10:54 KOMMUNAL

Findlinge: Monumente der Eiszeit

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: Ben Kron

Findlinge sind mittlere bis riesengrosse Felsblöcke, welche die schmelzenden Gletscher am Ende der letzten Eiszeit zurückliessen. Doch die Steine sind mehr als nur Zeugen der Erdgeschichte: Sie bilden einen Lebensraum für seltene Arten – und markieren den Beginn des Naturschutzes in der Schweiz.

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Quelle: Ben Kron

Findlingsgarten in Zürich-Höngg: Überall im Mittelland um im Jura sind die erratischen Blöcke zu finden.

Wer im Mittelland oder im Jura lebt, hat sehr wahrscheinlich ein paar Exemplare in seiner Nähe: Findlinge, mittlere bis riesig grosse Gesteinsbrocken, die scheinbar ohne Zusammenhang in der Landschaft herumliegen. Und wer in Erdkunde nicht durchgeschlafen hat, weiss auch: Diese Steine wurden in der letzten Eiszeit von Gletschern hierher transportiert und dann liegengelassen, als die Eismassen vor etwa zehntausend Jahren schmolzen. Wobei die Geologie den Begriff Findling erst ab einem Volumen von einem Kubikmeter verwendet. Kleinere Steine gelten schlicht als Moränenmaterial.

Findlinge bestehen insgesamt aus einer Vielzahl von Gesteinsarten und sind mehr als nur Zeugen der Erdgeschichte und beeindruckende Exempel für die Kraft der Gletscher. Vor allem Silikatsteine sind für die Biodiversität von grosser Bedeutung: Denn sie bilden wichtige Lebensräume für einige hoch spezialisierte Algen, Flechten, Moose und Pflanzen, die nur auf solchen Silikatsteine gedeihen können. Zu diesen gehören etwa Feldspate und Quarze, die «Silikatinseln» in einer von Kalksteinen geprägten Landschaft darstellen.

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Quelle: Ben Kron

Ohne Bewuchs: Dieser Findling besteht aus Nagelfluh.

Beginn der Naturschutzbewegung

Darüber hinaus haben Findlinge gerade in der Schweiz eine besondere Bedeutung: Sie wurden im vorletzten Jahrhundert zu einer Art Nationalsymbol erhoben, und die Bemühungen um ihre Erhaltung stehen am Anfang der Naturschutzbewegung in unserem Land.

Tatsächlich war das Wissen um die Erdgeschichte lange mager, und erst Mitte des 19. Jahrhunderts brachten die auffällig herumliegenden grossen Steine Schweizer Naturforscher auf die Eiszeittheorie. Um auf Basis dieser Hypothese die Ausdehnung der eiszeitlichen Gletscher zu bestimmen, kam den erratischen Blöcken eine besondere Bedeutung zu: Sie waren quasi die Endsteine der maximalen Ausdehnung der Eisdecke und wurden dadurch zu wertvollen, schützenswerten Forschungsgegenständen. Denn bis dahin waren Findlinge ganz profan als Baumaterial abgetragen worden.

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Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Wehrli, Leo

Die «Pierre des Marmettes» bei Montey VS war der erste Findling, der in der Schweiz unter Schutz gestellt wurde.

Schutz der erratischen Blöcke

Für die Naturforscher aber waren die Findlinge wichtige Zeugen der einmaligen natürlichen Geschichte des Landes. Durch die zunehmende Nutzung der Steine, vor allem für den Eisenbahn- und den Strassenbau, sahen sich die Wissenschaftler gezwungen, für den Schutz und Erhalt dieser Naturobjekte aktiv zu werden. So rief der Forscher Alphonse Favre schon 1867 im Namen der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft (SNG) zum Schutz der erratischen Blöcke auf.

Der erste unter Schutz gestellte Findling ist die «Pierre des Marmettes», ein 1600 Kubikmeter grosser Findling bei Monthey VS. Er besteht aus Mont-Blanc-Granit, der sich für Eisenbahn-Schotter hervorragend eignet. Damit ihm dieses Schicksal erspart bleibt, wurde 1906 eigens die Schweizerische Naturschutzkommission gegründet, die den Findling zusammen mit der SNG erwerben konnte. Aus der Naturschutzkommission ging der heutige Naturschutzbund hervor.

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Quelle: Ben Kron

Vorbildlich: Dieser Nagelfluh-Findling wurde vom Kanton erfasst und sorgsam mit einer Infotafel beschriftet.

Erste kantonale Verzeichnisse

Im zwanzigsten Jahrhundert wuchs das Verständnis für die Bedeutung der Findlinge: Erste Kantone legten Verzeichnisse ihrer schützenswerten Objekte an, wozu auch Schalensteine gehörten. Einzelne Steine wurden sogar mit Tafeln beschriftet, von den Kantonsregierungen als geschützt erklärt und die Besitzer enteignet. Selbst Einträge ins Grundbuch wurden vorgenommen, was die sicherste Massnahme für den dauerhaften Schutz eines Objektes ist. 

Einige Kantone haben heute im Grundbuch nicht einzelne Objekte, sondern archäologische Zonen eingetragen, worin jede Bautätigkeit meldepflichtig ist. Ab dem Jahr 2000 kamen zudem erste Geotop-Inventare ins Netz, die teilweise auch Steindenkmäler und damit Findlinge enthalten.

30 Moos- und 80 Flechten-Arten

Zentrale Instanz für die Erforschung und den Schutz der Findling ist die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), die auch das Merkblatt «Portrait, Gefährdung und Schutz der Findlingsflora» herausgegeben hat. Die kostenlose Publikation richtet sich vor allem an Entscheidungsträger in Gemeinden und Kantonen. Die Forscher führen darin unter anderem auch 30 Moosarten, über 80 Arten von Flechten und mehrere Begleitpflanzen auf, die ausschliesslich auf den Silikat-Findlingen gedeihen können.

Die WSL-Forschenden halten fest, dass Findlinge zum Glück heute in den meisten Kantonen geschützt werden und immer seltener zu Schaden kommen. «Trotzdem kommt es vor, dass Findlinge noch heute aus Landschaftsflächen entfernt werden, etwa im Rahmen von Meliorationsprogrammen. Das führt zum lokalen Absterben der Findlingsflora.»

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Quelle: Ben Kron

Oft werden Findlinge zerstört oder als Lebensraum beschädigt: Sprayerei auf einem Felsblock.

Unsinniges «putzen»

Schaden nehmen kann diese Flora auch durch einen veränderten Lebensraum, zum Beispiel wenn bei Findlingen im Wald rundherum Bäume gefällt werden. Und dann werden heute noch Findlinge immer wieder «geputzt», zum Beispiel aus übertriebenem Ordnungssinn, oder um die Steine als Kletterfelsen zu benutzen. Trittschäden, aber auch das verwendete Magnesia-Pulver schädigen den empfindlichen Bewuchs ebenfalls.

Die Nutzung von Findlingen für Klettertouren ist dabei nicht nur sehr schädlich sondern blanker Unsinn: Jede Kletterhalle bietet mehr und längere Kletterrouten als ein Solitär, der durch die menschliche Nutzung mit hoher Wahrscheinlichkeit Schaden nimmt.

Sensibilisierung nötig

Wichtig für einen wirksamen Schutz der Findlinge ist laut WSL-Forschenden die Sensibilisierung von Personen der Verwaltung, des Naturschutzes sowie der Bau-, Land- und Waldwirtschaft: «Sie sollten bei der Planung und Umsetzung ihrer Tätigkeiten Findlinge und deren Flora berücksichtigen.» Dazu wünscht man sich eine bessere Kartierung und Dokumentierung der Findlinge, wie sie in einigen Kantonen schon erfolgt ist.

In der Landwirtschaft sollten Findlinge weder zerstört noch verschoben werden. «Massnahmen zum Schutz und zur Pflege können im Rahmen von Vernetzungs- oder Landschafts-Qualitätsprojekten abgegolten werden», wie dies der Kanton Zürich seit 2022 praktiziert. Zur Pflege der Findlinge empfiehlt es sich, Brombeeren und andere Gehölze vom Stein zu entfernen. Die Pflanzen rundherum sollten die Besonnung des Steins nicht zu sehr beeinträchtigen.

Bleibt am Ende noch die Frage für Unsichere: Woran genau erkenne ich einen Findling? Ganz einfach: «Alle in der Landschaft liegenden Steinblöcke, die  nicht der Zusammensetzung des lokalen Gesteins entsprechen und nicht von Menschen oder Flüssen dorthin transportiert wurden, sind mit grosser Wahrscheinlichkeit Findlinge.»

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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