Leichter Anstieg der Sozialhilfefälle
Die Anzahl der Sozialhilfefälle hat 2017 gemäss der Städteinitiative Sozialpolitik mit durchschnittlich 1,6 Prozent weniger stark zugenommen als in den Vorjahren. Eine gute Nachricht gibt es bei den Jugendlichen: Der überwiegenden Mehrheit gelinge die Ablösung aus der Sozialhilfe.
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Schwierige Situation: Es gibt tendenziell weniger junge, dafür mehr alte Sozialhilfebezüger (Symbolbild).
Die Zunahme der Sozialhilfefälle in den untersuchten 14 Städten sei 2017 mit 1,6 Prozent vergleichsweise moderat ausgefallen, erklärte Studienautorin Michelle Beyeler am Dienstag an einer Medienkonferenz der Städteinitiative Sozialpolitik (eine Sektion des Schweizerischen Städteverbandes) in Bern. 2016 lag die Zunahme der Fälle noch bei 5,2 Prozent. Die durchschnittliche Bezugsdauer sei konstant geblieben, und habe sich nicht mehr erhöht wie in den Vorjahren.
Zug und Uster mit tiefer, Biel mit hoher Sozialhilfequote
Ein Faktor für diese Stagnation ortete Beyeler im verbesserten Arbeitsmarkt. Allerdings gebe es riesige Unterschiede bei der Sozialhilfequote. Die Spanne liegt zwischen 1,7 Prozent in Uster und Zug und 11,5 Prozent in der Stadt Biel, die weiterhin Spitzenreiterin in dieser unbeliebten Rangliste bleibt. Die Fallzahlen sind dort allerdings auf hohem Niveau leicht rückläufig.
Massgebliche Erklärung für das grosse Gefälle seien die sehr unterschiedlichen sozio-kulturellen Bedingungen in den untersuchten Städten, so Beyeler. Das grösste Sozialhilferisiko haben die Menschen im Jurabogen von Basel bis Genf sowie in den grösseren Deutschschweizer Städten mit Zentrumsfunktion. Der Jurabogen war früher noch stärker als heute industriell geprägt und bot auch vielen Unqualifizierten Arbeitsplätze an. Diese Jobs fallen heute zunehmend weg.
Heute fehlen rund jedem zweiten Sozialhilfebezüger die beruflichen Qualifikationen. Auch wer Flüchtling ist, wer ungenügende Sprachkenntnisse hat, geschiedener oder lediger Mann nach einer Trennung oder alleinerziehend ist, hat ein überdurchschnittliches Risiko, in der Sozialhilfe zu landen. Von den Altersgruppen haben Kinder und junge Erwachsene «mit Abstand das grösste Risiko», führte Nicolas Galladé (SP), Präsident der Städteinitiative Sozialpolitik und Vorsteher des Winterthurer Sozialdepartmentes, aus.
Lichtblicke bei den Jungen
Allerdings gibt es Lichtblicke am Horizont: Gemäss einem erstmals möglichen Längsverlauf über sieben Jahre habe sich gezeigt, dass 76 Prozent der 17-Jährigen, die 2010 von Sozialhilfe lebten, 2017 vorübergehend oder dauerhaft nicht mehr darauf angewiesen waren. Nur acht Prozent blieben dauerhaft abhängig.
Auch Ausländische Jugendliche würden die Integration schaffen, wenn auch etwas verzögert. Während von den 15-Jährigen ohne Schweizer Pass etwa jede sechste Person auf Sozialhilfe angewiesen sei, so sei es bei den 25-jährigen Ausländern nur noch jede 18. Person. Die Sozialhilfequote sei demnach in diesen beiden Altersgruppen von 17,5 Prozent auf 5,6 Prozent gefallen.
«Die Ausbildung ist ein wesentlicher Aktor für die Ablösung», stellte Galladé fest. Die Unterstützungsrichtlinien der Skos würden greifen. Eine Ausbildungsfinanzierung sei der wirksamste Hebel, um jungen Menschen ein autonomes Leben zu ermöglichen. Eine Ausbildung sei besser als eine prekäre Anstellung, sagte der Lausanner SP-Stadtrat Oscar Tosato, ein Stipendium besser als Sozialhilfe.
Zusammen mit dem Bieler Sozialdirektor Beat Feuerer (SVP) legte er dar, was die beiden Städte mit der höchsten Sozialhilfequote unternehmen, um junge Menschen aus der Sozialhilfe herauszuführen: In Lausanne sank der Anteil der 18- bis 25-jährigen Sozialhilfeempfänger innert Jahresfrist dank eines strengen Betreuungs- und Ausbildungsprogramms mit Ergänzungsleistungen von 17,4 auf 15,8 Prozent.
Der Blick auf die Jungen darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Sozialhilferisiko für Menschen über 45 Jahre in den Städten deutlich gestiegen ist. In Biel beispielsweise ist die Quote dieser Altersgruppe innerhalb von vier Jahren von 11,9 auf 13,4 Prozent gestiegen.
Verdoppelung der Kosten in 15 Jahren
Die Nettoausgaben für die Sozialhilfe in der Schweiz haben sich seit 2003 mehr als verdoppelt. Sie stiegen von 1,22 auf 2,72 Milliarden Franken. Das liegt deutlich über der Bevölkerungszunahme im gleichen Zeitraum.
Nicolas Galladé erklärt dies neben dem Bevölkerungswachstum mit der Individualisierung der Gesellschaft, der sinkenden Nachfrage der Wirtschaft nach Leuten ohne Ausbildung, mehr und teureren Sozialfällen und Verschärfungen in den bisherigen Sicherungssystemen, welche Armutsbetroffene nicht mehr auffingen.
Die Kennzahlen der Sozialhilfe werden von der Berner Fachhochschule und der Städteinitiative Sozialpolitik erarbeitet und dokumentieren auf der Basis von Daten des Bundesamtes für Statistik (BFS) die aktuelle Entwicklung von 14 Städten. Es sind dies Zürich, Basel, Lausanne, Bern, Winterthur, Luzern, St. Gallen, Biel, Schaffhausen, Chur, Uster, Zug, Wädenswil und Schlieren. In diesen Städten leben 26 Prozent aller Sozialhilfebeziehenden der Schweiz. (sda/aes)