Zivilschutz-Ausbildungszentrum bei Chur: Der Meiersboden macht sich
Bei Chur wird das Zivilschutz-Ausbildungszentrum auf dem Meiersboden erneuert. Vorherrschendes Baumaterial soll Holz sein. Das siegreiche Wettbewerbsprojekt bestach mit einfachen Konstruktionsprinzipien und einem Low-Tech-Haustechnikkonzept.
Quelle: atelier tsu GmbH/studiospazio/bersa inc.
Der Neubau wird neben der bestehenden Lagerhalle und dem Ufer der Plessur stehen.
Der Meiersboden wird in historischen Schriften bezeichnet als «kleine Landzunge zwischen den wilden Bergflüssen Plessur und Rabiosa, wo diese zwei Schwestern sich vereinigen». Der abgelegene, eher schattige Talgrund gegenüber der Bahnlinie nach Arosa gehört zur Gemeinde Churwalden, diente als Raumkammer aber seit jeher der rund zwei Kilometer weiter nördlich und talabwärts liegenden Stadt Chur.
1861 wurde hier eine Baumwollspinnerei errichtet. Dreissig Jahre später erwarb die Stadt die Liegenschaft und mir ihr die Wasserrechte der Rabiosa. Sie produzierte hier für einige Jahre den ersten städtischen Strom. Heute erinnert die vor rund sieben Jahren fertiggestellte Abwasserdruckleitung von Churwalden her an die Bedeutung des Meiersboden für die Energieversorgung.
Einiges, was in der Stadt nicht so richtig Platz fand oder möglicherweise störte, wurde im 20. Jahrhundert in den Meiersboden ausgelagert, etwa der Schiessstand, der im südöstlichen Teil einen Standort fand. Von 1975 bis 1976 baute der Kanton bei der Zufahrt am nordwestlichen Ende das Zivilschutz-Ausbildungszentrum (ZAC), bestehend aus einem Schulgebäude mit Verpflegungs-, Unterrichts- und Unterkunftsbereich, Lagergebäuden und dem Übungsgelände.
Letzteres wurde vor zwei Jahren umfassend aktualisiert und erinnert auf den ersten Blick an einen modernen Landschaftspark mit zahlreichen künstlerisch wertvollen Installationen. Neuer Nachbar des ZAC ist das im August 2022 eröffnete kantonale Erstaufnahmezentrum für Asylsuchende. Das nun geplante Ausbildungszentrum ist als weiterer Schritt für die umfassende bauliche Neuinterpretation des ZAC zu sehen, wobei die städtebauliche Rolle des Meiersboden die hergebrachte bleibt.
Quelle: atelier tsu GmbH/studiospazio/bersa inc.
Der Neubau fasst mit dem 2022 eingeweihten Erstaufnahmezentrum einen Platz ein.
Ersatzneubau als 3D-Modell
Mit einem offenen Projektwettbewerb suchte der Kanton Graubünden nach einem Ersatzneubau des Ausbildungszentrums mit Verpflegungs-, Unterrichts- und Unterkunftsbereich. Er ist am Standort seines Vorgängers geplant, zwischen der Zufahrtsstrasse und dem Bett der Plessur. Begründet wird das Vorhaben mit den längerfristigen Bedürfnissen des Zivilschutzes.
Das Vorhaben wird auch gesehen als Bekenntnis des Kantons zur Nachhaltigkeit, das im «Aktionsplan Green Deal für Graubünden» detailliert festgehalten ist. Die Reduktion der Treibhausgasemissionen und die Anpassung an den Klimawandel geht dieser effektiv mit höchster zeitlicher Priorität an. Hervorgehoben wurde im Zusammenhang während dem Wettbewerbsverfahren zudem die Chance, mit diesem Bauprojekt die Innovationskraft zu fördern und die Wertschöpfung im Kanton zu erhöhen.
Die Teilnehmenden, die als Generalplanerteams auftreten mussten, hatten die Nachhaltigkeit als integralen Bestandteil ihrer Aufgabe zu verstehen und mit hochwertiger Architektur zu verbinden. Die Nachhaltigkeitsaspekte hatten über bewährte Massnahmen und Standards hinauszugehen; Lebenszyklus-Denken, innovative Ideen der Ressourcenschonung, die Verringerung der Umweltbelastung und die Förderung der Biodiversität mussten in die Vorschläge eingebunden werden. Zu berücksichtigen waren sowohl Aspekte der Stromproduktion und Energiespeicherung, wie auch der Kreislauffähigkeit, der Suffizienz und das Potenzial von Low-Tech-Ansätzen. Die nachhaltige Betrachtung hatte auf dem gesamten Lebenszyklus des Gebäudes mit Projektierung, Erstellung, Bewirtschaftung und Rückbau zu basieren.
Die Wettbewerbsentwürfe waren auch als 3D-Modell einzureichen. Für dieses gab es strenge Konventionen, denn aus dem digitalen Zwilling mussten Vergleichswerte wie Mengenangaben, Angaben zu Kompaktheit-Gebäudehüllzahl (thermische Hülle/EBF), Fenster und Verglasung/Glasanteil und oder zu PV Fassade/Dach abrufbar sein. Die Prüfung solcher Werte mit einem online Model Checker musste möglich gemacht werden. Das traditionelle Gipsmodell stellte man den Beteiligten zwar wie üblich zur Verfügung, es war aber lediglich als Arbeitsgrundlage für die Generalplanungs-Teams gedacht und war nicht abzugeben.
Quelle: atelier tsu GmbH/studiospazio/bersa inc.
Das Atrium des Projekt steigt schräg nach Süden auf. So möchte man möglichst gut von der Wintersonne profitieren können.
Einfach und kompakt
Sechs Wettbewerbsprojekte wurden mit ihren 3D-Modellen fristgerecht eingereicht und nach einer gründlichen Voruntersuchung durch diverse Fachgruppen zur Beurteilung zugelassen. Das Verfahren endete mit der einstimmigen Empfehlung des Beurteilungsgremiums, das Projekt «ZicZAC» des Teams atelier tsu GmbH, Chur, und studiospazio/bersa inc., Zürich, weiter bearbeiten zu lassen.
Der vorgeschlagene Ersatzneubau des siegreichen Teams ist ein kompakter dreigeschossiger und unterkellerter Baukörper, der auf einem streng orthogonalen Raster beruht und parallel zum bestehenden Lagergebäude auf der gegenüberliegenden Seite der Zufahrt ausgerichtet ist. Der einfache, breit gelagerte Solitärbau in Holzbauweise, der im Grundriss annähernd ein Quadrat bildet, gliedert sich gut in die Umgebung ein, nach Norden begrenzt er zusammen mit dem ebenfalls in Holzbauweise realisierten Erstaufnahmezentrum eine Platzfläche. Jede Fassade repräsentiert einen Aspekt des ZAC: die achsensymmetrisch aufgebaute Repräsentation mit dem Haupteingang zum genannten Platz, Funktionalität auf der nach Westen orientierten Zufahrtsseite mit der Anlieferung. Die nach Osten, zur Plessur und nach Süden, zur Sonnenwiese orientierten Fassaden sind für das Entwurfsteam die Erholungs- und die Ruheseite. Zivildienstleistende dürften sich auf dieses zweiseitige Versprechen auf Momente der Musse freuen!
Die Nutzungen sind in horizontale Schichten gegliedert: Im fensterlosen Kellergeschoss werden Technik- und Schutzräume untergebracht, zudem befinden sich hier die Toilettenanlagen und Garderoben. Das ebenerdige Eingangsniveau beherbergt Verwaltung, Gastronomie und Aula, das erste Obergeschoss die Unterrichtsräume mit Klassen- und Lehrerzimmern und Gruppenräumen. Das zweite Obergeschoss dient der Beherbergung: 16 Doppelzimmer, Aufenthaltsräume und eine nach Süden, zur Sonnenwiese orientierte Dachterrasse versprechen eine angenehme Kursatmosphäre auch jenseits der Unterrichtsstunden. Der Nutzungswechsel ist durch die kleineren Fensterformate in der Fassade sofort erkennbar.
Auch die Tragkonstruktion ist in der Fassade abgebildet. Sie beruht auf einer einfachen Skelettstruktur mit einem Achsabstand von 3,4 Metern. Über dem Kellergeschoss wird sie in Holzbauweise erstellt. Die Grundelemente sind ein Traggerippe aus senkrechten Stützen und Unterzüge. Für die hochbeanspruchten Tragteile wird aus wirtschaftlichen Gründen Brettschichtholz vorgeschlagen, für die ergänzenden Tragteile für das Deckensystem soll konventionelles Schnittholz C 24 verwendet werden, alles aus heimischer Produktion. Das Zusammenfügen des Skelettbaus ist mit nicht sichtbaren Stahlbeschlägen (Knapp Verbinder) geplant, welche bei einem möglichen Rückbau einfach demontiert werden können.
Quelle: atelier tsu GmbH/studiospazio/bersa inc.
Vom Eingang führt eine Treppenfolge durch das Atrium zur Terrasse über der Sonnenwiese.
Quelle: atelier tsu GmbH/studiospazio/bersa inc.
Im ersten Obergeschoss sind die Schulungsräume untergebracht.
Nachhaltigkeitsaspekte
Wie die Gedanken zur «Rückbaustrategie» andeuten, umfassen die Nachhaltigkeitsaspekte sämtliche Eigenschaften der Architektur und der Materialisierung. Ein wichtiges Element des Nachhaltigkeitskonzepts ist das mehrgeschossige Atrium im Zentrum des Volumens. Es steigt nicht vertikal in die Höhe sondern verläuft diagonal nach Süden, vom Eingang bis zur Rückseite der erwähnten Terrasse. Mit diesem Verlauf möchte man möglichst viel Licht von der tief stehenden Sonne in den Wintermonaten einfangen. Das Atrium ist zudem als eine Art «Lunge» für das Gebäude konzipiert; alle Einzelräume sollen sich über dieses natürlich oder mechanisch mittels Verbundlüfter bedarfsorientiert belüften lassen.
Das Heiz- und Kühlsystem umfasst dieAktivierung einer thermischen Stampflehm-Speichermasse in den Böden. Da die Sonnenstunden im Meiersboden ziemlich limitiert sind, rechnet man damit, dass etwas weniger als die Hälfte des elektrischen Verbrauchs über eine Photovoltaikanlage auf dem Dach mit Sonnenenergie gedeckt werden kann. Die Wärme- und Kälteerzeugung geschieht über ein Erdsondenfeld. Auf dem Dach gesammeltes Regenwasser soll für die Spülung in den WCs eingesetzt werden.
Das einfach lesbare Projekt stellt eine flexible Nutzung in Aussicht. Aufgrund der kompakten Grundform und der einfachen Konstruktion lag es im Vergleich zu den anderen Wettbewerbs-Projekten im unteren Durchschnitt der Erstellungskosten. Der Low-Tech-Ansatz der Lüftung mit dem Atrium als Lunge und die Wahl natürlicher Materialien mit weitestgehend unbehandelten, rohen Oberflächen, aber auch der hohe Vorfabrikationsgrad der Tragstruktur und Fassade sollten sich nach Überzeugung des Beurteilungsgremiums positiv auf die Investitionskosten sowie die Betriebs- und Unterhaltskosten auswirken.
Quelle: atelier tsu GmbH/studiospazio/bersa inc.
Den drei überirdischen Geschossen sind unterschiedliche Nutzungen zugewiesen, welche durch den Atriumbereich miteinander verbunden werden.
Quelle: atelier tsu GmbH/studiospazio/bersa inc.
Den drei überirdischen Geschossen sind unterschiedliche Nutzungen zugewiesen, welche durch den Atriumbereich miteinander verbunden werden.
Quelle: atelier tsu GmbH/studiospazio/bersa inc.
Den drei überirdischen Geschossen sind unterschiedliche Nutzungen zugewiesen, welche durch den Atriumbereich miteinander verbunden werden.
Nachgefragt... bei Andreas Kohne
Quelle: Kanton Graubünden
Andreas Kohne ist Bündner Kantonsbaumeister.
Das neue ZAC sollte möglichst Ressourcen und Energie schonen. Weshalb wurde ein Umbau des Bestandsgebäude nicht in Betracht gezogen?
Zum Thema Weiternutzung des Bestandsbaus sind im Vorfeld verschiedene Analysen, Studien und Konzepte ausgearbeitet worden. Insbesondere die Überprüfung nachhaltiger Aspekte hat aufgezeigt, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Eine Nutzwertanalyse sowie CO2- und Nachhaltigkeitsberechnungen unter Berücksichtigung aller vorhandener Informationen ergaben, dass ein Ersatzneubau des Schul- und Unterkunftsgebäudes am gleichen Standort Vorteile gegenüber einer Instandsetzung aufweist.
Die beteiligten Wettbewerbsteams mussten ein digitales Modell erstellen. Haben sich diese Modelle bei der Evaluation und der Beurteilung bewährt?
Die Qualität der eingereichten digitalen Modelle war sehr gut. Diese dienten bei der Vorprüfung als Grundlage für die Flächenermittlung und Auswertung, respektive zum direkten Vergleich der Projekte. Bei der Jurierung waren die digitalen Modelle neben den Plänen eine wichtige Beurteilungsgrundlage. Die verschiedenen Projekte konnten mithilfe der digitalen Modelle unmittelbar miteinander verglichen und spezifische räumliche Situationen im Einzelnen dargestellt und überprüft werden.
Kann die weitere Bearbeitung des Siegerprojekts mit dem selben Modell erfolgen? Können die erhobenen Daten direkt für die Ausführung und anschliessend für den Betrieb genutzt werden?
Für die Wettbewerbseingabe wurden die Anforderungen an die digitalen Modelle mit Absicht möglichst einfach formuliert, um den Aufwand gering zu halten. Das Modell des Siegerprojekts wurde vom Planungsteam für die weitere Bearbeitung absichtlich neu aufgebaut, um mit den richtigen Ebenen- und Cluster-Strukturen den Planungs- und Bauprozess bestmöglich zu antizipieren. Dieses Modell bildet nun die Grundlage für die Planung und Ausführung, sowie für die spätere Bewirtschaftung. Es entspricht dem Konzept «BIM2FM».
Wurden auch Prognosen für die potenzielle Lebensdauer des Ersatzneubaus gemacht? Wird es auch 50 Jahre in Betrieb sein, wie sein noch bestehender Vorgänger?
Das Raumprogramm wurde mit den Nutzenden gemeinsam und mit Blick in die Zukunft erarbeitet. Beim Siegerprojekt sind die Räume so ausgelegt, dass eine möglichst flexible Nutzung möglich ist. Zudem wäre eine spätere Erweiterung des Gebäudes in Längsrichtung möglich. Bei der Überarbeitung wurde dahingehend eine entsprechende Anpassung in der Ausrichtung der Tragstruktur vorgenommen.
Wo steht das Projekt aktuell? Wann ist mit dem Spatenstich, wann mit der Einweihung zu rechnen?
Das Projekt ist aktuell in der Phase Vorprojekt/Bauprojekt. Nach Vorliegen des ausgearbeiteten Bauprojekts soll der Grosse Rat die entsprechende Baubotschaft anlässlich der Aprilsession 2024 beraten. Bei einer Zustimmung durch das Parlament würde im September 2024 das Geschäft der Bündner Stimmbevölkerung zur Genehmigung unterbreitet. Der Baubeginn ist für Frühling 2025 vorgesehen, der Bezug des neuen Ausbildungszentrums für Frühling 2027 geplant. (Interview: Manuel Pestalozzi)