Franklinturm in Zürich Oerlikon: Ankergebäude mitten im Verkehrsfluss
Bevor der Franklinturm in die Höhe wachsen kann, geht es erst einmal in die Tiefe. Baugrund und Untertagebauten waren bei der Fundation direkt beim Bahnhof Oerlikon grosse Herausforderungen. Gewählt wurde eine Kombination aus Flach- und Pfahlgründung.
Quelle: SBB
Ab dem ersten Stockwerk kragt das Gebäude aus. Eine vertikale Vorspannung bringt den Turm wieder ins Gleichgewicht. Die Visualisierung zeigt die Westseite des Gebäudes, im Hintergrund ist der Andreasturm zu sehen.
Die Baugrube des Franklinturms befindet sich wenige Meter
von den Gleisanlagen des Bahnhofs Oerlikon, dem sechstgrössten Bahnhof der
Schweiz. Die Bohrschnecke schraubt sich gerade in den Untergrund, damit die
letzten Fundationspfähle gesetzt werden können. Der Grossteil der Pfähle,
welche die Lasten des 80 Meter hohen Gebäudes dereinst aufnehmen wird, befindet
sich bereits im lehmig-sandigen Boden.
«Die Fundationspfähle sind vorübergehend zugeschüttet, damit sich die Maschinen in der Baugrube bewegen können», sagt Christian Koehly, Bauingenieur und Teamleiter bei der Porr Suisse AG, beim Gang durch die Baugrube. Der Aushub der zwölf Meter tiefen Grube bot, abgesehen von Stahlteilen früherer Bauten und einigen Findlingen wenige Überraschungen.
Quelle: SBB
Auf der Ostseite schliesst der Franklinturm direkt an den Baubestand an. Erst die einheitliche schmale Fassadenfront vermittelt einen Eindruck von der Höhe des Gebäudes im Ensemble weiterer Hochhäuser.
Schwieriger gestaltete es sich, eine Lösung für das
Fundament zu finden. Denn der Untergrund des Baugeländes beim Molassetrog
nördlich der Stadt Zürich wurde vor allem in der letzten Eiszeit gestaltet.
Über Felsformationen befinden sich dort in unterschiedlicher Schichtabfolge
Moränenmaterial und Seeablagerungen, bestehend aus Ton, Silt und Sand, wie zwei
Kernbohrungen zeigten. Fels wäre eigentlich die beste Basis für
Pfahlgründungen, weil der sogenannte Spitzendruck bei der Unterkante der Pfähle
Fundationen eine hohe Stabilität verleiht. Auf Felsformationen stösst man beim
Baugelände aber erst in einer Tiefe von 44 Metern.
Kombinierte Flach- und Pfahlgründung
Den eigentlichen Baugrund bilden daher die darüber liegenden
Lehm- und Sandschichten, in welche die Fundationspfähle platziert werden
müssen. Über Pfähle werden grosse Anteile der Last in tieferliegende
Bodenschichten eingeleitet. Einerseits geschieht dies über die Pfahlspitzen,
andererseits über deren Mantelreibung. Stabilität erreicht wird in diesem Fall
durch die seitliche Mantelreibung.
”Wegen diesen Bauverhältnissen gibt es relativ viele Fundationspfähle
Nicolai Mitt: Bauingenieur und Projektleiter Porr Suisse AG
Nicolai Mitt: Bauingenieur und Projektleiter Porr Suisse AG
152 Fundationspfähle sind auf den rund 80 Meter langen und
20 Meter breiten Baugrund verteilt. «Wegen diesen Bauverhältnissen gibt es
relativ viele Fundationspfähle», erklärt Nicolai Mitt, Projektleiter bei der Porr
Suisse AG. Bei felsigem Untergrund wären weniger Pfähle notwendig. Auf der
östlichen Seite, wo der Turm mit 21 Geschossen eine Höhe von 80 Metern
erreicht, müssen die Lasten entsprechend auf eine grössere Anzahl von
Fundationspfählen verteilt werden. Um den Effekt der Mantelreibung möglichst
optimal ausschöpfen zu können, müssen die Pfähle jedoch eine gewisse Länge
aufweisen, damit die Bauwerkslast in den Boden eingeleitet werden kann. Dabei
stellte sich bei der Planung ein weiteres Problem.
Quelle: Stefan Schmid
Der grösste Teil der 152 Fundationspfähle befindet sich bereits im Baugrund. Das Fundament des Franklinturms im sandigen Lehmboden besteht aus einer Kombination von Pfahl- und Flachgründung. (Bild: Bohrschnecke bereitet Pfahlgründung vor.)
In einer Tiefe von rund 30 Metern quert der Glattstollen von
Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) das Baufeld. Der zu Revisionszwecken
befahrbare Stollen mit zwei Abwasserleitungen, der vom Klärwerk zur Sihl führt,
hat einen Durchmesser von sechs Metern. Um zu verhindern, dass der Stollen
durch die statischen Kräfte des hohen Gebäudes Schaden nimmt, war bei der
Platzierung sowie bei der geometrischen Ausbildung der Fundationspfähle auf die
empfindliche Zone Rücksicht zu nehmen.
Die Unterkante der Pfahlgründungen wurde demnach mit einem ausreichenden Sicherheitsabstand zur tieferliegenden Sicherheitszone des Glattstollens gewählt. Vorsorglich wurde darüber hinaus vor den Fundierungsarbeiten beim Stollen ein Überwaschungsdispositiv mit Messgeräten aufgezogen. Die Fundationspfähle sind je nach statischer Last unterschiedlich verteilt.
Quelle: Stefan Schmid
Ein Teil der Fundationspfähle ist bereits freigelegt (Bildmitte). Diese werden auf der gleichen Höhe abgeschnitten und für die Bodenplatte vorbereitet. (Rechts im Bild: Bohrpfahlwände zur Baugrubensicherung).
Damit sich setzungsempfindliche Schichten überbrücken
lassen, entstand schliesslich als Lösung eine Kombination von Pfahl- und
Flachgründung mit einer massiven Bodenplatte von einer Höhe von 1 bis 2 Metern.
Die Bodenplatte leitet einen Teil der Last an den Untergrund ab. Erst die
Kombination aus Pfahlmantelreibung der Fundationspfähle und Flächenpressung der
massiven Bodenplatte stellt die erforderliche die Tragfähigkeit der Gründung
für die hohen Lasten des Hochhauses sicher. Eine reine Flachgründung wäre wegen
des setzungsempfindlichen Baugrunds nicht möglich gewesen. „Die Gründung war
für die Planer sehr anspruchsvoll und eine Herausforderung“, sagt Thomas Rinas,
Gesamtprojektleiter bei der SBB, der auch den Bau des Andreasturms beim
östlichen Ausgang des Bahnhofareals in Oerlikon geleitet hat. Dort wurde nach
dem gleichen Grundprinzip gebaut, weil die Baugrundverhältnisse ähnlich sind.
Vorspannkabel bei Hochbau selten
Speziell ist auch die äussere Form des Gebäudes. Die Fronten des viergeschossigen Gebäudesockels orientieren sich an den Fluchten von Gleisen und Strasse. Vom Angelpunkt auf der Ostseite ist der gesamte obere Teil des Baukörpers gleichsam in Richtung der Gleise gedreht. Die dadurch entstehende Auskragung verjüngt sich bei der leicht abgewinkelten Fassade zur Nordostecke hin. Gleichzeitig ist die Fassade der Westseite vom elften bis zum 21. Stockwerk bis auf die Hälfte zurückversetzt. Angepasst auf den Baubestand der Umgebung, bestimmen Drehung und Abstufungen die Geometrie der Westseite. Eine zusammenhängende Fassadenfront zeigt nur die Ostfassade.
”Eine vertikale Vorspannung ist schon speziell und kommt bei Gebäuden selten vor.
Thomas Rinas, Projektleiter SBB AG
Thomas Rinas, Projektleiter SBB AG
Die Auskragung beeinflusst direkt die Statik des Turms, der
sozusagen am Kippen gehindert werden muss. Ins Gleichgewicht gebracht wird er
durch eine vertikale Vorspannung, wie man sie vom Brückenbau her kennt, deren
Lasten auf Zugpfähle abgeleitet werden. «Eine vertikale Vorspannung ist schon
speziell und kommt bei Gebäuden selten vor», sagt Rinas. Konkret werden in
Wänden Rohre mit Ankerlitzen verlegt, durch die Stahlseile führen, welche mit
hoher Last gespannt werden. Mehrere hundert Kabel sind zur Stabilisierung des
Baukörpers erforderlich.
Ausgeklügelte Wasserhaltung
Die Baugrubensicherung sowie die Abdichtung gegen seitlichen Wassereintritt werden von überschnittenen Bohrpfählen mit alternierenden Bewehrungen gewährleistet. Fünf Ankerlagen nehmen die Lasten der Umgebung auf. Da sich die Baugrube direkt neben der SBB-Bahnlinie befindet, war Vorsicht beim Setzen der Anker geboten. «Die Gleise durften sich nicht bewegen», sagt Thomas Rinas. Die Unterkante der überschnittenen Bohrpfahlwand und der Fundationspfahlgründung liegt bei rund 25 Meter unterhalb Geländeoberkante. Alle Pfähle weisen jeweils einen Durchmesser von 90 Zentimetern auf.
Quelle: Stefan Schmid
Mittels Filterbrunnen auf der Sohle der Baugrube wird der Grundwasserspiegel abgesenkt. Um dort den Druck zu verringern, pumpt ein Wellpoint-System im Umfeld der Baustelle Wasser ab.
Spezielle Vorkehrungen erforderte die Wasserhaltung. Der
freie Grundwasserspiegel liegt bei einer Tiefe von sechs Metern, die Baugrube
würde also bald unter Wasser stehen. «Grundwasser bringt bei Baustellen oft
etwas Unvorhersehbares. Auch bei der Baugrube des Franklinturms war es
schwierig vorauszusagen, wo das Grundwasser eintreten wird», sagt Koehly. Der
Grundwasserspiegel musste daher vor dem Aushub abgesenkt werden. Über zehn
Filterbrunnen innerhalb der geschlossenen Baugrube gewährleisten die Absenkung
des Grundwassers und stellen somit die Trockenhaltung des Aushubs sicher. Im 4.
Untergeschoss ist darüber hinaus ein zusätzliches Wellpoint-System, also die
Wasserabsenkung mit Vakuum-Kleinfilterrohren notwendig. Ausserhalb der geschlossenen
Baugrube wird zugleich der Wasserdruck in der Baugrube mithilfe eines
installierten Wellpoint-Systems verringert, das über Rohre in den
Bohrpfahlwänden das Wasser im Umfeld der Baustelle abpumpt.
13'000 Kubikmeter Beton
Vor allem die Geometrie ist eine Herausforderung. Der
beengte Raum in der länglichen Baugrube zwingt zu einer straffen Organisation
beim Manövrieren mit Grossmaschinen und Geräten sowie der einzelnen
Arbeitsschritte. Eine aussergewöhnliche Aktion war es, als ein 500-Tonnen-Kran
das Bohrgerät mit einem Gewicht von 75 Tonnen in die Baugrube gehoben hat, sagt
Rinas.
Für den Rohbau wird Beton in verschiedenen Zusammensetzungen
verwendet, für die aussteifenden Bauteile ist hochfester Beton erforderlich.
Die Bohrpfähle sind mit Normalbeton gegossen und mit regulärer Armierung
versehen. Verbaut werden rund 13000 Kubikmeter Beton, allein für die
Bodenplatte werden rund 2000 Kubikmeter benötigt. Rund 4000 Kubikmeter Beton
fliessen in die Bohr- und Fundationspfähle. Verwendet wird Fertigbeton, der mit
Mischwagen angeliefert wird.
Für eine Mischanlage auf der Baustelle wären die
verarbeiteten Mengen zu gering und nicht wirtschaftlich. «Das Betonvolumen hält
sich für ein Grossprojekt dieser Dimension in Grenzen. Die Decken des
Hochhauses sind mit 25 Zentimetern relativ dünn und können in einem Tag
betoniert werden», sagt Mitt. Der Rohbau wird mit Kletterschalung ausgeführt,
die Elementfassade im Anschluss daran montiert. Für die Bedienung der Baustelle
sind zwei Kräne verschiedener Höhe im Einsatz.
Quelle: Stefan Schmid
Spundwände auf der Sohle der Baugrube kennzeichnen den Verlauf eines Fortluftkanals.
Der Projektentwurf entstammt dem Studio Semadeni
Architekten, die den Wettbewerb gewannen, wobei die Geschossfläche unter
baurechtlicher Beschränkungen zu optimieren war. Denn höher bauen durfte man
nicht. Die Bau- und Zonenordnung sieht für das Areal ein Hochhausgebiet II mit
einer maximalen Gebäudehöhe von 80 Metern vor. Das statische Konzept
berücksichtigte auch Simulationen zur Berechnung der Windlast und
bautechnischer Massnahmen für die Erdbebensicherheit sowie die Gewährleistung
der Stabilität durch aussteifende Gebäudekerne.
BIM nach Wahl
Das Instrumentarium von Building Information Modeling (BIM)
nutzte die Porr AG bereits in der Akquisitionsphase für Simulationen des
Bauablaufs und der Terminplanung, hinterlegt sind für die Architekten auch
grobe Ausführungspläne. Auf Basis von 2-D-Plänen wurde in Zusammenarbeit mit
dem Bauunternehmen Marti das BIM-Modell erstellt mit einer Schnittstelle für
die Zwecke der Bauausführung. Die Daten können auch von den Baumeistern genutzt
werden, etwa für die Arbeitsvorbereitung. «Man könnte den Ansatz auch BIM-light
nennen», sagt Koehly. BIM sei immer auch ein Verkaufsargument, denn es sei für
potenzielle Mieter von Vorteil, wenn sie mit der Holocam oder -brille einen
virtuellen Eindruck von den Räumlichkeiten erhalten. Die Porr-Projektstruktur
umfasst je einen Projektleiter Planung, Ausführung und Gebäudetechnik.
”Allenfalls kommt einmal im Leben die Chance, sowas zu bauen.
Christian Koehly, Bauingenieur, Teamleiter Porr Suisse AG
Christian Koehly, Bauingenieur, Teamleiter Porr Suisse AG
Die SBB verwenden BIM bei der Planung in diesem Projekt noch
nicht. Gemäss Rinas zeigten sich die SBB aber interessiert, BIM zukünftig zu
integrieren und testen dieses als Pilot im Hochhaus Letzi in Altstetten. «Für
uns war es wichtig zu erkennen, welche Informationen man im Betrieb braucht.»
Planung und Vermietung erfolgen auf klassische Art, da der Fokus von BIM auf
der Bewirtschaftung liege. Weil das Objekt im Eigentum die SBB bleibt, sind
schon bei der Planung die Projektleiter für Betrieb und Nutzung involviert.
Unterstützt wird die Projektsteuerung durch eine externe Firma. Zum Raumangebot
gehören neben 14800 Quadratmetern Bürofläche auch Räumlichkeiten für Verkauf
und Gastronomie.
Spezialtiefbau im Plan
Der Verkehrsknotenpunkt mit hohen Durchgangsfrequenzen beim
Bahnhof Oerlikon stellt hohe Anforderungen an die Logistik und den Bauablauf.
Täglich kreuzen sich hier die Wege von 130000 Reisenden. Der Perimeter ist eng
bemessen zwischen Gleisanlagen, Bahnhofsgebäuden und Strasse. Einen möglichst
reibungslosen Ablauf gewährleisten soll ein Logistik- und Sicherheitskonzept in
Abstimmung mit allen Behörden, Bauherrschaft und Verkehrsbetrieben. Rinas setzt
eine klare Priorität: «Der Bahnbetrieb darf nicht gestört werden.»
Obwohl es sich um eine Grossbaustelle handelt, sind momentan
vor allem Spezialunternehmen im Einsatz. Im Durchschnitt arbeiten rund 20
Personen auf der Baustelle. Die Arbeit im Freien war in der Corona-Zeit ein
Glücksfall, sagt Rinas. «Beim Innenausbau wären die Folgen wohl gravierender
gewesen.» Früh seien die BAG-Empfehlungen wie die Einhaltung von Abstandsregeln
und Hygienemassnahmen konsequent umgesetzt worden. Wegen der Reisebeschränkungen
während des Lockdown war die Zusammenarbeit mit Subunternehmen aus Deutschland
und Italien aber erschwert. Zu Beginn der Corona-Krise gab es zudem
Unsicherheiten bei Zulieferern von Stahlprodukten vor allem aus Italien, die
zwischenzeitlich aber gelöst werden konnten.
Parksystem in Untergeschossen
Nach der Gründung und der Sicherung der Baugrube erfolgt
schrittweise die Übergabe der Baustelle an Baumeister. Mit den Hochbauarbeiten
werden die Zuganker nach und nach entlastet. Als Erschütterungsschutz gegen die
Vibrationen der naheliegenden Gleise werden dabei die Bohrpfahlwände mit 25
Millimeter starken Matten aus Sylomer und Sylodyn belegt, zusätzlich erfolgt
die Verlegung einer Frischbetonverbundfolie um das Untergeschoss des
Franklinturms vor eindringendem Grundwasser zu schützen.
Quelle: Stefan Schmid
In drei Untergeschossen wird ein automatisches Parksystem für Autos eingerichtet. Eine Velorampe führt zur bestehenden Unterführung mit Abstellplätzen (Bildmitte).
Da das Hochhaus direkt an die bestehende
Bahnhofsunterführung anschliesst, umfasst die Baugrubenumschliessung auch die
Unterfangung des Bahnhofgebäudes im Jetting-Verfahren. Als Zufahrt zur
Veloabstellhalle in der Unterführung soll im Franklinturm eine Rampe integriert
werden. Neben Lager- und Technikräumen wird in drei Untergeschossen ein
automatisches Parksystem für Autos eingerichtet, das wie ein Hochregallager
funktioniert. Übergabekabinen stellen Autos automatisch ins Parkhaus und holen
sie von dort wieder ab.
«Die gröbste Arbeit im Bereich der Baugrube ist eigentlich
vorbei», sagt Mitt erleichtert. Und für Koehly ist ein Gebäude wie der
Franklinturm ein Höhepunkt in der beruflichen Tätigkeit. «Allenfalls kommt
einmal im Leben die Chance, sowas zu bauen.»