Umnutzung: Das Ende von Monokulturen
Seit Jahren gibt es an vielen Orten ein Überangebot an Büroräumlichkeiten. Eigens für sie geschaffene Bauten lassen sich aber umnutzen. Besonders erfolgsversprechend ist dies an guten Lagen. So verwandelt sich auch der einstige PTT Hauptsitz Schönburg in Bern in ein kleines Quartier.
Quelle: Nightnurse Images GmbH
Die repräsentative Eingangszone des ehemaligen PTT-Hauptsitzes an der Viktoriastrasse bleibt erhalten.
Das Industriezeitalter steht für arbeitsteilige Gesellschaften, wobei relativ uniforme, disziplinierte Menschenmassen in einer räumlich und zeitlich präzise getakteten Umwelt produktiv tätig sind und schaffen Wohlstand. Die Architektur hat für diese Gesellschaften Grossbauten hervorgebracht, welche die Umstände widerspiegeln. Sie mussten optimale Bedingungen für die Produktivität bieten und sich aus einer eher distanzierten, rationalen Warte darum bemühen, die Bedürfnisse von Kopf, Herz und Hand zu erfüllen.
Die Zeiten ändern sich
Heute haben wir uns an den Wohlstand gewöhnt, der Umgang mit den «werterhaltenden» Lebens- und Arbeitsbedingungen ist in mancher Hinsicht lockerer geworden. Und die Ansprüche haben zugenommen, auch jene an die gebaute Umwelt. So soll uns diese gefühlsvoll und behutsam begegnen, graue Eintönigkeit im Grossformat ist verpönt.
Auch von nutzungstechnischen Monokulturen nehmen wir vermehrt Abstand, denn die Organisation der Gesellschaft ist komplexer geworden. Statt der Wahl zwischen Menu 1 oder 2, erwarten wir in Immobilien eine breite Palette von à la Carte-Angeboten, die auf jedes individuelle Bedürfnis eingehen können, sei es bei der Arbeit, in der Freizeit oder im privaten Bereich.
Für die Weiterentwicklung von bestehenden Immobilien und Arealen bieten diese hohen Erwartungen neue Chancen. Der rationale Entwurfsansatz der Vergangenheit erweist sich in diesem Zusammenhang oft als Glücksfall. Grossbauten, deren Strukturen auf einem durchgängigen, regelmässigen Raster aufgebaut sind, lassen Neuinterpretationen und entsprechende Eingriffe zu. Konzepte, welche Entwurfsteams einst entwickelten, lassen sich weiterspinnen.
Die Post zieht um
Noch dieses Jahr wird in Bern die Schönburg als «neues Zuhause im Herzen Berns» ihre Tore öffnen. Der Name weckt romantische, historisierende Assoziationen, es gibt ihn aber erst seit dem Bau des Hauptsitzes der damaligen PTT. Für den Staatsbetrieb wurde die Schönburg im Jahr 1970 fertiggestellt. Sie thront auf einem zuvor unbebauten Grundstück über dem Aargauerstalden, der von der Nydeggbrücke beim Bärengraben nach Nordosten, ins Beundenfeld hoch führt.
Der Entwurf stammte vom Architekten Theo Hotz aus Zürich (1928-2018), der mit seinem Projekt den Wettbewerb für sich hatte entscheiden können. An der Hangkante über der Aare und Berns Altstadt entstand ein Bauwerk, dessen Grundriss sich mit dem Flügel einer Windmühle vergleichen lässt, flankiert von Annexbauten mit Konferenz- und Gastronutzung.
Den Haupteingang positionierte man an der vielbefahrenen Tangentialverbindung Viktoriastrasse, zum Hang über der Aare wurde ein Parkraum angelegt. «Eine der Bauaufgabe angepasste, elegante Materialisierung unterstreicht die Bedeutung, die die PTT als staatliches Organ damals hatte», ergänzt die Website des Architekturbüros Theo Hotz Partner heute die Beschreibung dieses Werks, das Raum für 1400 Büroarbeitsplätze bot.
Nach der Aufspaltung der PTT ging das Gebäude an die Post. Diese bezog 2014 ihren neuen Hauptsitz im Wankdorf-Quartier. Die Schönburg wurde der SPS Immobilien AG verkauft. Sie beschloss, den Bürokomplex durch eine Umnutzung der bestehenden Struktur und bauliche Ergänzungen zu einer Wohnsiedlung mit Hotel, Läden und einem Fitnesszentrum zu machen.
Für die Architektur engagierte die neue Eigentümerin das Büro Theo Hotz Partner in Zürich, das somit an ein eigenes Werk Hand anlegen konnte. Es bildet mit Marazzi + Paul Architekten, ebenfalls aus Zürich, für diese Aufgabe eine Arbeitsgemeinschaft.
Neue Inhalte
Die Umnutzung behält das ursprüngliche Grundkonzept bei: Das kreuzförmige, bis neungeschossige Hauptvolumen veränderte man in Grundriss und Höhenstaffelung nicht. Die ostseitigen Annexbauten wurden abgebrochen und durch ein Volumenersetzt, das sich oberhalb des Aargauerstalden dem Hang entlang zieht. Sie enthält zweigeschossige «Townhouses» und beim grundsätzlich unveränderten Arealzugang an der Viktoriastrasse Räume für Retail und das Fitnesszentrum. Sie sind bereits an Coop vermietet. Die zweigeschossige Tiefgarage blieb erhalten.
Hotel und Wohnungen teilen sich die grosszügige Vorzone an der Viktoriastrasse. An ihr liegen die Zugänge, sie führen in nebeneinanderliegende Empfangshallen. Jene der Wohnanlage befindet sich bei der Nahtstelle von Hauptvolumen und «Townhouse»-Zeile. Über lange Korridorfluchten mit Blick in den Park gelangt man von hier in die «Nabe der Windmühle» und weiter in die einzelnen Flügel des Hauptbaus, die auch direkt über Lifte und Treppen erschlossen sind und jeweils eine Verbindung zur Tiefgarage herstellen.
Das Hotel mit den 188 Betten nimmt den Nord- und Teile des Ostflügels ein, im 7. Obergeschoss steht ihm auf dem Dach des Ostflügels ein Dachgarten zur Verfügung. In den verbleibenden Gebäudeteilen sind 83 Zweieinhalb-, 33 Dreieinhalb und 16 Viereinhalbzimmer-Wohnungen untergebracht. Die zehn neuen «Townhouses» bieten zusätzliche Zweieinhalb-, bis Viereinhalbzimmer-Wohnungen, die um Atrien angeordnet sind. Sämtliche Einheiten werden vermietet.
Quelle: Rob Lewis
Die Natursteinfassade und die in einem Bronzeton gehaltenen Metallteile hellen das Volumen auf.
Neues Gesicht
Der Nutzungswandel äussert sich auch in einer neuen Fassade. Der Bürokomplex basierte auf einem Raster von 135 Zentimeter. «Damit würde im Wohnbereich sicher niemand glücklich werden», meinte Britta Richli, die Verantwortliche des Grossprojekts von Seiten der Swiss Prime Site Immobilien AG, in einem Interview. Deshalb habe man ein neues Viermeter-Raster eingeführt. Dieses bestimmt nun die Formate von Fenstern und Loggien der Wohnungen, welche in das Volumen hineingeschoben sind.
Grundsätzlich wurde die bestehende Materialität und Farbigkeit übernommen, denn das Gebäude soll nach wie vor an seine Vergangenheit als PTT-Hauptsitz erinnern. Die geschlossenen Bereiche und Brüstungsbänder des kreuzförmigen Haupthauses verkleidete man neu mit einem grünlicheren Granit, der es etwas heller, wärmer und wohnlicher erscheinen lässt. Metallflächen sind in einem entsprechend wirkenden Bronzeton gehalten, auch diese Massnahme hellt das Gebäude auf.
Die Fassaden der neuen «Townhouses» bestehen aus Sichtbeton mit Grauzement. Als Zuschlagstoff wurde derselbe Naturstein (Verde Salvan aus dem Wallis) verwendet wie an der Fassade des Hauptgebäudes. In der Fernsicht bilden damit Baubestand und Neubau eine Einheit, im Nahbereich zeigen sich feine Unterschiede in Material und Oberfläche.
Sandfarbene Textilien als Sonnenschutz ergänzen die Palette, welche mit wenigen, aber prägnanten und zeitlosen Materialien arbeitet. An den Mieterinnen und Mieter ist es nun, mit persönlichen Akzenten die Uniformität der Anlage weiter aufzulockern.
Neuinterpretation in Zürich
Der Umnutzung in Bern sei abschliessend noch ein etwas älteres Beispiel in Zürich gegenübergestellt. In einem zentral gelegenen Villenquartier im Quartier Seefeld verwandelte die Architektin Tilla Theus von 2014 bis 2016 am Kirchenweg den Hauptsitz des Verbands der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (heute Swissmem) in ein Wohn- und Bürogebäude.
Das repräsentative Bauwerk, das 1967 fertiggestellt wurde und mittlerweile unter Schutz steht, entstand nach Plänen des vom renommierten Architektentrios Haefeli Moser Steiger . Die Eingriffe mussten daher mit grosser Behutsamkeit vorgenommen werden. Die in diesem Fach sehr erfahrene Architektin entschloss sich zu einer «Mutation mit massvollen, präzis gesetzten und die raumentfaltende Grösse bewahrenden Interventionen».
Zu den wichtigsten Eingriffen zählten der Umbau der Fensterflügel in geschosshohe Fenstertüren, die Ablösung des horizontalen Brüstungsbandes durch eine reine Glasbrüstung sowie eine neue, gegen den Park hin vorgelagerte und den Wohnräumen Luft und Licht erfüllende Balkonschicht.
Des Weiteren umfassten die Interventionen Laternen, die im Attikageschoss in das zweite Dachgeschoss eingreifen, und Farbschnitte, die den kräftigen statischen Strukturen Leichtigkeit verleihen, sowie den Rückbau der überhohen Garagen, um neue, zusätzliche Gartengeschosse zu generieren.
In einem Gebäudeteil blieb die Büronutzung erhalten, hinzu kamen sechs Wohnungen im Stockwerkeigentum. Diesem eher im Luxussegment angesiedelten Projekt sieht man den Wandel kaum an, was auch für die ursprüngliche Architektur spricht, welche sich eigentlich als ziemlich interpretationsoffen erweist.