Alte Festung umgenutzt: Kilometerweise Kunst in den Kasematten
1500 Quadratmeter in den Kasematten, die die Stadt Neuf-Brisach im Elsass umgeben, sind fest in den Händen der Street-Art. Bekannte Künstler durften sich schon an den Wänden austoben. Eine spannende Nutzung eines eigentlich nicht nutzbaren historischen Bauwerks.
Die fast uneinnehmbaren Festungen seines Baumeisters Vauban
liess sich Louis XIV. Unsummen kosten. Die zwölf besterhaltenen stehen längst
auf der Unesco-Weltkulturerbe-Liste. Ein Prachtstück sind die sternförmigen
Befestigungen von Neuf-Brisach. Hier kann man Vaubans berühmte und stetig
verfeinerte Festungsbaukunst so vollständig erhalten sehen wie kaum irgendwo.
Vom zentralen Exerzierplatz zieht sich ein
schachbrettartiges Strassennetz bis zu den sternförmig angelegten
Befestigungsmauern, Gräben und Toren. Bis heute hat Neuf-Brisach die Idealform
der barocken Festungsstadt beibehalten, die darauf angelegt war, dass sich
Truppen im Verteidigungsfall rasch und effizient bewegen konnten
Kein Platz für die Entwicklung
Selbstverständlich sind die knapp 2000 Einwohner des
Städtchens stolz auf dieses Erbe, das jedes Jahr zigtausende Touristen in den
Ort lockt. Ausdehnen kann sich das Städtchen jedoch nicht. Einziges
Zugeständnis an die Moderne war der Durchbruch einer Bahnlinie durch die
historischen Festungsmauern. Industrieansiedlungen fanden mangels Flächen nur
in den angrenzenden Orten statt. Neuf-Brisach ist eine Wohngemeinde für Pendler
nach Colmar und Freiburg.
Der Unterhalt der jahrhundertealten Anlagen, deren Existenz die Stadt ihr Dasein überhaupt verdankt, lastet auf dem Stadtsäckel. Und die Touristen können hier nicht viel mehr tun, als an den reich mit Infotafeln ausgestatteten Wällen und Mauern entlang zu flanieren. Natürlich beherbergen die Mauern längst ein Vauban-Museum. Was aber mit all den anderen Rampen und Mauern anfangen? Es fehlten die Ideen.
Viel Wandfläche
Vor zwei Jahren klopften Stanislas Belhomme und Clémentine Lemaître beim Rathaus mit einem Vorschlag an. Belhomme hatte kurz zuvor das erste Street-Art-Museum Frankreichs gegründet, damals noch im französischen Jura. Auf der Suche nach einem neuen Standort stiess er auf die Kasematten in Neuf-Brisach.
Er brauchte ja im Grunde nur möglichst viel Wandfläche im Trockenen. Die gab es in den gut erhaltenen Kasematten der Festung zuhauf. Die Stadt ergriff die Gelegenheit. Seitdem werden immer neue Künstler, die sich mit Street-Art in der Szene bereits einen Namen gemacht haben, ins Museum geladen.
«Es ist ein lebendes Museum, das sich ständig in Veränderung befindet», so Belhomme, «im Moment können wir die Werke von 28 Künstlern zeigen.» Mit dem neuen Standort ist er mehr als zufrieden – fast die Hälfte der Museumsbesucher kommt aus Deutschland, da Neuf-Brisach nah an der Grenze auf der Höhe von Freiburg im Breisgau liegt. Auch viele Schweizer kommen regelmässig, um zu sehen, was sich Neues getan hat.
Müllmännerschabernack
Das Musée d'Art Urbain et du Street Art (Mausa) lädt immer wieder Künstler ein, die dann eine ganze Wand oder meist sogar einen ganzen Raum gestalten. Einer macht eine Ausnahme: Der Belgier «Jaune». Seine Schabernack treibenden Figuren sind im ganzen Museum verstreut. Jaunes Thema sind die Arbeiter der Stadtreinigung. Alle in der leuchtenden Arbeitskleidung, die in seiner Heimatstadt Brüssel Vorschrift ist.
Jaune erzählt gern, wie er auf dieses spezielle Sujet gekommen ist. Er hat selbst eine Zeit lang als Müllmann gearbeitet. Je länger er das gemacht habe, umso bizarrer kam ihm das Verhalten der Passanten vor. Sie behandelten ihn, als wäre er unsichtbar – und das obwohl er grelle, neonfarbene Arbeitskleidung trug.
Unbeachtete Arbeiter
«Erst als ich selbst bei der Stadtreinigung war, wurde mir erst klar, welche Massen an Müll wir produzieren und welcher Aufwand es ist, die Städte sauber und attraktiv zu halten. Umso krasser ist es zu sehen, in welchem Ausmass die fluoreszierend gekleideten Arbeiter, die das Ganze jeden Tag stemmen, unbeachtet bleiben.»
Irgendwann begann er, in Brüssel erste Müllmännerfiguren auf die Wände zu sprühen. Im Mausa erklärt Jaune: «Meine Arbeiten beschäftigen sich mit dem Paradox zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren. Und das immer mit Witz.» Keiner seiner Arbeiter schleppt brav Müllsäcke. Alle machen Unsinn. Und warum nicht, es sieht sie ja keiner an. Sie hangeln sich an zufällig an der Fassade vorhandenen realen Kabeln entlang, spähen neugierig in sich auftuende Mauerritzen, kritzeln Zeichnungen auf Mauern.
Jaune arbeitet mit Schablonen, die er selbst anfertigt. Auf allen stehen Namen, denn für alle haben ihm belgische Müllmänner Modell gestanden. Allesamt haben sich geduldig von ihm in der benötigten Pose fotografieren lassen. Sie knien, spähen unter Gegenstände, hangeln sich an einem Vorsprung entlang oder deuten in eine bestimmte Richtung, so dass Jaune anhand der Fotos den Faltenwurf ihrer Kleidung in den teils alles andere als bequemen Positionen realistisch auf seine Schablonen übertragen konnte. Belhomme erzählt: «Besonders stark finde ich, wie Jaune die Schatten hinbekommt. Dadurch wirken seine Figuren unglaublich plastisch und realistisch.»
50 Kilo Schablonen
Jaunes Schablonenkoffer enthält 150 Figuren und wiegt an die fünfzig Kilo. Er nimmt auf seinen Reisen immer alle mit, damit er seine Kreationen an die Gegebenheiten vor Ort anpassen kann. Ein Riss in der Wand oder ein offen verlegtes Kabel genügen ihm schon als Inspiration. Kurze Zeit später können sich die Passanten über waghalsig daran hochkletternde Müllmänner amüsieren.
Im Mausa hat Jaune seine Figuren im ganzen Museum verteilt. Kinder, die alle finden, erhalten an der Museumskasse eine kleine Belohnung. Es sei schon verraten: Einfach ist es nicht.
Quelle: @Avuedecoucou
Neuf-Brisach aus der Vogelperspektive.
Die Stadt aus dem Nichts
Neuf-Brisach ist eine barocke Reissbrettstadt – und das
beste noch bestehende Beispiel für die Festungsbaukunst des Baumeisters von
Louis XIV. Die stark befestigte Stadt schuf der Architekt aus dem Nichts. Sie
gehört zu seinen besten Anlagen.
Die vom königlichen Baumeister Sébastien Le Prestre de Vauban (1633-1707) entworfenen Festungen standen im Ruf, uneinnehmbar zu sein. Durch ihre geschickt zueinander angeordneten Zacken hatten die Verteidiger keine toten Winkel, wenn sie den Beschuss der Angreifer erwiderten. Nachdem Frankreich 1697 nach dem Frieden von Rijswijk die Stadt Vieux Brisach (Breisach am Rhein) an Österreich abtreten musste, fehlte am Rhein zwischen Strasbourg und Mulhouse eine Grenzbefestigung. Das sollte der königliche Festungsbaumeister schnellstens beheben. Louis XIV. liess die Festungsstadt Neuf-Brisach an strategisch wichtiger Stelle anlegen. Vier Jahre lang arbeiteten zwischen 1500 und 2000 Mann an der Konstruktion. Da kein passender Steinbruch in der Nähe war, mussten sie zuerst einen Kanal nach Rouffach graben, um Stein aus dem Vogesenmassiv heranschaffen zu können. Er existiert übrigens bis heute. 1704 war die Festungsstadt bereits vollendet.
Vaubans Begabung, Festungen perfekt ins Gelände einzupassen
und jegliche Schwachstellen zu vermeiden, fiel schon früh auf. Louis XIV.
ernannte ihn mit bereits mit Anfang zwanzig zu seinem Festungsbaumeister. Ein
Posten, den er bis an sein Lebensende bekleiden würde.
Sein Auftrag: Das französische Königreich mit einem «ceinture de fer», einem
eisernen Gürtel, gegen einfallende Feinde zu schützen. 150 Zitadellen und
Festungen plante Vauban im Lauf seiner mehr als 50-jährigen Karriere. Keine ist
heute noch derart intakt wie jene in Neuf-Brisach. Sie ist eines seiner letzten
und seiner ausgefeiltesten Bauwerke.
Die Verteidigungsanlangen von Neuf-Brisach liess Vauban als
achteckigen Stern anlegen, der an jeder Spitze einen bastionierten Turm
besitzt. Diese Türme, Schlüssel zur Nahverteidigung, werden durch die
Kontergarden gegen Beschuss gedeckt. Jeder Turm verteidigt die beiden benachbarten
Türme und wird von diesen verteidigt. Die Verteidigungsanlagen bestehen zudem
aus zwei Wällen und diversen Vorwerken mit Artillerie.
Erst nach der Einnahme des Kampfwalls kann der Feind an den Sicherheitswall gelangen. Da dieser so angelegt ist, dass er von aussen nicht zerstört werden kann, sehen die Angreifer sich an dieser Stelle erneut einer unbeschädigten Verteidigungsanlage gegenüber. Neuf-Brisach wurde niemals erobert, verlor aber bald an strategischer Bedeutung. (ava)