16:37 BAUPROJEKTE

Gneis und Granit aus dem Gotthard für Urnersee-Südufer

Teaserbild-Quelle: Incendio AG

Mit der Seeschüttung sollen die Flachwasserzonen vom Südufer des Urnersees wieder dem Stand von 1913 entsprechen. Dies, nachdem das Gebiet im Zuge der Reussbegradigung und Kiesabbau arg gelitten hatte. Heute Montag startete die Hauptphase des Projekts, mit einer Güterzugladung Gneis und Granit aus dem der Zweiten Röhre des Gotthardstrassentunnels.

Seeschüttung Reussdelta

Quelle: Incendio AG

Laut Kanton haben die rund 3.3 Millionen Tonnen Gestein, die im Zuge der ersten Seeschüttung zwischen 2001 und 2008 im Urnersee versenkt worden worden sind, das Artespektrum der Tier- und Pflanzenwelt "durchs Band" erhöht.

Im Laufe der letzten rund 170 Jahre hat sich das Südufer des Urner Sees stark gewandelt: Ab 1851 begann es mit der Reussbegradigung zu erodieren, ab 1905 trug der Kiesabbau ebenfalls dazu bei. Gleichzeitig konnte sich das Reussdelta nicht mehr natürlich entwickeln. Um dem etwas entgegenzusetzen und um das Delta wieder aufzuwerten, baute man 1992 den Reusskanal um rund 200 Meter zurück und öffnete das Delta über Seitenarme. Zwischen 2001 und 2008 wurde schliesslich ein Teil der verloren gegangenen Flachwasserzonen mit sauberem Gesteinsmaterial vom Gotthard-Basistunnel und Umfahrungstunnel Flüelen wieder hergestellt. Auf diese Weise sind drei Naturschutz- und drei Badeinseln entstanden. Die derart geschaffenen Flachwasserzonen umfassen - die Inselflächen nicht miteingerechnet – insgesamt 1.8 Hektar.

950 Tonnen Ausbruchmaterial vom Gotthardtunnel

Heute morgen startete nun die Hauptphase der Seeschüttung: Der erste Güterzug, beladen mit 950 Tonnen Gneis und Granit, erreichte den Industriehafen in Flüelen. «Wir haben intensiv auf diesen Tag hingearbeitet und die notwendigen Infrastrukturen, Abläufe und Prozesse vorbereitet, um heute den ersten Stein aus der Zweiten Röhre des Gotthard-Strassentunnels und im Jahr 2029 den letzten Stein aus dem Sisikoner Tunnel der Neuen Axenstrasse zu schütten», sagt Christian Arnold, Landammann und Vorsteher der Gesundheits-, Sozial- und Umweltdirektion des Kantons Uri. In den kommenden fünf Jahren sollen rund 4,9 Mil-lionen Tonnen Gestein eingebracht werden.

Die Seeschüttung soll einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Lebensraums im Urnersee leisten. «Die Erfolgsgeschichte der Seeschüttung im Urnersee wird ab heute fortgesetzt», freut sich Arnold. Allerdings kommen diese Schüttungen vor allem dem Leben unter Wasser zugute: «In den Gebieten Schanz und Allmeini entstehen im Zuge des Projekts rund sieben Hektar neue Flachwasserzonen.» Flachwasserzonen befinden sich unter Wasser im lichtdurchfluteten Bereich bis in eine Wassertiefe von zirka zehn Metern. Dort, wo die Sonnenstrahlen auf das Wasser und den Seegrund treffen, öffnet sich ein wertvolles Ökosystem. «Seit den ersten Seeschüttungen, die zwischen 2001 und 2008 erfolgten, haben verschiedene Unterwasserpflanzen-, Algen- und Fischarten sowie Wirbellose massgeblich von den damals neu geschaffenen 1.8 Hektar Flachwasserzonen profitiert», unterstreicht der Direktionsvorsteher. Daran soll das aktuelle Projekt nun anknüpfen.

Klappschiffe und ein temporärer Damm

Bis sich das Leben im Urnersee entfalten kann dauert es noch etwas. Schliesslich gilt es, die Grossmengen an Ausbruchmaterial zu empfangen, auf die Klappschiffe zu verladen und im Schüttgebiet punktgenau zu verklappen. «In den ersten Woche werden uns zwischen Montag und Freitag täglich zwei Güterzüge à 950 Tonnen aus Göschenen erreichen, ab Ende November bis voraussichtlich Ende März 2025 werden es vier Züge pro Tag sein», erklärt Roland Senn, Projektleiter bei der Gesundheits-, Sozial- und Umweltdirektion. «Auf dem Urnersee wird es in der Folge etwas betriebsamer.»  Je nach Kapazität der im Einsatz stehenden Klappschiffe und Selbstentlader werden täglich bis zu zwölf Fahrten ins Schüttgebiet nötig, um die täglich angelieferten 3'800 Tonnen Ausbruchmaterial zu schütten. Wie Senn erklärt, wird, sobald die Tunnelbohrmaschine in Airolo voraussichtlich Ende März nächsten Jahres und jene in Göschenen etwas später den Betrieb aufnimmt, die tägliche Liefermenge sukzessive auf 6‘650 Tonnen beziehungsweise sieben Güterzüge pro Tag ansteigen.

Die ersten Schüttungen finden im Gebiet Schanz statt. Bis Ende Jahr wird dort in einer ersten Etappe ein Damm aufgeschüttet, der rund einen Meter über den Wasserspiegel ragt. Er dient als temporärer Schutz des Seeufers und des Badebereiches vor Schwebstoffen und Trübungen. «Der Damm darf als eine naturnahe Baustellenabsperrung im See angesehen werden», so Senn. Er grenzt den öffentlichen Bereich im See von der Baustelle ab oder vielmehr vom Schüttgebiet. Aus Sicherheitsgründen ist das Betreten des Dammes untersagt. «Sobald die Schüttungen in diesem Gebiet vollendet sind, wird der Damm mithilfe eines Schwimmbaggers geebnet und so Teil der Flachwasserzone», führt Senn aus. Ist der Damm vollendet, wird Schüttkörper in der Schanz aufgebaut. «Zuerst wird der Schüttfuss erstellt, der sich zwischen 60 und 70 Meter Tiefe befindet», so der Projektleiter.

Arsenhaltiges Gestein

Grosse Gesteinsmengen, grosse Tiefen und grosse Logistik: Stellen sich da auch grosse Herausforderungen an den Gewässer- und Umweltschutz? «Für die Seeschüttung gelten strenge Umweltauflagen zur Qualität des Schüttmaterials, deren Einhaltung zu Recht eine Herausforderung darstellt», sagt Alexander Imhof, Vorsteher des Amts für Umwelt. Dank den Erfahrungen aus der ersten Seeschüttung kann das Projektteam auf bewährte Massnahmen für den Schutz vor Trübung, Schwebstoffen und Schwemmmaterial zurückgreifen. So setzt die Seeschüttung Urnersee zum Schutz vor Trübung erneut auf den Einsatz einer Pontonanlage mit Unterwasserschürze oder fix installierte Schmutzsperren.

Wie Imhof erklärt, stellt das natürliche Vorkommen von arsenhaltigem Gesteinsmaterial, das stellenweise sowohl im Sisikoner Tunnel als auch in der Zweiten Röhre des Gotthard-Strassentunnels vorkommt, eine Herausforderung dar. «Um jegliches Risiko zu minimieren, wird arsenhaltiges Material nur unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte, in der Tiefe und weit vom Ufer entfernt geschüttet und anschliessend mit weiterem Material überdeckt», so Imhof. Zudem haben laut den Verantwortlichen umfangreiche Tests gezeigt, dass das Arsen in diesen Gesteinen nur in geringen Mengen freigesetzt wird.

Um sicherzustellen, dass alle Umweltauflagen und sämtliche Grenzwerte für Schadstoffe eingehalten werden, wurden detaillierte Kontrollpläne erstellt. «Diese Pläne legen fest, auf welche Art und wie häufig das Material wie auch das Seewasser geprüft und welche Massnahmen ergriffen werden, wenn Grenzwerte überschritten werden», sagt Imhof. Auch das Pflichtenheft für die Personen der Umweltbaubegleitung wurde vom Amt für Umwelt, das als Aufsichtsbehörde fungiert, geprüft. «Das Projektteam kennt also die Umweltvorgaben und ist dementsprechend vorbereitet und organisiert», sagt Imhof. So wird beim Südufer des Urnersees in den kommenden Jahren ein natürlicher, umweltverträglicher Grund für die Ansiedlung von einheimischen Wasserpflanzen und Wassertieren geschaffen. (mgt/mai)

Material und Logistik

Das Gesteinsmaterial, das zwischen 2023 und 2029 geschüttet wird, stammt von der Baustelle der zweiten Röhre des Gotthard-Strassentunnel und aus dem Sisikoner Tunnel, der Teil der neuen Axenstrasse ist.  

Die Gesteinsmengen vom Bau der zweiten Gotthardröhre werden ausschliesslich per Güterzug transportiert. Das Material vom Sisikoner Tunnel der «A4 Neue Axenstrasse» wird über Förderbänder direkt zur provisorischen Schiffanlegestelle in Dorni bei Sisikon oder per Lastwagen nach Flüelen geliefert.

Die Klappschiffe, die das Material entladen, nehmen den Seeweg zum Schüttstandort. (mgt/mai)

 

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