Frankreich: Die Meister der Kreisverkehre
Kein Land hat mehr Kreisverkehre und baut mehr Kreisverkehre als als Frankreich. Ihr Boom begann in den 1980er Jahren, als man einen Trick aus England importierte, der dafür sorgte, dass der Verkehr im Rund auch wirklich zum Fliessen kam.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Die «fleur de lys» sehr erhaben – samt französischer Fahne.
Die Franzosen sind unangefochtene Weltmeister der Kreisverkehre. Kein Land hat mehr. Und jedes Jahr bauen sie weitere 500 bis 800. Wie viele es gibt ist heiss umstritten: Die Zahlen schwanken laut der Zeitung «Le Monde» zwischen 20000 und 65000. Das Zählen ist nicht ganz einfach. Schon weil man die Kreisverkehre zum Teil kaum wahrnimmt. In ländlichen Gegenden muss oft ein in der Mitte der Kreuzung aufgemalter gelber Kreis genügen. Um diesen sollte man dann brav aussen herum kreisen. Die Reifenspuren im Gelb zeugen davon, dass es auch anders geht und Lastwagen wegen ihres Wendekreises auch gar nichts anderes übrig bleibt, als einfach mittig darüber zu fahren.
Es gibt aber auch gigantische Kreisverkehre, die man kaum noch als solche wahr nimmt, Doppelkreisel und zwischendurch auch mal welche in Form einer Erdnuss.
Unangefochtene Kreisel-Weltmeister
Die Kollegen von der Nachrichtenagentur Agence France Presse (AFP) haben gar ermittelt, dass sich laut einer amerikanischen Studie bereits im Jahr 1997 die Hälfte der weltweit insgesamt 35000 Kreisverkehre in Frankreich befanden. Erfinder des Kreisverkehrs sind die Franzosen zumindest ihrer Meinung nach sowieso. Eugène Hénard liess 1907 den ersten Kreisverkehr in Paris bauen. Es ist derjenige, der rund um den berühmten Triumphbogen führt, in den gleich ein Dutzend Strassen einmünden. Der Kreisverkehr sollte die ständigen Karambolagen der Droschken und Kutschen an dieser stark frequentierten Stelle verringern. Die Zustände in diesem Verkehrschaos waren kaum noch haltbar, also liessen sich die Stadtväter auf das Experiment ein. Der Platz bot sich an, denn er war sowieso schon rund.
Das Prinzip musste den Droschkenfahrern allerdings erst einmal vermittelt werden: Einbahnregelung, Fahrtrichtung ausnahmslos gegen den Uhrzeigersinn, Vorfahrt von rechts. Hier hakte es dann auch immer wieder. Wer frisch in den Kreisverkehr einfährt kommt naturgemäss von rechts und drängt gnadenlos hinein. Der Verkehr, der sich bereits im Kreisel befindet, kann bei hohem Verkehrsaufkommen nie vernünftig abfliessen. Kutschen und Droschken verkeilten sich zu Stosszeiten weiterhin übel.
Quelle: Wikimedia, gemeinfrei
Wohl der Kreisverkehr in Frankreich schlechthin: Der Place de'Etoile respektive der Arc de Triomphe auf einer Postkarte aus den 1920er-Jahren.
New York vor Paris?
Aber auch die Amerikaner sehen sich als Erfinder des «Roundabout». Sie halten den New-Yorker William P. Eno für den Erfinder: Er hat offenbar bereits 1905, also zwei Jahre vor Paris, einen Kreisverkehr am Columbus Circle in Betrieb genommen. Seinen Durchbruch verdankt der Kreisverkehr in Frankreich allerdings einem britischen Kniff. Dort nämlich floss der berühmte Linksverkehr von Anfang an deutlich besser durch die kreisrunden Nadelöhre als auf der anderen Seite des Ärmelkanals. Nur wusste das in Frankreich offenbar niemand.
Erst Jean-Marc Ayrault, damals Bürgermeister einer Kleinstadt im Département Loire-Atlantique, stiess auf der Suche nach einer Lösung für einen dauerverstopften Doppelkreisel auf seinem Zuständigkeitsgebiet auf die Lösung. Er hatte das Glück an einen Berater mit guten Kontakte nach England zu geraten. Die beiden begutachteten das britische System vor Ort persönlich und waren begeistert. Der Clou des Systems: Wer bereits im Kreisel ist hat Vorfahrt – und schon fliesst der Verkehr.
Auf den kontinentalen Rechtsverkehr übertragen hiess es ab sofort «links vor rechts». Es gelang ihnen, eine die Genehmigung für einen Test französischem Boden zu erhalten. Und der bewährte sich. Ayrault wurde später Bürgermeister der Grossstadt Nantes. Er nahm die Idee dorthin mit. Kein Wunder ist die Stadt heute die heimliche Hauptstadt der Kreisverkehre: 1100 von 1300 Kreuzungen besitzen dort einen, hat Le Monde fleissig nachgezählt.
Erst als «links vor rechts» in ganz Frankreich übernommen wurde lösten sich landesweit die Fahrzeugknäuel. Das geschah allerdings erst 1984. Droschken waren längst passé. Sich anbrüllende Fahrer gab und gibt es aber nach wie vor und manchmal gewinnt eben der, der zuletzt bremst. Wenn es doch kracht so werden die Kosten von den französischen Versicherungen, sofern nicht einer der Beteiligten betrunken war oder das Handy noch in der Hand hatte, üblicherweise halbe-halbe aufgeteilt.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Das windschiefe Häuschen wird jeweils passend zur Jahreszeit dekoriert, Im Winter wohnt der Weihnachtsmann darin, zu Ostern der Osterhase. Nachts flackert im Inneren eine Laterne.
Kreiselboom ab 1984
In den 1980er-Jahren brach in Frankreich ein Bauboom los. All die neu entstehenden Quartiere und Einkaufszentren wurden und werden seitdem bevorzugt mit Kreisverkehren ans bestehende Strassennetz angebunden. Ihre Zahl entwickelte sich exponentiell. 1994 waren es bereits 12000, wie der Architekt Eric Alonzo in seinem Fachbuch «Du rond-point au giratoire» festhält. Von ihm stammt auch die Gesamtzahl von 20000 Kreisverkehren vom Anfang des Textes.
Die Franzosen lassen sich das alles durchaus etwas kosten. Ein Kreisverkehr kostete bereits im Jahr 2005 laut AFP im Schnitt zwischen 150000 und 180000 Euro. Dabei waren die Dekorationselemente noch gar nicht mitgerechnet. Nach Berechnungen der Zeitung Le Monde fliessen beim Bau vierzig Prozent des Gesamtbudgets in die Bauarbeiten für die Strasse, 25 Prozent in Trottoir und Co und fünf Prozent in die Beschilderung. Die restlichen dreissig Prozent wenden Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die etwas auf sich halten, für die Dekoration auf. Dabei ist die Skala allerdings nach oben offen.
Es gibt sogar einen «Rodin der Kreisverkehre», wie er manchmal genannt wird: Die überdimensionalen Werke von Jan-Luc Plé kosten je nach Aufwand zwischen 35000 und 100000 Euro. Sie sind dafür dann jeweils unübersehbar. Er versicherte «Le Monde» übrigens seine Preise seien keinesfalls überrissen. Ein bepflanzter Kreisverkehr verursache über die Jahre deutlich höhere Kosten in Form von Pflanzenmaterial und Unterhalt.
Deutlich weniger Unfälle
Trotz aller Kritik: Laut französischer Verkehrsstatistik gibt es im Kreisverkehr nur halb so viele Unfälle wie an städtischen Ampelkreuzungen. Er nimmt Geschwindigkeit aus dem Verkehrsfluss und sorgt so für mehr Sicherheit. Auf der Strecke bleiben allerdings die Fussgängerinnen und Fussgänger. Für die hat man bisher noch keine eine sinnvolle Verkehrsführung am Kreisverkehr erdenken können. Für die Velofahrenden ebenso wenig. Nur nur ständige Bremsbereitschaft und hohe Konzentration erlaubt es ihnen, unbeschadet die Runde zu drehen.
Übrigens spielen die Franzosen auch eine zentrale Rolle in der Weiterverbreitung des Kreisverkehrs in der Welt. Sie haben 1992 die erste Konferenz zu diesem Thema organisiert. 242 Teilnehmende aus ganz Europa reisten dafür an. Und auch eine Protestbewegung hat über erstaunlich lange Zeit ausgerechnet die Mittelinsel von Kreisverkehren als Ausgangspunkt benutzt. Dort kampierten und kampieren zum Teil noch die «gilets jaunes». Bevorzugt samstags demonstrieren sie an diesem Ort, den sonst kaum je ein Mensch betritt, für ihre Anliegen. Er ist gut gewählt – Kreisverkehre gibt es überall und jeder muss irgendwann dort vorbei.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Für Fussgänger sind Kreisverkehre der reinste Albtraum. Hier eine konsequente Lösung – sie überqueren ihn in luftiger Höhe.
Knacknuss: Wie man den Kreisel korrekt benutzt
Laut dem französischen Info-Sender «bfmtv» wissen 93 Prozent der französischen Fahrzeuglenkerinnen und -lenker nicht, wie man den Kreisverkehr regelkonform benutzt. Der Sender hat sich hilfesuchend an einen Ausbilder für Fahrlehrer gewandt und von ihm erfahren: Als allererstes muss zwischen «rond-point» und «carrefour giratoire» unterschieden werden. Einen «carrefour giratoire» erkennt man am blauen Verkehrszeichen mit Pfeilen darauf. Wo ein solches steht haben Fahrzeuge, die sich bereits im Kreisverkehr befinden, Vorfahrt. Es gilt also links vor rechts. Fehlen diese Schilder ist das Ganze nur ein «rond-point» und es bleibt bei rechts vor links.
In einem «carrefour giratoire» sollte man die innere Spur benutzen, wenn man mindestens zwei Ausfahrten passieren lässt, bevor man ihn wieder verlässt. Rechtzeitig blinken vor der Ausfahrt und immer schön aufpassen, ob die Kollegen auf der rechten Spur das auch wahrnehmen. Für alle anderen gilt: rechte Spur benutzen und ebenfalls rechtzeitig vor dem Ausfahren blinken.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Sogar mit zusätzlichem Stadtgrün – zumindest bis der erste unaufmerksame Lastwagenfahrer einen Versuch unternimmt, geradeaus weiterzufahren.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Kreiselkunst ist in Frankreich beliebt. Dieser hier dürfte eher unterhaltsarm sein.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Hinter dem Kreisverkehr liegt der örtliche Bahnhof. Das hat die Stadtgärtnerei offenbar inspiriert, Jule Vernes Reise zum Mond nachzuempfinden.