09:15 BAUPROJEKTE

Mondholz im Spitalbau: Architektur, die gesund macht

Geschrieben von: Karin Stei
Teaserbild-Quelle: ARGE 9grad architektur + BSS Architekten

In Arlesheim, einem Vorort der Stadt Basel, wird die europaweit erste Klinik in Massivholzbauweise aus Mondholz gebaut. Ein Pionierprojekt, bei dem anthroposophische Werte und die Idee einer heilenden Architektur eine zentrale Rolle spielen. Dass dies gut funktioniert, zeigt das schon fertiggestellte Heilmittellabor.

Mondholz

Quelle: ARGE 9grad architektur + BSS Architekten

Diese Visualisierung zeigt, wie das Klinikgebäude nach der Fertigstellung aussehen soll.

Im Jahre 1921 gründete Dr. med. Ita Wegman (1876-1943) die erste anthroposophische Klinik, die später zur Ita Wegman Klinik und, nach der Fusion mit der Lukas Klinik im Jahr 2014, zur Klinik Arlesheim wurde. Über die Jahre wurden auf dem Gelände weitere zur Klinik gehörende Bauten errichtet. Die Räume und Ausstattung des heutigen Hauses Wegman entsprechen aber Bedürfnissen moderner, integrativer Behandlungsmethoden nicht mehr. Unter anderem erschweren unterschiedliche Niveaus den Zugang zu den Gebäudeteilen. 

Um die Klinik Arlesheim zukunftsfähig zu machen, wird das Haus Wegman vollständig zurückgebaut und ein neues, viergeschossiges Klinikgebäude erstellt, das sich in den vorhandenen Gebäudebestand eingefügt. Der Klinikpark wird im Zuge dessen neugestaltet, eine Einstellhalle mit 100 Parkplätzen bietet auch der Gemeinde Arlesheim mehr Parkraum. Das neue Klinikgebäude wird 37 Bettenzimmer für den stationären Klinikaufenthalt für die Bereiche Innere Medizin und Onkologie sowie eine onkologische Tagesklinik umfassen. Dazu kommt eine grosse Fachambulanz mit verschiedenen Fachbereichen sowie ein rund um die Uhr funktionierender Notfall mit Walk-in-Bereich und Überwachungsstation.

Mondholz

Quelle: ARGE 9grad architektur + BSS Architekten / stijn poelstra

Medizin und Mondholz gehen beim Neubau des Klinikums Arlesheim eine ästhetisch-harmonische Verbindung ein.

Das Spannende an diesem Klinikprojekt: Es wird das europaweit erste Klinikgebäude in Massivholzbauweise sein. Und nicht irgendein Holz wird verbaut, sondern Mondholz in Holz100-Bauweise, ein von Fachleuten der Firma Thoma entwickeltes System. «Die Anforderung an die Planer war, ein ökologisches, nachhaltiges, identitätsstiftendes und gesundheitsförderndes Gebäude aus Holz100 zu designen», erinnert sich Sascha Schuler von BSS Architekten AG, Generalplaner des Klinikneubaus.

Internationale ARGE

Ein Vorgängerprojekt aus dem Jahre 2018 hatte noch einen Betonbau vorgesehen. Da die Kosten hierfür aus dem Ruder gelaufen wären, legte es die Bauherrschaft 2019 ad acta und dachte ganz neu. 2020 ergab eine Machbarkeitsstudie, dass eine Klinik in Massivholzbauweise finanzierbar und möglich sei bei gleichzeitiger Einhaltung aller Vorschriften in punkto Hygiene, Brandschutz und Erdbebensicherheit. 

BSS Architekten AG und 9grad architektur bildeten auf dieser Grundlage eine internationale Arbeitsgemeinschaft (ARGE 9grad architektur + BSS Architekten), in der jedes Planungsbüro spezielles Fachwissen und Stärken einbrachte. So konzentrieren sich Sascha Schuler und sein Team auf die Umsetzung des Bauprozesses. 9grad architektur aus den Niederlanden hatte die Federführung beim Architektur-Design und die MedPlan Engineering AG erarbeitete als Spitalplaner und Medizintechnikplaner zusammen mit den Nutzern, wie die Prozesse und individuelle medizinische Ausstattung aussehen sollten.

Mondholz als Baumaterial

«Dank Mondholz und heilender Architektur erwarten wir eine positive Ausstrahlung auf den Heilungsprozess und auf das allgemeine Wohlbefinden unserer Patientinnen und Patienten sowie unserer Mitarbeitenden», erklärt Philipp Schneider, ehemaliger Präsident des Verwaltungsrats der Klinik Arlesheim, auf der Webseite zum Neubau die Entscheidung, Mondholz zu verbauen. Die Nachhaltigkeit des Baumaterials und die Erzeugung eines gesunden Raumklimas entsprächen den anthroposophischen Werten, die sich im Klinikgebäude widerspiegeln sollen.

Mondholz

Quelle: ARGE 9grad architektur + BSS Architekten / stijn poelstra

Das Heilmittellabor wurde 2023 in Massivholzbauweise aus Mondholz fertiggestellt. Es dient als Blaupause für den Klinikneubau.

Für den Bau wird unbehandeltes Mondholz von Fichten und Tannen, für die Fassade Lärchen aus dem Schwarzwald genutzt. Die Bäume stammen aus nachhaltiger, regionaler Forstwirtschaft (PEFC-zertifiziert). Die Stämme werden bei abnehmendem Mond im Winter geschlagen und anschliessend getrocknet. Diese Vorgehensweise nutzt den natürlichen Wachstumszyklus der Bäume aus, da im Winter der Flüssigkeitstransport innerhalb des Baumes reduziert wird. Mondholz sei deshalb dichter und somit resistenter gegenüber Schädlingen sowie langlebiger. Die Verarbeitung des Mondholzes unterscheidet sich vom herkömmlichen Bauen. Die Massivholzwände werden nur mit Holzdübeln rein mechanisch miteinander verbunden. Leim, Metall, Chemie oder auch Holzschutzmittel kommen nicht zum Einsatz. So können keine potenziell schädlichen Stoffe in die Umgebung abgegeben werden.

Auch die Vorschriften in punkto Sicherheit erfüllt das Holz100-System. Der Wandaufbau aus verdübelten Einzelteilen ist flexibel und kann den bei einem Erdbeben auftretenden Horizontalbeschleunigungen gut widerstehen. In Verbindung mit den bewehrten Betonbauteilen ergibt sich die nötige Stabilität, die in erdbebengefährdeten Gebieten wie Arlesheim wichtig ist. Beton wird insbesondere für die Fundamente und tragenden Elemente sowie die Liftkerne verwendet. So kann auch Hochwasserereignissen getrotzt werden. «Der Bau vereint die klassischen Vorzüge der jeweiligen Baumaterialien», erklärt Sascha Schuler. Die Massivholzbauweise punktet auch im Brandschutz. Holz100 ist brandbeständig bis zu REI 120 min. Durch die diffusionsoffene Bauweise unter Verwendung von Holz und Lehm wird auch die Luftfeuchtigkeit auf natürliche Weise reguliert.

Mondholz

Quelle: ARGE 9grad architektur + BSS Architekten / stijn poelstra

Die Räume im Heilmittellabor geben schon einen Vorgeschmack auf die organische Architektur des neuen Klinikgebäudes.

Heilmittelgebäude als Blaupause

Der Bau des Heilmittellabors, der 2023 abgeschlossen wurde, zeigt, dass sich die Holz-Beton-Kombination bewährt. «Das Heilmittellabor ist eine Art kleine Schwester des Klinikgebäudes. Es hat uns bestätigt, dass unser Design funktioniert und wir konnten wichtige Erfahrungen dadurch gewinnen. In den Details unterscheidet es sich aber vom Hauptbau, da es ein Bürogebäude mit offenen Büroräumen und Labor ist, während in der Klinik Einzelräume dominieren. Im Klinikbau ist die Lüftung anders konzipiert und es wird mehr Wert auf eine geringe Schallübertragung gelegt», erklärt Sascha Schuler. Erneuerbare Energiequellen in Form von Erdwärme und Solarenergie werden in beiden Gebäuden durch Bauteilaktivierung zum Lüften, der Stromerzeugung, Heizen und Kühlen genutzt.

Niedertemperatursystem für Heizen und Kühlen

Im Inneren der Holz100-Decken sind Rohre mit erwärmtem oder gekühltem Wasser verlegt. Die Speichermassen der Bauteile werden zur Temperaturregulierung genutzt. Überschüssige Wärme wird in Warmwasserspeichern vorgehalten, die in das Heizsystem integriert sind. So muss die Heizung bei nur geringem Wärmebedarf nicht aktiviert werden. Das Niedertemperatursystem erzeugt nicht nur ein angenehmes Raumklima, sondern ist auch kostengünstiger als der aktuelle Betrieb. Neben Holz als nachwachsender Rohstoff wirkt sich auch die Verwendung von in der Region rezykliertem Beton, der mit Pneumatit angereichert wurde, positiv auf die CO2-Bilanz aus.

Mondholz

Quelle: ARGE 9grad architektur + BSS Architekten / stijn poelstra

Für die Fassade des Heilmittellabors und des neuen Klinikums wird Lärchenholz aus nachhaltiger Fortwirtschaft eingesetzt.

Mondholz

Quelle: ARGE 9grad architektur + BSS Architekten / stijn poelstra

Das neue Heilmittellabor von der Rückseite. Die Parkanlage der Klinik Arlesheim wird im Zuge des Neubaus ebenfalls neugestaltet.

Der Neubau entspricht dem «Minergie P»-Standard. Da die Holz100-Elemente vorgefertigt werden, beschleunigt sich das Bauen. «Vier Bauetappen in vertikaler Bauweise folgen nacheinander. Das hat vor allem wetterbedingte Vorteile. Horizontal hätte man grössere Flächen gegen Regen und Schnee abzudichten», berichtet Sascha Schuler. Zudem können die Gewerke bereits mit den Installationen der ersten Etappe anfangen, während die nächste parallel entsteht.

Heilende Architektur

Anthroposophische Werte und Vorstellungen spiegeln sich auch im architektonischen Design wider, das dem Konzept der Heilenden Architektur folgt. Es stellt den Menschen und die Natur in den Mittelpunkt und liefert so ein sinnstiftendes Narrativ. Zum Wohle der Patienten, des Personals und der Angehörigen richtet sich der Klinikneubau an deren Bedürfnissen aus, bietet eine Art Schutzraum und beeinflusst dadurch den Heilungsprozess und die Atmosphäre in den Räumen positiv. Um dies zu erreichen, richtete der Architekt Yaike Dunselman von 9grad architektur ein besonderes Augenmerk auf Akustik, Optik, Material, Geruch, Tageslicht, Farbe und Orientierung. 

Bei der Wegeführung findet das Auge auf den wesentlichen Achsen zum Beispiel immer Orientierung mittels Fenster nach aussen. Ein intuitives Farbkonzept strukturiert die vier Geschosse. Ganz unten nimmt das Grün Bezug auf den Park, ganz oben in den Patientenzimmer sorgt Orange für Wärme und Energie. Die anthroposophisch inspirierte Architektur stellt natürliches Licht, Baumaterial sowie organische Formen in den Mittelpunkt. Wenn die Klinik 2027 eröffnet wird, soll sich nach Wunsch der Projektbeteiligten zeigen, dass Medizin auch in einer ästhetischen, natürlichen und nachhaltigen Umgebung stattfinden kann, ohne auf Funktionalität und Wirtschaftlichkeit zu verzichten.

Neubau Klinik Arlesheim

Die Klinik Arlesheim ist ein Spital mit öffentlichem Leistungsauftrag (Spitalliste) in privater Trägerschaft und fest in die regionale und kantonale Gesundheitsversorgung des Kantons Basel-Landschaft eingebunden. Die Klinik Arlesheim ist ein Akutspital und bietet in den Bereichen Innere Medizin, Onkologie und Psychiatrie stationäre Behandlungen an. Zudem verfügt die Klinik über ein grosses ambulantes Angebot in verschiedenen Fachbereichen (Gastroenterologie, Kardiologie, Neurologie, Pneumologie, Dermatologie, Lebensstilmedizin) und einem rund um die Uhr funktionierenden Notfall mit Walk-in-Bereich und Überwachungsstation. Die Schulmedizin wird in der Diagnose, Behandlung, Pflege und Therapie durch den ganzheitlichen Ansatz der anthroposophischen Medizin ergänzt. Die Kosten für den Neubau belaufen sich auf rund 70 Millionen Franken. Der Bezugstermin ist für Anfang 2027 geplant. Bis dahin läuft der Betrieb des Spitals mit seinen knapp 600 Mitarbeitenden in unmittelbarer Nachbarschaft zur Baustelle nahtlos weiter. (ks)

Weitere Infos unter: www.klinik-arlesheim.ch

Geschrieben von

Freie Mitarbeiterin für das Baublatt.

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