08:49 BAUPROJEKTE

Erweiterung der Kantonsschule Reussbühl: Weiterbauen am Campus

Geschrieben von: Manuel Pestalozzi (mp)
Teaserbild-Quelle: GIGON / GUYER Architekten/PONNIE Images

Reussbühl nördlich von Luzerns Stadtzentrum ist noch ein junges Quartier. Mit der Erweiterung der Kantonsschule aus den späten 1960er-Jahren wird das urbane Gefüge gefestigt und das Bildungs-angebot erweitert. Das Siegerprojekt aus dem Wettbewerb orientiert sich am Bestand. Es verspricht eine hohe Nutzungsdichte und ein vielseitiges Raumangebot.

Erweiterung Kantonsschule Reussbühl Luzern

Quelle: GIGON / GUYER Architekten/PONNIE Images

Der Erweiterungsbau ist als Gegenüber der ursprünglichen Kantonsschule konzipiert. Er wird überragt von den Wipfeln des Roterwalds.

Reussbühl war einst Teil der Gemeinde Littau und wurde per 1. Januar 2010 in die Stadt Luzern eingemeindet. Zu jener Zeit war das Siedlungsgebiet, das zwischen dem Stadtzentrum und der Industriezone von Emmenbrücke liegt, bereits fester Teil der nördlichen Vorstadt von Luzern. Die bauliche Entwicklung wurde teilweise im grossen Stil vorangetrieben: Aufgrund des starken Bevölkerungswachstums erschloss die Gemeinde Littau in den 1960er-Jahren ein neues Areal auf der Anhöhe zwischen dem Dorfzentrum im Westen, an der Kleinen Emme, und Reussbühl im Osten, wo Emme und Reuss zusammentreffen.

Das Quartier erhielt den Namen eines bestehenden Weilers, Ruopigen. So beschreibt architekturbibliothek.ch das Vorhaben: Auf 530 000 Quadratmetern sollten Wohnungen für 900 Menschen, ein neues Verwaltungszentrum für die Gemeindebehörden, Schulhäuser, Kirchen, ein Geschäftszentrum und Restaurants entstehen. Sieger des städtebaulichen Ideenwettbewerbs von 1962 / 63 war Dolf Schnebli. Sein Konzept wurde 1964 an der Expo in Lausanne als vorbildlicher urbanistischer Entwurf ausgestellt. Bei der Ausarbeitung des Gestaltungsplans war auf eine strikte Trennung von Fussgängerzonen und Autoverkehr geachtet worden: Das Areal ist von einem Fusswegenetz durchzogen, das Plätze und Freiflächen verknüpft. Der Architekt und ETH-Professor konnte einen Grossteil seiner Planung umsetzen. Die Zentrumsüberbauung wurde von 1983 bis 1987 realisiert.

Die Kantonsschule Reussbühl (KSR), erbaut 1969 / 70 von Architekt Max Wandeler, ist im Zusammenhang mit diesem Zentrumsprojekt zu sehen. Das Areal gehört zwar nicht zu Ruopigen, ist ihm aber nördlich direkt vorgelagert und befindet sich ebenfalls auf der Anhöhe zwischen Reussbühl und Littau. Das Hauptgebäude der streng orthogonal angeordneten Anlage mit drei Hauptgeschossen und verwinkelten Trakten, die ein abstraktes «G» nachzeichnen, ist mit seiner markanten Rasterfassade weitgehend im originalen Zustand erhalten. Im kantonalen Denkmalpflegeverzeichnis und im Bauinventar hat man es als schützenswertes Gebäude eingetragen. 1996 /97 wurde die Schulanlage im Nordosten vom Architekturbüro Gassner Ziegler und Partner um einen langgezogenen, freistehenden Ergänzungsbau erweitert.

Erweiterung Kantonsschule Reussbühl Luzern Situationsplan

Quelle: GIGON / GUYER Architekten/PONNIE Images

Das Siegerprojekt nutzt bei ihrer Verdichtungsstrategie die Topographie optimal aus.

Steigender Raumbedarf

An der Kantonsschule Reussbühl werden rund 670 Heranwachsende in Langzeit-, und Kurzzeitgymnasiumsklassen unterrichtet. Es besteht auch eine Maturitätsschule für Erwachsene. Der Raumbedarf steigt. Mit Beschluss des Regierungsrates vom 1. Juni 2021 soll deshalb ein Erweiterungsbau 18 zusätzliche Klassen sowie eine weitere Sportanlage mit einer Zweifachturnhalle und einer Einzelturnhalle aufnehmen. Für diese Aufgabe schrieb die Dienststelle Immobilien des Kantons Luzern einen Projektwettbewerb für Planerteams mit Generalplaner im offenen Verfahren aus. Als Bearbeitungsperimeter galt ein unbebautes Gebiet im freien Gelände nördlich der bestehenden Anlage.

Neben dem komplexen Raumprogramm, das einen zeitgemässen Schulbetrieb erlaubt, wurde von den beteiligten Teams erwartet, dass ihre Vorschläge das vom Kantonsrat deklarierte Ziel «Netto null Treibhausgasemissionen bis 2050» berücksichtigen, ebenso den Wunsch des Kantons, bei seinen eigenen Bauten nebst den bereits gesetzlich verankerten Zielen auch die 2000-Watt-Gesellschaft voranzubringen. Aus diesem Grund mussten die Projekte die Standards Minergie A ECO und SNBS 2.1 Bildungsbauten anstreben. Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung hatten bei der Gestaltung der Schulanlage eine wichtige Rolle zu spielen und sichtbar zu sein – gewissermassen als «Anschauungsunterricht». An der KSR existiert seit den 2000er Jahren eine Arbeitsgruppe «Klimaschutz», seit mehreren Jahren gibt es auch ein von den Lernenden initiiertes Klimaforum.

In städtebaulicher Hinsicht war es wichtig, dass sich die Vorschläge in den Bestand einfügen. Da die Lage auf der Anhöhe ziemlich exponiert ist, musste auch auf die Silhouettenwirkung besonders geachtet werden, insbesondere auf die Wirkung vom neuen Seetalplatz her, der aktuell jenseits der Emme am Entstehen ist und ein neuer Schwerpunkt des Gebiets Luzern Nord wird.

Erweiterung Kantonsschule Reussbühl Luzern Ansichten

Quelle: GIGON / GUYER Architekten

Die Schulanlage liegt nördlich von Ruopigen auf einer Anhöhe. Der Ergänzungsbau vervollständigt das Ensemble.

Erweiterung Kantonsschule Reussbühl Luzern Schnitte

Quelle: GIGON / GUYER Architekten

Die Schnitte geben Aufschluss über die unterschiedlichen Raumhöhen und die Kombination verschiedener Konstruktionssysteme.

Kompaktes Konglomerat

33 Projekte wurden zur Beurteilung zugelassen. Das Verfahren endete in der einstimmigen Empfehlung des Preisgerichts, das Team GP Reussbühl um das Architekturbüro Gigon / Guyer mit der Weiterbearbeitung ihres Projekts «Terra Plana» zu beauftragen. Zum Team gehörten neben Gigon / Guyer antón landschaft gmbh, Zürich, als Verantwortliche Landschaftsarchitektur, WaltGalmarini AG, Zürich, als Bauingenieure und 3-Plan Haustechnik AG, Winterthur, als Zuständige für Haustechnik.

Der kompakte Neubau des Projekts fügt sich nördlich des bestehenden Sportplatzes ins orthogonale Bebauungsmuster der Anlage ein. Er bildet ein Rechteck, dessen von Osten nach Westen verlaufende Längsseite von der Ausdehnung her in etwa dem Ursprungsbau von Max Wandeler entspricht. Er tritt daher klar als Gegenüber auf. Die umlaufende, regelmässig gegliederte Fassade erinnert ebenfalls an den ältesten Teil des Campus. Mit zwei Hauptgeschossen ordnet sich der Neubau ihm unter; die Silhouette erhält keinen neuen Akzent, die KSR behält aus der Distanz gesehen ihren bisherigen Charakter. Allerdings besitzt die projektierte Erweiterung eine weitaus grössere Gebäudetiefe als die älteren Bauten. Deshalb umfasst sie zwei begrünte Innenhöfe, die das Obergeschoss mit Tageslicht versorgen und symmetrisch angeordnet sind. 

Erweiterung Kantonsschule Reussbühl Luzern

Quelle: GIGON / GUYER Architekten/PONNIE Images

Die umlaufenden Balkone dienen als Fluchtwege und als Aufenthaltsraum.

Erweiterung Kantonsschule Reussbühl Luzern

Quelle: GIGON / GUYER Architekten/PONNIE Images

Das zentral gelegene Atrium mit der grossen Dachlaterne reicht über alle Geschosse und verbindet sie.

Östlich der Symmetrieachse befindet sich ein gedecktes Atrium unter einer grossen Dachlaterne – eine weitere Referenz zum Wandeler-Bau, die wiederum symmetrisch angeordnet ist und auch das Lehrerzimmer im Obergeschoss belichtet. Das Atrium ist durch sich gegenüberliegende Haupteingänge von beiden Längsseiten gleichwertig zugänglich. Westlich vom Luftraum mit den Geschoss-Galerien verläuft in ihm eine breite Erschliessungstreppe. Am Atrium befindet sich die einzige Vertikalerschliessung im Gebäude, denn die Fassaden sind mit geräumigen umlaufenden Balkonen gegliedert, die auch als Fluchtwege dienen. Aussenliegende Fluchttreppen bringen im Notfall Lernende und Lehrende in Sicherheit. 

 Die drei geforderten Turnhallen sind zusammen in die Südwestecke des Volumens eingepasst. Sie befinden sich auf dem Niveau des Untergeschosses. Da das Gelände nach Osten abfällt, lässt sich etwa die Hälfte von diesem für den normalen Schulunterricht nutzen. Die Geschossebenen sind erschliessungstechnisch Dreibünder: Zwei Korridore verlaufen zwischen Raumsichten entlang der Fassade und einer mittleren Raumschicht. Die Längskorridore sind nicht nur in der Atriumszone, sondern auch an den Enden des Gebäudes miteinander verbunden, so dass sie im Obergeschoss, wo die Korridore nicht durch die Turnhalle unterbrochen werden, einen Umgang bilden können. Die Erschiessungszonen bieten vielfältige Begegnungsmöglichkeiten. Das regelmässige, auf einem annähernd quadratischen Raster aufbauende Stützensystem erlaubt ganz verschiedene Raumkonfigurationen, was dem gewünschten «offenen» Schulbetrieb, dessen Bedürfnisse sich schnell ändern können, gut entspricht.

Erweiterung Kantonsschule Reussbühl Luzern

Quelle: GIGON / GUYER Architekten

Das zentrale Atrium ist von beiden Längsseiten her gleichwertig erschlossen.

Erweiterung Kantonsschule Reussbühl Luzern

Quelle: GIGON / GUYER Architekten

Das Untergeschoss teilen sich die drei Turnhallen und Unterrichtsträume, die aufgrund des abfallenden Terrains ebenerdig zugänglich sind.

Gross-Pavillon aus Holz und Beton

Trotz den beträchtlichen Ausmassen wirkt der freistehende Neubauvorschlag wie ein grosser Pavillon im Grünen. Seine Bescheidenheit zeigt sich auch in der Konstruktion. Die Tragstruktur besteht aus Beton- und Holzelementen, die oft sichtbar bleiben, ferner Metall-Diagonalaussteifungen und einem zentralen Betonkern mit dem Atrium in der Mitte. Bei den Unterrichtsräumen sind Brettstapel-Beton-Verbunddecken auf Primärträgern und Stützen in verleimtem Holz vorgesehen, bei den Turnhallen und dem Mehrzweckraum Stahlträger mit Holorib-Beton-Verbunddecken auf Betonstützen. Die Innenwände aus Ständerwänden sollen wo möglich und sinnvoll mit Lehmputz versehen werden.

Die Fassade ist als vorgestellte Betonstruktur geplant, mit umlaufenden, auskragenden Platten, auf Unterzugs-/Stützenrahmen. Dahinter wird der mit umlaufenden Fenstern versehene «Holzkörper» erkennbar. Transparenz ist ein wichtiges Anliegen, das Planungsteam weist darauf hin, dass man bei der zum Sportplatz und dem Ursprungsbau orientierten Südfassade durch das Gebäude hindurchschauen und den dahinter liegenden Roterwald wird «erahnen» können.

Das Preisgericht lobte die gute Nutzungsdichte des Siegerprojekts, die es auf 67 Prozent beziffert, wobei es die Gemeinschaftsfläche, welche nach seiner Erkenntnis fast doppelt so gross ist als erwartet, bei dieser Betrachtung ausklammert. Trotzdem liegen die ermittelten Erstellungskosten im Quervergleich unter dem Durchschnitt. Aus nachhaltiger Sicht wird es als ein gutes Projekt erachtet, das sich «mittelstark» mit dem Thema befasst hat. Die Treibhausgasemissionen für die Erstellung liegen nach entsprechenden Berechnungen 14 Prozent über dem Grenzwert. Der Betrieb kompensiere die Überschreitung nicht vollständig, heisst es im Bericht des Preisgerichts. Den Fensteranteil von 49 Prozent schätzt er als hoch ein.

Lobend erwähnt er die vorgeschlagenen Massnahmen zur Klimatisierung: Die grossen Auskragungen der Geschossbalkone und beim Dachrand kontrollieren gemeinsam mit Markisen den sommerlichen Wärmeeinfall. Die Wärmeversorgung soll über Fernwärme erfolgen. Der Nachtauskühlung dienen wettergeschützte Kippflügel. Die Schulräume werden mit Zuluft in brandschutztechnischen Nutzungszonen versorgt. Die Abluft strömt in den Gangbereich, wo sie zentral abgesaugt wird. Dies reduziert den Bedarf an Abluftkanälen, wobei allerdings das Überströmen von Luft in andere Räume aus Sicht von Pandemien nicht nur vorteilhaft sei, wie im Kommentar des Preisgerichts nachzulesen ist.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen verarbeitet das Projekt für Reussbühl ein reichhaltiges Raumprogramm gekonnt zu einem einfachen Volumen, welches der geforderten Vielseitigkeit mit einer schlichten Form und einer ruhigen, regelmässigen Fassadengestaltung begegnet. Durch die gewünschte Flexibilität lässt sich diese Architektur nicht aus der Ruhe bringen.

Erweiterung Kantonsschule Reussbühl Luzern

Quelle: GIGON / GUYER Architekten

Die dreibündige Erschliessung im Obergeschoss lässt sich mit Verbindungen der Korridore an den Längsenden in einen Erschliessungsring verwandeln.

Erweiterung Kantonsschule Reussbühl Luzern Nutzungen

Quelle: GIGON / GUYER Architekten

Das Siegerprojekt packt die verschiedenen Nutzungen in ein rechteckiges Volumen.

Nachgefragt ... bei Tullio Gallo

Tullio Gallo

Quelle: Kanton Luzern

Tullio Gallo ist Projektleiter Baumanagement bei der Dienststelle Immobilien des Kantons Luzern.

Es fällt auf, dass bei diesem Bauvorhaben keine Einstell- oder Parkplätze für Fahrzeuge eingeplant sind und der Ergänzungsbau quasi nur zu Fuss erreichbar ist. Welches sind die Gründe?

Im Wettbewerbsprogramm wurden lediglich zusätzliche Veloabstellplätze verlangt. Parkplätze sind in genügender Anzahl vorhanden. Die Bushaltestelle liegt unmittelbar vor dem Zugang des bestehenden Hauptgebäudes. Der Verzicht auf weitere Parkplätze ermöglicht es, das unterirdische Bauvolumen gering zu halten.

Das Siegerprojekt ist ein Konglomerat mit verschieden grossen Raumeinheiten aus unterschiedlichen Materialien, das mit einer gleichmässigen, homogenisierenden Hülle und einem «Ring» aus Betonbalkonen und -vordächern umgeben ist. Welche Rolle spielen hier Fugen und Bewegungen in der Konstruktion?

Im Sinne der Kreislauffähigkeit sind die Konstruktionen grundsätzlich additiv gedacht und die Verbindungen, wo möglich, lösbar ausgebildet. Fugen und Bewegungen der Hybridbauweise in Holz /Beton innen und den gefügten Betonelementen aussen können mit einer sorgfältigen Detaillierung gut aufgenommen werden. Beide Konstruktionsarten sind erprobte Bauweisen.

Den hohen Fensteranteil hat das Preisgericht kritisch vermerkt. Kann das Projekt auch mit weniger Glasflächen funktionieren?

Die Fenster sind Holzmetallfenster mit hochwertigen Dreifachverglasungen. Das Projekt strebt ein hohes Mass an Energieeffizienz und Komfort an. Zu diesem Zweck soll der Neubau die Anforderungen der Labels SNBS Bildungsbauten und Minergie A Eco erreichen. Im Rahmen der Projektierung wird der Fensteranteil weiter optimiert.

Ein weiterer Kritikpunkt des Preisgerichts waren die Treibhausgasemissionen für die Erstellung. Sie sieht sie über dem Grenzwert. Weiss man schon, wie sie sich reduzieren lassen könnten?

Wir sind zuversichtlich, dass wir in der weiteren Projektierung die Treibhausgasemissionen für die Erstellung optimieren und in den geforderten Grenzbereich bringen können. Es wird ein konstantes Abwägen sein zwischen notwendigen Elementen mit viel CO2 Emissionen wie zum Beispiel Photovoltaik und eben emissionsärmeren Materialien und Konstruktionen.

Wo steht das Projekt heute? Ist der schon genannte Baustart 2028 noch immer realistisch?

Im Mai 2024 wurde der Projektierungskredit durch den Kantonsrat genehmigt, der Generalplaner kann beauftragt werden. Die Projektierungsarbeiten werden im September 2024 beginnen. Unter der Voraussetzung, dass das Bauprojekt genehmigt und das Kostenziel erreicht wird sowie der Souverän an der Volksabstimmung Ende 2026 dem Projekt zustimmt, steht dem Baustart 2028, Stand heute, nichts entgegen. (Interview: Manuel Pestalozzi)

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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