Kranke Flüchtlinge kosten die Gemeinden
Seit sechs Monaten bereiten die St. Galler Gemeinden in Thal im Auftrag des Bundes syrische Flüchtlingeauf die Integration vor. Im August und Oktober 2014 sind je 30 Flüchtlinge eingezogen. Die vom UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) in einem Lager in Libanon ausgewählten Menschen haben es besonders schwer – sie sind verletzt, psychisch angeschlagen, traumatisiert.
Daher macht sich Beat Tinner, Präsident der St. Galler Gemeindepräsidenten, im «St. Galler Tagblatt» Sorgen über den Gesundheitszustand der Flüchtlinge: «Viele sind krank. Und praktisch alle haben Zahnschäden. Die Menschen waren bis zu vier Jahren in Lagern und hatten keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Das haben wir klar unterschätzt.»
Gemeinden müssen zahlen
Alle Flüchtlinge sind eigentlich krankenversichert. Der Bunde zahlt pro Person und Monat pauschal zudem 1500 Franken. «Darin sind auch die Gesundheitskosten enthalten, die über die obligatorische Krankenversicherung und die Prämienverbilligungsbeiträge nicht gedeckt sind, wie zum Beispiel Franchise, Selbstbehalte oder Zahnarztkosten», sagt Céline Kohlprath, Sprecherin des Bundesamts für Migration, gegenüber «20 Minuten». Ausgaben, die darüber hinausgehen, müssen von den Gemeinden übernommen werden.
«Wenn jemand aufwändige Krankheitskosten hat, übersteigen die Kosten diese Pauschale sofort», klagt Beat Tinner in der Gratiszeitung. Wenn ein Flüchtlingskind aufgrund einer Beeinträchtigung gar die Sonderschule besuchen oder fremdplatziert werden müsse, beliefen sich die Mehrkosten allein im Schulbereich schnell auf rund 20 000 Franken pro Jahr und Kind.
Man habe das Gespräch mit dem Bund gesucht, sei jedoch zu keinem positiven Entscheid gekommen. «Wir müssen nun kantonsintern schauen, wie wir mit dieser enormen finanziellen Belastung umgehen», so Tinner. Ein erster Schritt sei die Einrichtung eines Solidaritätsfonds. «Damit wollen wir verhindern, dass die Zusatzkosten für einzelne Gemeinden unzumutbar werden.»
Flüchtlinge in «deutlich schlechterem Zustand»
Auch in anderen Kantonen beobachten die Verantwortlichen die Situation genau. In Solothurn leben bislang zwei Gruppen aus libanesischen Flüchtlingslagern – die zweite ist erst vor Kurzem in der Gemeinde Biberist angekommen. «Diese Menschen sind gesundheitlich in einem deutlich schlechteren Zustand als die Flüchtlinge der ersten Gruppe», sagt David Kummer vom kantonalen Amt für soziale Sicherheit.
Ziel müsse es sein, diesen Flüchtlingen alle nötigen medizinischen und psychologischen Therapien zu ermöglichen. «Sollte die Pauschale von 1500 Franken dafür nicht ausreichen, werden wir wohl ebenfalls das Gespräch mit dem Bund suchen», so Kummer.
Gesucht: Föderaler Kompromiss
Denise Graf, Asylrechtsexpertin bei Amnesty International, betont gegenüber «20 Minuten»: «Gerade bei traumatisierten Menschen ist eine gute Behandlung der Schlüssel zur Integration.» Ansonsten drohten die Flüchtlinge von der Fürsorge abhängig zu werden. Graf geht davon aus, dass die Pauschale des Bundes in der Regel reichen sollte, um die Behandlungskosten zu decken.
Wenn ein Dorf in Einzelfällen aber besonders viele schwerkranke Menschen beherberge, müssten sich die beteiligten Akteure auf einen Kompromiss einigen: «Ich erwarte, dass Gemeinde, Kanton und Bund in diesem Fall gemeinsam eine Lösung finden.» Weiter appelliert Graf an die Solidarität der Bevölkerung: «Freiwilligenarbeit kann dazu beitragen, dass die Gesundheits- und Pflegekosten sinken.» (aes)