Umbau von Bahnhof Winterthur: Graben unter den Gleisen
Für 93 Millionen Franken erhält der Bahnhof Winterthur eine neue Unterführung mit Velotunnel. Alle Arbeiten erfolgen unter laufendem Betrieb, das Projekt unterliegt einem extrem straffen Zeitplan. Trotzdem wird es ein Jahr früher fertig, als ursprünglich geplant.
Quelle: Eric Dombrowe, celmedia
Der frisch eingebrachte Beton wird von Hand nachgearbeitet, da für Maschinen kein Platz ist: Die Arbeiten rund um den Bahnhof Winterthur haben nicht nur einen engen Zeitplan, sondern oft auch schwierige Bedingungen.
Die Genehmigung für den Start der
Baustelle im Bahnhof Winterthur war lange in der Schwebe. «Wir waren wie auf
Nadeln», erinnert sich Gesamtprojektleiter Christian Furrer. Das Projekt war
beim Bundesamt für Verkehr eingereicht, das vor Baubeginn aber noch eine
Plangenehmigungsverfügung erlassen musste. «Kurz vor Weihnachten 2018 traf die
Verfügung aber ein, und am 5. Januar haben wir mit den Arbeiten begonnen.»
Die Umbauten rund um den Bahnhof Winterthur bestehen aus
zwei wesentlichen Teilprojekten. Zum einen wird die bestehende
Personenunterführung von 4,5 auf 17,5 Meter verbreitert und beidseitig um
Ladenflächen ergänzt; die Zugänge zu den Perrons gestaltet man stufenfrei mit
Liften. Zum anderen erstellen die SBB im Auftrag der Stadt eine neue unterirdische
Veloquerung samt grosser unterirdischer Veloabstellanlage in der Rudolfstrasse.
Unterführung überfordert
Die neue Personenunterführung realisieren die SBB im Rahmen
des Programms «Zukünftige Entwicklung Bahninfrastruktur». 2018 erfolgte der
letzte grosse Ausbauschritt im Fahrplan rund um Winterthur, der letztmögliche
mit der bestehenden Gleisanlage, auf der nun täglich 1300 Züge den Bahnhof
passieren. Damit wuchsen auch die Passagierzahlen abermals an, so dass im
Bahnhof Winterthur heute täglich mehr Menschen umsteigen, als die Stadt
Einwohner zählt. «Die rund 90 Jahre alte Personenunterführung kommt damit aber
an die Grenzen ihrer Kapazität, weshalb nun der wesentlich breitere Neubau
erfolgt.» Dieser wird zeitgleich mit der Veloquerung erstellt.
Die Bauarbeiten gestalten sich äusserst anspruchsvoll, da sie bei laufendem Betrieb des Bahnhofs erfolgen und einem extrem engen Zeitplan unterliegen. Dies betrifft vor allem Arbeiten, für welche die Gleise vorübergehend gesperrt wurden: So mussten die Decken wegen der knappen Platzverhältnisse von oben her betoniert werden, was nächtlichen Vollsperrungen der Gleise erforderte.
450 Mikropfähle, 14 Hilfsbrücken
Als Erstes aber mussten der gesamte Bahnhof, inklusive Parkhaus und benachbarten Gebäuden auf Hilfsbrücken und Mikropfählen abgestützt werden, damit man untendurch bauen konnte. Total wurden 14 Hilfsbrücken mit insgesamt 300 Meter Gleisbrücken und 450 Mikropfähle eingebaut. Die Aushub- und Rückbauarbeiten für Personenunterführung und Velotunnel waren danach logistisch sehr anspruchsvoll – und stellten zugleich die lärmintensivsten Arbeiten des Projektes dar.
Bei einem Bauprojekt in der Innerstadt ist aber gerade der Lärm ein besonders heikles Thema, womit Gesamtprojektleiter Christian Furrer oft zu tun hat. «Wir möchten die Bedürfnisse der Anspruchsgruppen abholen und berücksichtigen, zugleich aber aufzeigen, was möglich ist und was nicht.» So hat er regelmässig an gut besuchten Publikumsveranstaltungen Anwohner und Betroffene informiert und für Verständnis geworben. Die SBB haben zudem eine eigene Informationsseite aufgeschaltet, die jeweils das Bauprogramm für die nächsten zwei Wochen vorlegt (www.sbb.ch/ausbauwinterthur).
Nur zertifizierte Geräte
In Winterthur versucht man, mit einem kompakten Bauprogramm die Bauzeit und die damit verbundenen Lärmemissionen auf ein Minimum zu reduzieren. «Dazu halten wir uns an die Massnahmenstufen, die sich anhand der strengen Normen der Lärm-Richtlinie des Bundes ergeben.» So werden auf der Baustelle ausschliesslich Geräte der neuesten Technologiegeneration eingesetzt. «Jedes Gerät auf der Baustelle ist zertifiziert und mit einem Kleber gekennzeichnet, der die jeweilige Leistung und die Emissionen aufzeigt.» Der Unternehmer gibt der SBB zudem eine Liste der eingesetzten Geräte ab, so dass diese Massnahme jederzeit kontrolliert werden kann.
Generell aber ist festzuhalten, dass es für die Beeinträchtigung durch Baulärm ausdrücklich keine einzuhaltenden Grenzwerte gibt. «Ein gewisser Lärm bei gewissen Arbeiten ist auf einer Baustelle unvermeidlich», so der Gesamtprojektleiter. Gerade beim Rückbau und Aushub seien in der Anfangsphase die Bewohner der Rudolfstrasse einigen Emissionen ausgesetzt gewesen. Hier versuchte man, die lautesten Arbeiten auf einige wenige Stunden zu konzentrieren.
Einfach und bewährt: Lärmschutzmatten
Entlang der Rudolfstrasse und an anderen Stellen kamen und kommen Lärmschutzmatten zum Einsatz, wie sie die SBB seit einigen Jahren verwenden. Die Matten wurden in Winterthur in der erwähnten Anfangsphase 2018 grossflächig angebracht, um dem Lärm der nächtlichen Rückbauarbeiten zu dämpfen. Eine technisch einfache Massnahme, die sich aber bewährt.
Am wirkungsvollsten wird Lärm aber durch eine möglichst kurze Bauzeit reduziert. Eine zentrale Massnahme zur Baubeschleunigung ist in Winterthur die Fussgänger-Passerelle. Nachdem man ursprünglich das Projekt in zwei Teilen realisieren wollte, wurde dieser komplexe Bauablauf verworfen und das dadurch verfügbare Budget in eine Fussgänger-Überführung investiert.
«Die Passerelle ist mit acht Metern fast doppelt so breit wie die bestehende Unterführung und bietet für die Leute die ganzen drei Jahre über denselben, sicheren und trockenen Weg.» Die Konstruktion wurde mit Treppenabgängen und Streckmetall so ausgelegt, dass sie feuertechnisch als Laubengang gilt, also keine Sprinkleranlage und keine konstante Überwachung benötigt. Zudem bieten die verwendeten Brettschichtträger einen ausreichenden Feuerwiderstand. «Dank dieser Passerelle und weiteren Massnahmen konnten wir die Bauzeit um ein ganzes Jahr verkürzen», erklärt Christian Furrer.
Lückenlose Überwachung
Neben der Lärmvermeidung war die Sicherung der Baustelle ein
weiteres grosses Thema: Während unter dem Bahnhof durchgegraben und alles
provisorisch abgestützt wurde, musste die Stabilität dieser Hilfskonstruktionen
lückenlos überwacht werden. «In der Hochphase der Unterfangung wurden alle
umliegenden Gebäude, der Bahnhof, die Hilfsgleisbrücken, aber auch das Parkhaus
mit Theodoliten überwacht.»
Die Theodolite messen automatisch Referenzpunkte und melden
die Werte an eine Spezialsoftware, die alle Elemente der Baustelle anhand von
Alarm- und Aufmerksamkeitswerten überwacht. Bis zu 42'000 Messungen pro Woche
werden so vorgenommen und verarbeitet. Wenn die Software einen ungewöhnlichen
Wert feststellt, geht ein Ingenieur vor Ort und überprüft die Ursache. «Wobei
schon ein Zug, der ungewöhnlich lange auf einem Gleis steht, einen solchen
Aufmerksamkeitswert hervorrufen kann.»
Hebung statt Senkung
Im Sommer 2018 meldeten die Theodolite Ungewöhnliches: Die Gebäude an der Rudolfstrasse, bei denen man infolge der Unterfangung eher eine Absenkung befürchtet hätte, hoben sich gemäss der Messung. Die Überprüfung ergab: Die Messung war korrekt – die Gebäude dehnen sich in der Sommerhitze im Laufe des Tages um bis zu 3 Millimeter aus. «Das mussten wir bei unseren Referenzwerten berücksichtigen.»
Quelle: Ben Kron
Rekord: Der 90 Meter lange Ausleger des Turmdrehkrans kann Material übers ganze Bahnhofdach hinweg auf der anderen Seite aufnehmen und abladen.
Ein besonderer Fall ist das Parkhaus, das auf speziellen
Pressen ruht, mit denen das Niveau der Konstruktion überwacht und
gegebenenfalls angepasst wird. «Anhand der Überwachung dieser Pressen lässt
sich mitverfolgen, wie sich das Parkhaus am Morgen mit Autos füllt und am Abend
wieder leert und damit leichter wird.»
Längster Ausleger der Schweiz
Wenn die neue Bahnhofunterführung Winterthur Ende 2021 ihren Betrieb aufnimmt, geht für Christian Furrer ein Projekt zu Ende, das er schon Anfang 2012 übernommen hat. Im 2022 werden als letzte Massnahmen noch einige Perrondächer vom Parkhaus bis ans Perronende verlängert und die Passerelle rückgebaut.
Erst danach wird auch der Rekordkran wieder abmontiert, der zurzeit auf der Baustelle im Einsatz ist. Mit stolzen 90 Metern hat dieser den längsten Ausleger der Schweiz. «Wir brauchen diese Reichweite, damit wir über die ganzen Gleise hinweg die andere Seite des Bahnhofs erreichen.» Als Umschlagplatz für den Rekordkran wurde über der Parkhausrampe eine Plattform erstellt, da sonst kein freier Raum zur Verfügung stand.
Der nächste Milliarden-Tunnel
Die Kapazität der Gleise rund um den Bahnhof Winterthur ist ausgereizt. Zwar könnte der Bahnhof selbst noch mehr Züge bewältigen, doch haben die Zulaufstrecken ihre Kapazitätsgrenzen erreicht. Die SBB will und muss aber zwischen Zürich und Winterthur mehr S-Bahnen anbieten; zudem sollen schnellere Zugverbindung Richtung St. Gallen geschaffen werden. Deshalb hat die Bundesbahn nun ein weiteres Infrastruktur-Grossprojekt aufgelegt: den Brüttener Tunnel.
Mit diesem 9,5 Kilometer langen Bauwerk will die SBB einen nur zweigleisigen Flaschenhals zwischen Effretikon und Winterthur beseitigen. Der Tunnel fährt zudem eine deutlich direktere Strecke, was Fahrzeit einspart.
Neben dem Tunnel sind zahlreiche weitere Arbeiten nötig, diverse weitere Brücken, kleinere Tunnel und der Neubau von vier Bahnhöfen. Die SBB will die Detailplanung 2023 öffentlich auflegen und im Idealfall 2026 mit dem Bau anfangen. Die Inbetriebnahme des Tunnels, der mit allen Nebenarbeiten 2,8 Milliarden Franken kosten soll, ist somit frühestens 2035 zu erwarten. (bk)