Ist der Föderalismus an der Zersiedelung schuld?
Acht Fussballfelder pro Tag – um diese Fläche wächst das Siedlungsgebiet täglich und dehnt sich dabei immer weiter in die Landschaft aus. Klare Siedlungsgrenzen sind oft nicht mehr zu erkennen und manche Gebäude stehen scheinbar planlos in der Landschaft verstreut. Folgen dieser Zersiedelung sind nicht nur hohe finanzielle Kosten für Bau, Betrieb und den Werterhalt der erforderlichen Infrastruktur, sondern vor allem auch der Verlust an wertvollem Kulturland und die Beeinträchtigung von Natur und Landschaft. Neben dem Bevölkerungswachstum und dem gestiegenen Platzbedarf werden häufig der schweizerische Föderalismus sowie die direkte Demokratie als Verursacher der Zersiedelung genannt. Diesem Vorwurf ging der Raumplanungsexperte Rudolf Muggli in der von der Sophie und Karl Binding Stiftung initiierten Studie «Ist der Föderalismus an der Zersiedelung schuld?» nach.
Föderalismus keine unmittelbare Ursache für die Zersiedelung
Mit einem interdisziplinären Ansatz ging der Bau- und Planungsjurist Rudolf Muggli der Frage nach, ob die schweizerische Form von Föderalismus und die direkte Demokratie die Zersiedelung fördern. Zersiedelung wird dabei verstanden als ungeplantes, ressourcenintensives Siedlungs- und Infrastrukturwachstum, das keinem nachhaltigen Konzept folgt. Bevölkerungs- und Siedlungswachstum bedeuten also per se noch keine Zersiedelung – vielmehr kommt es auf die Art und Weise des Wachstums an.
Die Studie kommt zum Schluss, dass weder der Föderalismus noch die direkte Demokratie als unmittelbare Ursache für die Zersiedelung betrachtet werden können. Beide bieten zwar keine Garantie gegen Fehlentwicklungen oder Vollzugsdefizite, aber sind auch offen für die der Zersiedelung entgegenwirkenden Kräfte und bieten Spielräume für raumplanerische Experimente und Innovationen. Zudem bilden Demokratie, Föderalismus und Rechtsstaat ein wirksames System gegenseitiger Kontrolle und Machtbegrenzung, das entscheidend zur Qualität der Raumplanung beiträgt. Trotzdem sind, so die Studie, angesichts der fortschreitenden Zersiedelung Verbesserungen unabdingbar.
Gefordert: ökonomische Instrumente und die Stärkung des Rechtsstaates
Neben Hinweisen auf den Zusammenhang zwischen Föderalismus, Raumordnungspolitik, direkter Demokratie, Rechtsstaat und Zersiedelung liefert die Studie auch konkrete Massnahmen. So seien ökonomische Kontrollinstrumente wie die Internalisierung der externen Kosten der Mobilität, der Abbau zersiedelungsfördernder Subventionen und ein Planungsmehrwertausgleich unverzichtbar, um die Zersiedelung einzuschränken. Da starke wirtschaftliche Kräfte auf dem Bodenmarkt in Richtung grosszügiger Einzonungen wirken, bräuchte es auch eine Weiterentwicklung von ökonomischen Instrumenten, die zur Kostenwahrheit beitragen.
Weiter fördere die fehlende Übereinstimmung der politischen Handlungsräume «Kanton» bzw. «Gemeinde» mit den funktionalen Räumen eine Kultur der Verantwortungslosigkeit. Um dem entgegen zu wirken, müssten die Bürger dort mitentscheiden können, wo sie die raumplanerischen Auswirkungen ihres Handelns selber sehen und spüren können. Zudem plädiert der Autor dafür, die rechtsstaatlichen Instrumente in der Raumplanung zu verstärken, beispielsweise durch ein Klagerecht von Behörden und ideell ausgerichteten Verbänden, da es oft keine Kläger gegen die Verletzung öffentlicher Interessen gebe.
Ergänzt wird die Studie mit fünf Thesen, in denen die Autoren erläutern, warum Föderalismus und direkte Demokratie nicht für alle Mängel der schweizerischen Raumplanung verantwortlich sind und was zur wirksamen Bekämpfung der Zersiedelung nötig ist. (mgt/aes)