Ausländischer Bürgermeister: Ein Däne in Rostock
Jetzt, wo in Europa wegen eines Virus die Grenzen geschlossen sind, ist diese Geschichte vielleicht wichtig, weil sie an gemeinsame Werte erinnert. In Rostock ist mit dem Dänen Claus Ruhe Madsen seit wenigen Monaten erstmals in Deutschland ein Oberbürgermeister mit ausländischem Pass im Amt.
Hat ein Herz fürs Velo: Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen.
Ein Möbelhändler aus Dänemark ist Deutschlands erster Oberbürgermeister mit ausländischem Pass: Letzten Herbst wählte die norddeutsche Hansestadt Rostock Claus Ruhe Madsen (48) in ihr höchstes Amt. Seine Kampagne lief unter dem Motto «Rostock bewegen» – und tatsächlich verlor der Däne während seines engagiert geführten Wahlkampfes zehn Kilo Gewicht. Und dies, obwohl er keine Zeit mehr fand, mit seinem geliebten Rennvelo unterwegs zu sein. Das schafft er bis heute nicht. Fünzehn-Stunden-Tage sind seit seiner Ernennung normal. Dafür trainiert er nun allabendlich Aktenschleppen, um diese nach Dienstschluss zu Hause durchzuarbeiten.
Eines seiner Herzensprojekte: Rostock velofreundlich machen. Aus Dänemark ist er sich zweispurige Velowege gewohnt. Dort haben sich diese derart bewährt, dass die Dänen innerorts lieber Velo als Auto fahren. Warum nicht auch die Bewohner einer norddeutschen Grossstadt? Zudem will der gebürtige Kopenhagener die Verwaltung im Blitztempo digitalisieren und wundert sich noch immer, wie viel bedrucktes Papier deutsche Verwaltungsangestellte produzieren. Bei der Digitalisierung hängt Deutschland den Dänen meilenweit hinterher.
Interkulturelle Differenzen
Die Aussichten bei Amtsantritt schienen auf den ersten Blick prächtig: Die Wirtschaft brummte, die Schulden hatte sein Amtsvorgänger abgetragen. Trotzdem machte Madsen erst einmal Kassensturz – und musste dann schwer schlucken. Der Schuldenabbau war offenbar unter anderem gelungen, weil man gnadenlos auf Verschleiss gesetzt hatte. Bei Schulen, Strassen, Denkmälern hatte sich gewaltiger Sanierungsbedarf aufgetürmt. Die Verwaltung hingegen fand Madsen, der konsequent jeden duzt, an manchen Stellen unnötig aufgeblasen und ineffizient. Also verhängte er erst einmal einen Einstellungsstopp. Auch diverse Bauprojekte wurden auf Eis gelegt.
Besondere Aufregung verursachte seine Aussage, auch die geplante Bundesgartenschau in Frage zu stellen. Das erwies sich für Madsen umgehend als ein Lernbeispiel für interkulturelle Unterschiede. Er hatte nämlich wörtlich das gemeint, was er gesagt hatte: in Frage stellen. Die Deutschen hatten verstanden: absagen. Madsen aber will es mit der Bundesgartenschau ebenso halten wie mit den anderen eingefrorenen Projekten. Bevor man die Millionen ausgibt erst einmal mit den verschiedenen Interessengruppen zusammensitzen.
Für ihn als Dänen ist es selbstverständlich, dass nicht, wie man es in Rostock gewohnt war, einer sagt wo es langgeht. Statt dessen will er mit den unterschiedlichen Interessenvertretern diskutieren, wie ein Projekt gestaltet werden muss, damit es möglichst viel Nutzen bringt. Und manchmal streicht man es eben nach reiflicher Überlegung auch. In der Schweiz hält man es ja ähnlich.
Velowege für Wohngebiete und Hafen statt Trams
Quelle: Julia Boldt, Pixabay-Lizenz
Blick auf Rostock.
Ein schönes Beispiel für seine grundlegende Herangehensweise, Dinge nicht einfach als gegeben hinzunehmen, ist die Strassenbahn. Auch hier sind die alten Wagen am Ende der Laufzeit angekommen. Es war bereits beschlossen, 39 neue Trams für 120 Millionen Euro zu ordern. Der frischgebackene Oberbürgermeister aber war der Ansicht, dass das lediglich den aktuellen Zustand einfrieren würde. Warum nicht erst überlegen, ob man vielleicht statt dessen auch in Velowege investieren möchte, den Seehafen und neue Wohngebiete geschickter anbinden? Vielleicht bräuchte es dann am Ende gar nicht so viele neue Trams und man könnte die Millionen anderweitig sinnvoller einsetzen? Die Rostocker Bürgerschaft war so etwas nicht gewohnt. Sie lehnte Madsens Ansinnen ab, will aber immerhin alternative Finanzierungen prüfen.
Madsen akzeptierte das notgedrungen und versucht nun, wenigstens seine Idee von 28 Kilometern Radschnellwegen zur Realisierung zu bringen. Auch das stiess nicht auf ungeteilte Begeisterung. Seine Verwaltung wollte ihm zeigen wo der Hammer hängt und berechnete ihm mehr als dreissig Jahre Bauzeit. Da war der Bogen dann doch überspannt. Madsen hielt das für einen schlechten Scherz. Er pocht nun auf vier Jahre Zeit bis zur sichtbaren Umsetzung der ersten Projekte in der Stadt. Man darf gespannt sein.
Seine grösste Baustelle ist nun, die Kommunikationskultur zu ändern. Er hat eine ämterübergreifende Fachgruppe gebildet, um das zu erreichen. Madsen will Teamarbeit in den Amtsstuben statt Einzelkämpfer und natürlich digitale Formulare statt Papierberge. Im Moment arbeitet er nach wie vor genau diese ab und schleppt weiterhin Abend für Abend Akten nach Hause, um sie abzuarbeiten. Denn er unterschreibt nur, was er auch gelesen hat.