Motion. Diese wurde von der Bau- und Raumplanungskommission (BRK) und der Bildungs- und Kulturkommission (BKK) gemeinsam eingereicht, also von insgesamt 13 Politikerinnen und Politikern aller Parteien, die zudem ein Viertel des Basler Parlaments darstellen.

Die Motion beklagt, dass Container zu einem festen Bestandteil der Schulraumplanung geworden seien. «Solche provisorischen Schulcontainer nehmen aber Grün- oder Pausenflächen weg», so Jeremy Stephenson, der Präsident der BRK. Gefordert wird deshalb ein Paradigmenwechsel: «Wir wollen, dass mehr in die Zukunft geschaut und mehr Schulraum gebaut wird als vielleicht im Moment nötig», so Stephenson. Denn die Situation wird sich mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung voraussichtlich weiter verschärfen.

Kindergarten-Neubau, Biel

Quelle: Gabriel Diezi

Kindergarten-Neubau in Biel: Auch hier setzt man auf Container, da diese bei sinkendem Raumbedarf einfacher umgenutzt werden können.

Zahlen steigen weiter

Gemäss Basler Schulblatt ist bis 2031 mit einem weiteren markanten Wachstum der Schülerzahl zu rechnen, selbst beim vorsichtigsten Szenario auf  Kindergartenstufe sieben, in der Primarschule zehn und auf den Sekundarschulen sogar 16 Prozent. Auch der Ausbau der Tagesstrukturen und der integrativen Schule erhöht den Platzbedarf. 

Die Motion verlangt deshalb, innert zwei Jahren eine geeignete Planung für Schulräume vorzulegen. Bereits zuvor hatten auch 2500 Lehrpersonen einen entsprechenden Antrag ans Erziehungsdepartement gestellt. Damals hiess es, das Problem sei erkannt, aber wegen des begrenzten Raumes gebe es keine einfachen Lösungen. Die nun vorliegende Motion hat das Departement noch nicht beantwortet.

Auch in Zürich steigt der Bedarf an Schulraum rasant an. Aktuell sind in der grössten Schweizer Stadt nicht weniger als 25 Schulraum-Grossprojekte in Planung, Projektierung oder Bau, denn in den nächsten 15 Jahren muss Platz für 7000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler geschaffen werden. 

Die einfache Ursache des Raumbedarfs: In den letzten zwanzig Jahren ist die Bevölkerung der Metropole um 75 000 Einwohner gewachsen. Für den benötigen Schulraum wird Zürich rund zwei Milliarden Franken aufwenden müssen. Trotz aller Bautätigkeit lässt sich der Bedarf mit Neu- und Ersatzbauten voraussichtlich aber nicht decken, weshalb auch kreative Lösungen wie Einmietungen geprüft werden. 

Schulhaus Ringstrasse, Chur, Projekt «Fortuna»

Quelle: Stadt Chur

Projekt «Fortuna» beim Schulhaus Ringstrasse in Chur: Der Neubau, der 89 Millionen Franken kostet, wurde 2021 vom Stimmvolk gutgeheissen.

Zürich setzt auf Pavillons

Daneben setzt die Stadt Zürich auf Pavillons. Seit 1999 existiert ein standardisiertes Modell, von welchem aktuell 84 Stück auf diversen Schulanlagen in Betrieb sind. In den nächsten drei Jahren dürften rund 30 weitere der meist zwei- oder dreigeschossigen und in Holzbauweise erstellten Pavillons dazukommen, die «Züri Modular»-Pavillons genannt werden.

Laut Stadtrat sei der Bedarf an Schulraum in allen Quartieren zwar gesichert und es lägen einige Bau- und Ausbauprojekte vor. Doch um auf kurzfristige Veränderungen reagieren zu können, seien Pavillons nach wie vor notwendig. Erst ab 2026 sollen keine neuen ZM-Pavillons mehr dazukommen. Zudem arbeitet man an einer Strategie, wie die Holzbauten dereinst umgenutzt werden können, wenn sie nicht mehr als provisorischer Schulraum dienen müssen.

Denn auch dies ist ein Teil des komplexen Problems: Irgendwann werden die Schülerzahlen wieder sinken – und dann braucht es wiederum vernünftige Lösungen, wie mit dem nicht mehr benötigen Schulraum umgegangen werden soll.

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