Notre-Dame: Wiederaufbau mit uralter Bautechnik
Es geht voran bei der Rekonstruktion der vom Brand zerstörten Kathedrale. Die Baustelle in Paris gibt auch den traditionellen Handwerkstechniken wieder Schub, denn sie wird originalgetreu nach den alten Plänen wieder aufgebaut.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Die Restaurierungsarbeiten sind in vollem Gange. Die Malereien in den Kapellen haben ihren ursprünglichen Glanz bereits zurück erhalten.
Als vor vier Jahren die Flammen im
Dachstuhl der Notre-Dame de Paris endlich gelöscht waren, blieb lange Zeit
unklar, welche Teile der Ruine noch zu retten waren. Das Dach war weg. Es war
mit 460 Tonnen Bleischindeln gedeckt gewesen, die in der Hitze geschmolzen
waren. Die aufsteigenden Bleipartikel hatten den Rauch gelb gefärbt. Die heisse
Luft riss die gesundheitsgefährdenden Partikel mit und verteilte sie in der
Umgebung.
Weg war auch der gigantische Dachstuhl, der
einst wegen seiner aus aberhunderten Eichenstämmen bestehenden Konstruktion «la
forêt», also der Wald, genannt wurde. Ob die verbleibenden Mauern der Kathedrale
nach der Hitzeeinwirkung ihre Stabilität behalten hatten, musste aufwendig
untersucht werden.
Noch in 50 Kilometern Entfernung wurden
Bleiwerte gemessen, die zwanzigmal so hoch waren wie üblich. Während die
Fachleute die Kathedrale sicherten, die Trümmer wegräumten und prüften, ob die
verbliebenen Teile noch tragfähig und sicher waren, mussten sie strenge
Sicherheitsmassnahmen einhalten, die auch den Schutz vor der Bleibelastung
beinhalteten.
Die Entfernung des Bleis war dann auch ein
wichtige Voraussetzung für den Beginn des Wiederaufbaus. Bis heute herrscht
eine strenges Sicherheitsprotokoll. Niemand kommt ohne Schutzkleidung auf die
Baustelle. Und beim Verlassen derselben muss geduscht werden. Das gilt auch
dann, wenn es sich nur um eine kurze Mittagspause handelt.
200 Tonnen Metall herausgeholt
Die spektakulär hohen Gerüste, die 2019
wegen der Renovierung des Vierungsturms in der Kathedrale standen, waren durch
den Brand so verzogen und zerstört, dass sie nur unter grossem Aufwand entfernt
werden konnten. Das ist nun vollständig erfolgt. 200 Tonnen Metall wurde in
40'000 Einzelteilen in einer beispiellosen Aktion Stück für Stück gesichert und
herausgeholt.
Die Sicherung und Konsolidierung der
Kathedrale wurde im Sommer 2021 abgeschlossen. Mittlerweile sind die Restaurierungsarbeiten
in vollem Gange. Ziel ist, im Dezember 2024 wieder Gottesdienste und
Besichtigungen zu ermöglichen. Bis dahin müssen 42'000 Quadratmeter Wände,
bemalte Verzierungen und Gewölbe von Russ und Blei gereinigt und farblich
aufgefrischt sein. Diese Arbeiten scheinen plangemäss fortzuschreiten; die
Malereien in den Kapellen haben ihren ursprünglichen Glanz bereits zurück
erhalten.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Es geht voran mit der Rekonstruktion. Mit einer Länge von 130 Metern, einer Breite von 48 Metern und einem Dachreiter, der auf 96 Meter endet, ist die Kathedrale ein Meisterwerk der Gotik.
Orgel und Glasfenster unzerstört
Auch die grosse Orgel wird bereits Stück
für Stück wieder eingebaut. Sie hatte zwar den Brand überstanden und nur wenig
Löschwasser abbekommen. Die Temperaturschwankungen, denen sie in den folgenden
Monaten schutzlos ausgesetzt war, setzten ihr in der Folge aber zu sehr zu.
Denn 2019 gab es einen Hitze-sommer. Zudem musste auch sie von Bleistaub
befreit werden. Dafür wurde das Instrument zerlegt und in drei Orgelwerkstätten
parallel restauriert.
Die Remontagearbeiten in der Kathedrale
haben bereits begonnen. Die 8000 Pfeifen des Instruments werden nach und nach
wieder zusammengebaut. Mit ihren 115 Registern ist sie das grösste Instrument
Frankreichs. Auch die Glasfenster der Notre-Dame haben den Brand wie durch ein
Wunder unzerstört überstanden. Trotzdem wurden sie durch Rauchgase und Blei
beeinträchtigt. Alle Glasfenster aus Kirchenschiff, Chor, Querschiff und
Sakristei wurden behutsam ausgebaut und zur Reinigung und Restaurierung in
Fachwerkstätten in ganz Frankreich gebracht.
Quelle: David Bordes @ rebatir notre dame
Die Teile des Dachstuhls werden zuerst liegend zusammengefügt. Erst danach erfolgt die probeweise Aufrichtung.
Techniken aus dem Mittelalter
Auch die Arbeiten an den Mauern sind gut
fortgeschritten. Maurer und Steinmetze haben bereits im November letzten Jahres
das erste eingestürzte Gewölbe im nördlichen Querschiff wieder schliessen
können. Nun arbeiten sie am Gewölbe im Kreuz des Querschiffs, damit bald die
Wiederaufbauarbeiten am eingestürzten Vierungsturm in Angriff genommen werden
können. Die Rekonstruktion der Gewölbe des Kirchenschiffs und des Chors soll
bis zum Ende des Jahres abgeschlossen sein.
Die Zimmerleute mehrerer Werkstätten sind daran, den Dachstuhl nach den alten Plänen und mit aus dem Mittelalter überlieferten Techniken neu zu bauen. Der Dachstuhl über Chor und Seitenschiffen war ein frühes Beispiel für die Hängewerkskonstruktion. So wurden in der Gotik plötzlich grössere Spannweiten möglich. In der Romanik waren die Dächer noch deutlich flacher.
Quelle: Franck Gallen Pix Machine
Die Breitbeile mussten eigens hergestellt werden, da für die nötige Menge an zu bearbeitendem Holz in Frankreich nicht genug vorhanden waren.
Kathedralen wie die Notre-Dame wagten steilere Dächer. Das erforderte besser gegen Windkräfte stabilisierende Konstruktionsweisen. Es handelt sich also um eine Art High-Tech des 13. Jahrhunderts, ein Technologiesprung. Durch den damals neuen Einsatz von Zapfenverbindungen wurde eine deutlich erhöhte Tragfähigkeit und eine vorher nicht denkbare Spannweite der Dachkonstruktion erreicht.
Vor diesem Hintergrund wird auch alles so originalgetreu wie möglich wieder aufgebaut. So etwa nach alten Zimmermannstechniken, bei denen die Balken der Faser des Holzes folgend mit dem Beil in Form gebracht werden. Während des Herstellungsprozesses wird jeweils eine bemasste Zeichnung in Originalgrösse auf dem Boden der Werkstatt angebracht. Darauf werden die Teile horizontal zusammengesetzt. So lässt sich die perfekte Passung der mehr als fünfzig Verbindungen überprüfen. Erst wenn alles stimmt, wird die Konstruktion zur Probe in der Vertikalen aufgerichtet. Erst wenn alles perfekt stimmt, wird sie nach Paris geschickt.
Wenn er eines Tages wieder über der Notre-Dame thront, wird dieser Dachstuhl ein massives Eichenholzwerk mit einer Länge von 32 Metern, einer Breite von fast 14 Metern und einer Höhe von zehn Metern sein. Die Montage des gesamten Gebälks in der Kathedrale soll Anfang 2024 abgeschlossen sein.
Quelle: David Bordes @ rebatir notre dame
Nach altem Zimmermannstechniken werden die Balken der Faser des Holzes folgend mit dem traditionellen Breitbeil in Form gebracht.
Tausend Eichen für Vierungsturm
Auch der berühmte Vierungsturm der
Notre-Dame war ein Meisterwerk der Zimmermannskunst. Seine elf «Etagen»
bestehen aus Eichenholz. Für seine Rekonstruktion allein sind tausend
Eichenstämme nötig. Der Vierungsturm samt Dachreiter ist sechzig Meter hoch. So
wird seine Spitze wieder stolze 96 Meter hoch über der Stadt thronen, da er
dreissig Meter über dem Querschiff verankert ist.
Die Teile für den Sockel des Vierungsturms
sind bereits produziert. Sie wurden nach einer Probemontage im März aus Briey
(Meurthe-et-Moselle) nach Paris transportiert. Fertig montiert wird der Sockel
15 Meter lang, 13 Meter breit und sechs Meter hoch sein. Die Zimmerleute
bauen seine Teile auf der Gerüstplattform zusammen. Ein 80 Meter hoher Turmdrehkran,
der grösste Europas, unterstützt sie bei ihren Arbeiten.
Die insgesamt 2300 Einzelteile des
Vierungsturms werden so nach und nach vor Ort zusammengebaut und dann mit Hilfe
des Krans in der Höhe montiert. Mit fortschreitenden Arbeiten wird auch das
nötige Gerüst laufend erhöht und am Schluss hundert Meter hoch und 600 Tonnen
schwer sein. Bis Ende 2023 wird man verfolgen können, wie er sich nach und nach
in den Himmel über Paris erhebt. Im Moment arbeiten etwa 500 Handwerker vor Ort
auf der Baustelle.
Ein grosser Teil der Arbeiten wird aber in
Werkstätten, die überall im Land verteilt sind, ausgeführt – von der
Restauration der Fenster, der 22 Monumentalgemälde oder der Orgel bis hin zu
den zahlreichen Kunstschmiede-, Steinmetz- und Holzarbeiten sowie den Arbeiten im
Steinbruch, die für die benötigten tausend Kubikmeter Stein sorgen. An all dem
arbeiten weitere tausend Fachleute. Diese Aufträge sind auf etwa 150 Firmen
verteilt. Es waren etwa 130 Ausschreibungen für verschiedenste Dienstleistungs-
und Bauaufträge nötig.