Arealentwicklung: Den Faden weiterspinnen
Über hundert Jahre produzierte die Spinnerei an der Lorze in Baar Baumwoll- und Seidenfäden. Seit 1994 steht der Betrieb still. Nun wurden mit einem Studienauftrag Ideen für eine Überbauung mit Wohn- und Gewerbenutzungen gesucht. Diese soll sich «einwandfrei» in das bestehende Umfeld einordnen. Der historischen Industriestätte steht eine Verdichtung bevor.
Erst die Spinnerei brachte Baar an die Lorze. Das
historische Ortszentrum liegt nämlich etwas weiter westlich, in einer weiten,
nach Norden ausgreifenden Schlaufe, die der Fluss beschreibt. Dort, wo er aus
einer engen Schlucht, von den Höllgrotten herkommend, in die Ebene hinaustritt,
entstand am rechten Ufer ab 1854 der Fabrikbau.
Er steht wenige Meter südlich der Langgasse, der alten
Hauptstrasse von Zug nach Zürich. Bei der Nordostecke des Areals befindet sich
neben der Strassenbrücke die Verzweigung des Mühlebachs, der von der Lorze
gespiesen wird und auf dem Weg zum Zugersee gewissermassen eine Abkürzung
nimmt. Die Kernanlage der Spinnerei besteht aus zwei langgezogenen
viergeschossigen Baukörpern mit Satteldächern, die parallel zur rund 80 Meter
entfernten Langgasse verlaufen.
Die beiden sachlich-nüchternen, im Grundriss rechteckigen Volumen wurden durch einen quer zu ihnen stehenden, dreigeschossigen Mittelbau voneinander getrennt. Mit anderen Fabriken, Kosthäusern und einer protestantischen Kirche bildete die Anlage ein eigenes Quartier, das über die Jahre zögerlich mit dem ursprünglichen Dorf zusammenwuchs.
Quelle: lilin architekten
Zwischen dem alten Spinnereikomplex und dem bestehenden Verwaltungsgebäude sieht das siegreiche Studienaufrags-Projekt den Henggeler-Platz vor.
Lange blieben das Bild und die Nutzung weitgehend dieselben.
Eine bedeutende «Disruption» erfolgte in den 1980er-Jahren mit der Bebauung des
gesamten parkartigen Zwischenraums, welcher den Hauptkomplex von der Langgasse
trennte. Gleichzeitig wurden im südlichen Teil des Areals Gebäude beseitigt und
durch einen grossen Parkplatz ersetzt. Der gewaltige, jeglichen bestehenden
Massstab sprengende Industrieneubau erwies sich als Anfang vom Ende: Der rapide
Niedergang der Textilindustrie in der Schweiz führte 1994 zur Stilllegung der
Spinnerei, unter Mitwirkung des berühmt-berüchtigten Unternehmers Adrian
Gasser. Nicht ohne Missklänge, aber definitiv. Seither wird das Areal als
«Gewerbepark an der Lorze» vermarktet und genutzt.
Schutz und Entwicklung
Die in wichtigen Teilen erhaltene Gesamtanlage ist von
beträchtlichem historischem Wert. Der Haupttrakt gilt auf nationaler Ebene als
das mächtigste heute noch erhaltene Fabrikgebäude des mittleren 19.
Jahrhunderts. Die beiden erwähnten Längstrakte sind jetzt verbunden durch einen
sachlichen Zwischenbau mit Flachdach, der 1947 den ursprünglichen Mittelbau
ersetzte. Alle drei stehen unter Denkmalschutz. Ein dem Hauptgebäude
vorgelagertes zweigeschossiges Verwaltungsgebäude aus den 1950er-Jahren, das
rückwärtige Kesselhaus und eine benachbarte Trafostation sind im Inventar der
schützenswerten Denkmäler enthalten. Die Spinnerei an der Lorze ist zudem im
Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung
(ISOS) aufgeführt. Das Areal besitzt neben seinem kulturellen Wert auch eine
hohe heimatkundliche Bedeutung.
Solchen Bewertungen war bei einer Weiterentwicklung des Areals Rechnung zu tragen. Diese wird vom aktuellen Grundeigentümer, Patrimonium Swiss Real Estate Fund (PSREF) und der Anlagegruppe Wohnimmobilien Schweiz der Patrimonium Anlagestiftung vorangetrieben. Sie möchten die störenden Gewerbestrukturen zurückbauen und das Spinnereiareal mit einer qualitätsvollen, wirtschaftlichen Neubebauung und einem neuen Nutzungskonzept aufwerten. Ihnen schwebt eine etappierbare Überbauung mit Wohn- und Gewerbenutzungen vor, die sich in den geschützten Bestand einordnet. In einer Machbarkeitsstudie liessen sie das verträgliche Nutzungsmass ausloten und Leitlinien für die Arealentwicklung festlegen.
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