Flakbunker IV in Hamburg: Ein Betonkoloss wird grün
Ein Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg in Hamburg wird zum öffentlichen Park. Dafür wird der unsprengbare Betonkoloss um fünf Stockwerke aufgestockt und erhält eine umfassende Begrünung. Eine Investorenidee, die nicht unumstritten ist.
Quelle: Frank Schulze Kommunikation
Fünf Stockwerke werden pyramidenartig auf den Flakbunker IV in Hamburg gesetzt, ein Mahnmal des Zweiten Weltkriegs. So präsentierte sich die Baustelle Mitte 2023.
Nur
wirkliche Hamburgkenner werden beim Stadtteil St. Pauli spontan nicht nur an
ausuferndes Nachtleben, Tabledance & Co. denken. Mitten im weltbekannten
Stadtteil steht auch ein unübersehbares Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg – ein
fünfstöckiger Hochbunker. Dieser ehemalige Flakbunker ist ein massiver Betonkoloss
mit einer 75 mal 75 Meter grossen Grundfläche. Er steht längst unter
Denkmalschutz. In ihm hat sich die Kreativbranche angesiedelt und basslastige
Nachtclubs wie das «Uebel und Gefährlich» schätzen die massiven Wände
ebenfalls.
1942
wurde das Ungetüm von Zwangsarbeitern in weniger als einem Jahr erbaut.
Teilweise fanden 25 000 Menschen darin Schutz. Der Kriegsmaschinerie diente er
als Standort für Flakgeschütze zur Fliegerabwehr. Nach dem zweiten Weltkrieg
wollten die Alliierten ihn sprengen. Wegen den mehreren Meter dicken Wänden war
ihnen am Ende das Risiko aber zu gross, die wenigen verbliebenen Nachbargebäude
mit zu beschädigen.
Pyramide mit grünen Wänden
Deshalb
steht er stoisch bis heute am selben Ort. Ihm werden nun von findigen
Investoren fünf sich pyramidenartig nach oben abstufende Etagen aufgesetzt.
Dort sollen unter anderem Gastronomie und ein Hotel einziehen. Das Ganze erhöht
den Betonkoloss um satte zwanzig Meter. Durch die zusätzlichen Etagen wurden
zahlreiche Terrassen geschaffen. Um das genehmigungsfähig zu bekommen, hat der
Investor zugesichert, den grauen Koloss auf diesen neuen Stockwerken zu einer
grünen Oase umzugestalten.
Auf
den neugebauten Terrassen wird ein öffentlich zugänglicher Dachgarten
entstehen. Für Anlage und Unterhalt kommt der Investor ebenfalls auf. So wird
auch eine Forderung des Denkmalschutzes erfüllt, denn die neuen Gebäudeteile
sind auch optisch deutlich vom historischen Bestand zu unterscheiden. Trotzdem
gab es vehemente Kritik, etwa weil man befürchtete, diesen massiven
Betonmonolithen, ein Weltkriegsdenkmal, zu sehr aufzuhübschen und dadurch
seiner historischen Bedeutung zu berauben.
Quelle: Visualisierung zVg Planungsbüro Bunker Matzen Immobilien
Die optimistische Visualisierung des fertigen Bunkers: Die Bäume auf dem Vorplatz reichen bis zum fünften Stock, also auf über dreissig Meter Höhe.
Quelle: Frank Schulze Kommunikation
Die Rankgerüste sind bereits installiert. Ein Grossteil der neu aufgesetzten Betonwände soll auf diese Weise begrünt werden um das Mikroklima zu verbessern.
Der
Clou am Ganzen ist der sogenannte «Bergpfad», der sich gemächlich um die
Fassade windet und Spaziergänger von der Strasse zum Dachgarten leitet. Der
Pfad ist fünf Meter breit, 300 Meter lang und wird, wie alle aufgesetzten
Bauteile, ebenfalls begrünt. Der 422 Tonnen schwere Bergpfad ruht auf insgesamt
24 Stahltragarmen. Jeder einzelne wiegt etwa 5,5 Tonnen und ist mit zwei bis
drei Meter langen Gewindestangen in der massiven Aussenwand verankert. Die
Stahltragarme tragen die etwa zwanzig Zentimeter dicken Spannbetonplatten, auf
die nochmals etwa gleich viel Aufbau kommt und darauf wiederum das Substrat für
die Grünflächen.
Der
vermutlich kniffligste Teil am Bergpfad war die Montage eines Fachwerkträgers
zwischen zwei der historischen Flaktürme auf dem Bunkerdach. Er wurde mit zwei
Autokranen auf rund 35 Meter Höhe gezogen, wo er in die Bohrlöcher und
Aufnahmen an der Aussenfassade eingepasst werden musste. Mangels direktem
Blickkontakt mussten die Kranführer sich über Funk verständigen. Nach vier
Stunden hatten sie es geschafft und der Träger konnte zwischen den Türmen mit
mehreren Meter langen Gewindestangen verschraubt werden.
Verzögerungen und Streit
Die
Genehmigung für das Projekt erfolgte 2017. Dann passierte lange nichts. Über
die Gründe wurde spekuliert, aber nichts Konkretes verkündigt. Baustart war
schliesslich 2019. Dann kam die Coronapandemie, alles verzögerte sich weiter,
das ursprünglich beauftragte Planungsbüro hatte man nach Erhalt der
Baugenehmigung abgesägt. Es folgten Klagen um nicht bezahlte Honorare im
einstelligen Millionenbereich sowie die Rechte am Projekt. Im Juni 2020 war
dann die Bodenplatte für die zukünftig folgenden Stockwerke gegossen. Allein
dafür wurden 650 Tonnen Stahl und 1400 Kubikmeter Beton auf 52 Meter Höhe
manövriert. Das gibt eine leise Ahnung vom logistischen Aufwand, der hinter der
Aufstockung steckt. Ende Dezember 2021 wurden schliesslich die letzten Decken
der fünf Stockwerksaufbauten betoniert.
Der
Lastabtrag der Aufstockung erfolgt ausschliesslich über 16 massive
Geilinger-Stützen auf den bis zu 4,5 Meter dicken Bunkeraussenwänden.
Bauverzögerung reihte sich an Bauverzögerung. Statt wie ursprünglich
angekündigt im Jahr 2021, wurde eine Eröffnung des Hotels, das in die
Aufstockung einziehen will, später für die erste Jahreshälfte 2022 angekündigt.
Nun kommt sie vielleicht diesen Winter. Mit den Verzögerungen stiegen auch die
Kosten. Im Moment spricht man von 60 Millionen Euro, wobei die ursprünglichen
Kostenkalkulationen nach Recherchen von der «Welt» von Branchenkennern ohnehin
als zu niedrig bezeichnet wurden.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Zwischenstadium vom August 2022: Fünf neue Stockwerke werden pyramidenartig auf das Mahnmal aus dem Zweiten Weltkrieg aufgesetzt.
Die
Kollegen der «Welt» berichteten im Mai ausserdem, dass sie ein halbes Jahr lang
vergeblich versucht hätten, einen Termin vor Ort zu erhalten, um sich selbst
ein Bild vom Fortschritt der Arbeiten zu machen.
Auch
der Verein «Hillegarden», der sich stark in der gemeinschaftlichen Planung und
Nutzung der öffentlichen Flächen der Grünanlagen engagiert hat, habe die
Mitteilung erhalten, dass «betriebsfremde Personen» nicht mehr zugelassen
seien. Über die Gründe werde geschwiegen. Erst im September 2023 gab es wieder
Nachricht von der Baustelle, denn damals wurden die letzten beiden je 13,5
Tonnen schweren Betontreppen des Bergpfads mit zwei Autokranen montiert. Damit
ist die letzte Lücke im «Bergpfad» geschlossen.
Betonwüste begrünen
Seit
einigen Monaten läuft parallel zu den Bauarbeiten auch die Bepflanzung. Die
Gärtner haben einiges zu tun, um die Betonwüste zu begrünen. 4700 Gehölze von
dreissig verschiedenen Arten kommen auf den Bergpfad und die Terrassen.
Gepflanzt wird in zweitausend Kubikmetern extra angefertigtem Substrat auf
Lavabasis. Auf diese Weise ist es besonders leicht, kann aber viel Wasser
speichern. Dazu kommen nochmals 16 000 Stauden, Kletterpflanzen, Bodendecker.
Damit
wird der Bunker dann als internationales Leuchtturmprojekt für Klimaanpassung
angepriesen. Um den Effekt der Begrünung aufs Mikroklima zu messen, wurden rund
80 Sensoren integriert. Klimaexperten der Technischen Universität Berlin
werten die Daten aus, um die klimatischen Effekte der Bepflanzung auf das
Gebäude und das Mikroklima im Stadtviertel nachzuvollziehen. So sollen
wissenschaftlich gesicherte Daten für weitere Projekte entstehen.
Da
der Bunker auch im Winter recht grün bleiben soll, wurden vor allem
entsprechende Arten ausgewählt, die aus Nordeuropa oder den Alpen stammen. Man
geht davon aus, dass sie Frost, Hitze und dem starken hanseatischen Wind
gewachsen sind, der ihnen unweigerlich zusetzen wird, da der Bunker deutlich
höher ist als die umgebenden Gebäude. Ein Extremstandort, der es den Pflanzen
nicht leicht machen wird.
Quelle: Alexandra von Ascheraden
Der Bergpfad ruht auf 24 Stahltragarmen. Jeder einzelne wiegt etwa 5,5 Tonnen und ist mit Gewindestangen in der Aussenwand verankert.
Pflanzen brauchen Zeit
Die
Bepflanzung ist mittlerweile so gut wie vollständig. Wie die «Süddeutsche
Zeitung» berichtet, wurde das Projekt mit dem Versprechen vermarktet, die
pyramidenartige Aufstockung umfassend zu begrünen und die Freiflächen für alle
umsonst zugänglich zu machen. Maximal ein Viertel der Betonflächen dürften laut
des städtebaulichen Vertrags sichtbar bleiben. Da auch die Stadt Hamburg weiss,
dass Pflanzen Zeit zum Wachsen brauchen, wurde festgelegt, dass das erst fünf
Jahre nach Eröffnung der Fall sein muss.
Noch
gibt es einige Skeptiker, die das bezweifeln. Selbstredend wirkt die frische
Bepflanzung aktuell noch nicht besonders üppig. Da immer wieder die
Visualisierungen des Investors mit üppigem Grün in Berichten abgebildet waren,
wollen sich die Erwartungen mit der Realität nicht recht decken. Denn Pflanzen
brauchen Zeit. Auf der Visualisierung reichen die Strassenbäume fast bis zum
Dach des 38 Meter hohen historischen Bunkers, also über fünf Etagen und mehr
als dreissig Meter. In der Realität sind sie zwar gut entwickelt, aber reichen
nicht höher als bis zum zweiten Stockwerk. Auch bei bestem Dünger und genug
Giesswasser wird es wohl nicht klappen, sie alsbald mehr als doppelt so hoch zu
bekommen.
Greenwashing vs. Klimaanpassung
Und
natürlich gibt es neben Begeisterten auch Kritiker. Etwa den freien Stadtplaner
Mario Bloem, der für den Sender NDR nachgerechnet hat, dass es 650 Jahre dauern
würde, das CO2, das beim Bau der fünf aufbetonierten Stockwerke freigesetzt
wurde, mit den Pflanzen zu kompensieren. Der Bund Naturschutz wiederum
bemängelt, dass all die Pflanzen eigens dorthin transportiert und mit
speziellem Substrat versehen werden müssen. Für den Verband ist das Ganze eine
«sehr sichtbare touristische Massnahme, die aber der Natur nicht weiterhilft.»
Die
Projektmacher ihrerseits lassen wissen, es gehe hier nicht um völlige
Kompensation, sondern lediglich um eine Anpassung an das sich wandelnde Klima.
Asphalt wird in Hitzesommern bis zu 60 Grad heiss. Die Vegetation kühlt die
gefühlte Temperatur merklich herunter, so die Grundannahme. Es kommt also
darauf an, welche Sichtweise man wählt.