14:14 KOMMUNAL

Interkulturelle Kompetenz: Die «Kulturbrille» ablegen

Teaserbild-Quelle: sshegeda/Pixabay

Der Kontakt zwischen Behörden und Bürgern birgt nicht selten ein gewisses Konfliktpotenzial – vor allem wenn die Betroffenen aus fremden Kulturkreisen kommen und sprachliche Hürden die Kommunikation erschweren. Weiterbildungen zum Thema interkulturelle Kompetenz sollen Gemeindemitarbeitern dabei helfen, besser mit solch konfliktträchtigen Situationen umzugehen.

Brille auf dem Tisch

Quelle: sshegeda/Pixabay

Wer bei Beratungsgesprächen die «Kulturbrille» weglegt und nicht nur auf Kulturunterschiede fokussiert, kann der ohnehin schon komplexen Situation besser gerecht werden.

Der Kundenkontakt ist für Behör­denmitarbeiter nicht immer leicht. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Interessen, die hier aufei­nander prallen, gänzlich verschieden sind. Der Verwaltungsangestellte möchte sei­nen Job gut machen, leidet gleichzeitig unter Zeitdruck, hat spezifische Vorgaben zur Fallbearbeitung und möchte seine Dossiers sachorientiert und effizient erle­digen.

Auf der anderen Seite steht ein Bürger, dem es um sein ganz persönliches Interesse geht. Die allgemeinen Vorga­ben, die der Verwaltungsangestellte zu beachten hat, interessieren ihn nicht. Er wünscht sich einen positiven Bescheid ebenso wie ein verständnisvolles Gegen­über, sei dies in der Sozialhilfe, im schuli­schen Kontext, auf dem Betreibungsamt oder im Kontakt zum Steueramt. Das Machtgefälle ist meist offensichtlich. Schnell besteht die Gefahr, dass der be­troffene Bürger sich unfair behandelt oder nicht ernst genommen fühlt.

Solche Situationen bergen von Grund auf Konfliktpotenzial und können zur täglichen Herausforderung werden – und das bereits ohne kulturelle Unter­schiede und sprachliche Hürden, mit de­nen Behördenmitarbeiter immer mehr konfrontiert sind. Spätestens wenn diese hinzukommen, wird die Sache besonders komplex.

Professioneller Auftrag

«Fachpersonen auf den Verwaltungen haben zunehmend Kunden mit Migrationshintergrund. Die demografische Entwicklung gibt dies vor und das wird auch nicht abnehmen, im Gegenteil», sagt Svenja Witzig vom Kompetenzzen­trum für interkulturelle Konflikte (Tikk). In diesem Zusammenhang würden sich immer wieder Herausforderungen ergeben, die Gemeindeangestellte und an­dere Fachpersonen an ihre Grenzen brin­gen. Darunter leide auch die Arbeitszu­friedenheit der Mitarbeiter. Das Thema interkulturelle Kompetenz setzt an die­sem Punkt an.

Interkulturelle Kompetenz ist – so weiss Wikipedia – die «Fähigkeit, mit In­dividuen und Gruppen anderer Kulturen erfolgreich und angemessen zu inter­agieren». Diese Fähigkeit wird im täglichen Kontakt zwischen Behördenmit­arbeitern und Bürgern immer wichtiger. Das zeigt auch das steigende Interesse an Seminaren und Weiterbildungskursen in diesem Bereich, wie sie das Tikk an­bietet. «Heute verlangt man von einer Verwaltung, dass sie kundenorientiert, persönlich und effizient ist. Beim Thema interkulturelle Kompetenz geht es dar­um, diesen professionellen Auftrag rich­tig zu erfüllen», ist Witzig überzeugt.

Gemeindespezifische Kurse

Um Fachpersonen, Organisationen und die öffentliche Hand in Sachen interkul­turelle Kompetenz fit zu machen, bietet das Tikk Beratungen und Weiterbil­dungskurse an, die auf die Bedürfnisse der Gemeinde respektive der teilneh­menden Mitarbeiter zugeschnitten sind. Die gemeindespezifischen Seminare kön­nen sowohl für die ganze Belegschaft als auch lediglich für Fachpersonen ei­ner besonders betroffenen Abteilung durchgeführt werden.

In der Bodenseeregion etwa haben sich Gemeinden und Städte aus Deutsch­land, Österreich und der Schweiz zusam­mengeschlossen, um ihren Lernenden im zweiten Lehrjahr das Thema interkultu­relle Kompetenz näherzubringen. In ei­nem internationalen und interdisziplinä­ren Setting besuchen die Auszubildenden gemeinsam einen zweitägigen Kurs, bei dem sie den professionellen Umgang mit Vielfalt erlernen und eigene Verhaltens­weisen reflektieren sollen.

Das Konzept für den Kurs hat Svenja Witzig vom Tikk vor 10 Jahren entwickelt. Die Weiterbil­dung für die Lehrlinge der Bodensee-Anrainer-Gemeinden ist allerdings ein Spezifikum dieser Region, das ursprüng­lich aus einem EU-Projekt entstanden ist. In der Regel richten sich die Tikk-Seminare an ausgelernte Gemeindeangestellte.

Andere Perspektive einnehmen

Neben dem Beratungsangebot für den beruflichen Alltag ist das Tikk auch An­laufstelle für betroffene Privatpersonen, die mit Rassismus, Diskriminierung oder sonstigen interkulturellen Konflikten konfrontiert sind. Deshalb kann sich das Tikk die Erfahrungen und Perspektiven von beiden Seiten zunutze machen: «Wir beschäftigen uns mit den Fällen, bei denen Fachpersonen an ihre Gren­zen kommen und um Coaching beten. Aber genauso mit Menschen, die sich bei uns über die Verwaltungen beschwe­ren», erklärt Witzig. Und auch wenn kein Seminar gleich ist wie das andere, im Kern geht es stets genau darum: den Perspektivenwechsel.

Ursprung des Konflikts wird in der Kultur gesucht

Wieso ist diese Auseinandersetzung mit den Anliegen des Gegenübers im Kontext der Behördentätigkeit so wich­tig? Damit beschäftigt sich auch die In­tegrationsbeauftragte von Kreuzlingen, Zeljka Blank-Antakli, die ebenfalls in die Lehrlings-Seminare am Bodensee in­volviert ist: «Häufig wird ein Problem zwischen zwei Parteien aus einer Kultur­perspektive betrachtet», sagte sie an der 5. Basler Fachtagung Integration.

Seminarteilnehmer wünschten sich re­gelmässig Informationen zur Kultur ih­rer Kunden und Bürger. «Sie möchten, dass man ihnen beibringt, wie sie kul­turelle Codes, die Werte und Normen anderer Länder, entschlüsseln können. Sie möchten wissen, wie die Menschen aus diesem oder jenem Land ticken.» Der Ursprung des Konflikts werde häu­fig irgendwo in der Kultur, in der Prä­gung und in den dahinterstehenden Werten der betroffenen Personen ge­sucht. «Dabei wird die kulturelle Prä­gung in der Regel als fixe Eigenschaft verstanden», so Blank-Antakli.

Fokus auf Fremdheit blockiert

Durch die Konzentration auf das An­derssein werden Verhaltensweisen einer Person mit Migrationshintergrund an­ders interpretiert als von jemandem mit Schweizer Abstammung. Blank-Antakli spricht dabei von einer «Kulturbrille», durch die hindurch das Verhalten der Person mit Migrationshintergrund er­klärt werde.

Auch Svenja Witzig vom Tikk kennt dieses Problem gut: «Wenn es zu Konflikten kommt, besteht die Gefahr, dass Schweizer Fachpersonen das Problem oder Verhalten der ‹fremden› Person rein kulturell verorten, also ‹kul­turalisieren›. Dann wird der Konflikt auf den vermeintlich kulturellen Unterschied zwischen den Beteiligten reduziert.» Das verunmögliche, andere wichtige Ein­flussdimensionen zu erkennen und so­mit auch eine adäquate Lösungsfin­dung, da die Situation als statisch betrachtet werde. «Es ist dann einfach so. Die Kunden werden so bloss noch als ‹schwierige Ausländer› wahrgenommen. Im Stil von: Die Person X kommt aus dem Land Y und dort ist das eben so. Punkt.»

Annahmen versus Realität?

Für die Seminare bedeutet das, dass anhand von konkreten Beispielen aus der Praxis versucht wird, alle möglichen Faktoren aufzutrennen, um dem wirklichen Problem auf den Grund zu gehen. «So merkt man teilweise plötzlich, dass die kulturellen Hintergründe bei einem konkreten Konflikt gar nicht so gewich­tig waren», so Witzig. Mit Beispielen, die Verwaltungsangestellte aus dem Alltag kennen, soll dabei aufgezeigt werden, dass das Konfliktpotenzial nicht immer nur im kulturellen Hintergrund zu verorten ist.

In den Konflikten lassen sich gewisse Muster erkennen. Häufig thematisiert werden etwa die folgenden Beispiele:

■ Es kommt immer wieder vor, dass Klientinnen der Sozialhilfe den Ehemann und weitere Angehörige zum Beratungs­gespräch mitnehmen. «Das kann etwa damit zusammenhängen, dass sich die Betroffene davon mehr Sicherheit ver­spricht. Das muss nicht gleich ein An-zeichen dafür sein, dass die Frau in ir­gendeiner Form unterdrückt wird», be­tont die Kreuzlinger Integrationsbeauf­tragte Blank-Antakli.

■ Die fehlende Kooperationsbereit­schaft eines Bürgers kann ihren Ur­sprung beispielsweise darin haben, dass die Person schon vielfach «institutionelle Abwertung» erlebt hat. «Dann hat das Problem gar nichts mit mir als Mitarbeiterin zu tun», so Blank-Antakli. Wer den Konflikt dabei «kulturalisiert», könnte zum Beispiel auch meinen, der Kunde habe Probleme mit einer weiblichen Mitarbeiterin. Eine Reihe von ne­gativen Erfahrungen mit Behörden kann jedoch genauso bei einer Person mit Schweizer Kultur und Abstammung an der Kooperationsbereitschaft nagen.

■ «Nehmen zugewanderte Eltern nicht am Elternabend teil, kann das mit einem Fremdheitsgefühl oder einem an-deren Verständnis des Schulsystems zu­sammenhängen», erklärt Blank-Antakli weiter. Das Nichterscheinen könne aber beispielsweise schlicht darauf zurück-zuführen sein, dass die Verantwortlichen der Schule nicht genügend deutlich kom­munizierten, was eigentlich der Sinn und Zweck einer solchen Veranstaltung ist und weshalb die Anwesenheit der Eltern verlangt wird.

Die Kulturalisierungsfalle vermeiden

Das Hauptziel der Weiterbildungskurse ist, den Verwaltungsangestellten mit Beispielen Anlass dazu zu geben, die ei­genen Arbeitsweisen und Denkmuster zu reflektieren. Sie sollen dabei lernen, trotz hoher Fallzahlen und klarer Vorga­ben mit konfliktträchtigen Situationen professionell umzugehen, vorschnelle In­terpretationen zu hinterfragen und ihre Handlungsoptionen zu erweitern.

Besonders in Sachen Handlungsspiel­raum stelle sie immer wieder Unterschie­de in der Fallbehandlung fest, je nach dem ob es sich um Schweizer oder aus­ländische Personen handle, berichtet Witzig. So etwa beim Verdacht auf häusliche Gewalt und der damit verbun­denen Meldung an die Kindes- und Er­wachsenenschutzbehörde (Kesb): «Bei unklaren, nicht gravierenden Fällen in Schweizer Familien wird zu Beginn eher das Gespräch gesucht, bevor eine Mel­dung an die Kesb erfolgt. Bei ausländi­schen Familien passiert es öfter, dass nie­mand mit der Familie gesprochen hat und diese völlig überrumpelt wird, nach­dem der ganze Apparat in Gang gesetzt wurde.»

Selbstverständlich gebe es Fälle, bei denen das durchaus das richtige Vorgehen sei – unabhängig von der Her­kunft der Familie. Es lohne sich aber, die Kontrollfrage «Wie würde ich bei einer Schweizer Familie vorgehen?» zu stellen, um sich der eigenen Handlungs­optionen bewusst zu werden. «Dies hilft, mehr Sicherheit zu gewinnen und zu vermeiden, dass man vorschnell in die Kulturalisierungsfalle tappt.»

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