08:03 BAUPROJEKTE

Aebiareal in Burgdorf: Ein neues Quartier beim Bahnhof

Geschrieben von: Manuel Pestalozzi (mp)
Teaserbild-Quelle: IG Aebiareal

Burgdorf ist eine historische Kleinstadt und ein regionales Zentrum mit Charme. Auf dem einstigen Industrieareal von Aebi sollen mehr Leute in Bahnhofsnähe von diesem Charme profitieren – und ihn nach Möglichkeit vermehren. Die Umwandlung ist seit einiger Zeit im Gange. Sie erfolgt in Etappen und soll etwa bis 2025 dauern.

Luftbild Aebiareal Burgdorf

Quelle: IG Aebiareal

Die Industriebauten sind fast alle verschwunden. Das Bahnhofsgebiet ist bereit für eine Neubebauung.

Aebi ist ein Schweizer Hersteller von Spezialfahrzeugen für die Kommunal- und Landwirtschaft. Seine Geschichte begann 1883, als Johann Ulrich Aebi am Lyssachteilbach, am südwestlichen Rand von Burgdorfs Bahnhofsgelände, eine Werkstatt zur Herstellung von Turbinen, Feuerspritzen, Sä- und Pferdezugmaschinen eröffnete. Das Areal wurde parallel zur Vergrösserung und Aktualisierung des Angebots von Aebi ins 20. Jahrhundert hinein laufend erweitert.

Der Baubestand verdichtete sich dabei deutlich. 2006 wechselte das Unternehmen, das sich bis dahin in Familienbesitz befand, den Eigentümer. 2010 erfolgte sein Umzug in ein neues Areal nordwestlich der Bahnhofsanlage. Bereits ein Jahr zuvor wurde für den Entwicklungsschwerpunkt (ESP) Bahnhof Burgdorf ein Richtplan erarbeitet, in welchem für den Teilbereich «Areal Bahnhofquartier West / Aebi Nord» eine breite Nutzungszuweisung vorgesehen wurde.

Entwicklung «Suttergut Nord»

Das heutige Aebiareal zwischen den Gleisen und der parallel zu ihr verlaufenden Lyssachstrasse wurde während Jahren als «Suttergut Nord» bezeichnet. Denn das Gelände der Fabrik dehnte sich über die Lyssachstrasse hinweg weiter nach Süden aus. Im südlichen Teil realisierte vor zehn Jahren das Immobilienunternehmen Alfred Müller AG eine Wohn- und Dienstleistungsüberbauung mit drei neuen Mehrfamilienhäusern sowie der einstigen Schreinerei von Aebi, die denkmalgerecht zu einem Mehrzweckgebäude hergerichtet wurde und aktuell unter anderem einen Coworking Space und ein Fitnesscenter beherbergt.

Die heute als Suttergut bekannte Überbauung wurde benannt nach Johann August Sutter, einem Abenteurer, der nach geschäftlichen Schwierigkeiten aus Burgdorf in die USA floh und bei dessen Sägerei am South Fork des American River durch einen zufälligen, wertvollen Fund der historische kalifornische Goldrausch von 1848 – 1854 ausgelöst wurde.

Entwicklungsgebiet Aebiareal Burgdorf

Quelle: IG Aebiareal

Die Neubebauung schafft zusammen mit kleineren Bestandesbauten ein dichtes, gut durchwegtes Quartier mit öffentlich zugänglichen Freiräumen.

Luftbild Aebiareal Burgdorf

Quelle: IG Aebiareal

Das Bahnhofsgebiet wird durch einen neuen Schwerpunkt ergänzt, welche in die Nachbarschaft ausstrahlen soll.

Im «Suttergut Nord» wollte lange keine richtige Goldgräberstimmung aufkommen. Die Interessengemeinschaft (IG) Suttergut Nord und die Stadt Burgdorf lancierten im Jahr 2014 einen Studienauftrag mit fünf eingeladenen Architekten-Teams zur Um- und Neunutzung des Areals. Das Beurteilungsgremium empfahl einstimmig das Projekt von Camponovo Baumgartner Architekten, Zürich, zur Weiterbearbeitung.

Es nahm die bestehenden Strukturen auf, erweiterte sie und stellte sie in einen grösseren Zusammenhang mit dem gesamten Bahnhofquartier. Das Entwurfsteam gliederte das Areal in einzelne Bausteine, mit welchen sich die Stadt schrittweise weiterbauen lässt, mit dem Einbezug bestehender Bauten. Die Körnung der Neubauten folgte dem Anstieg der Baumasse von den Stadthäusern im Osten zum dicht bebauten Arealteil im Westen.

Die Höhe der Bauten richtet sich nach dem bisherigen Bestand. Hochpunkte wurden keine vorgesehen. Für mehr Durchlässigkeit und eine bessere Durchwegung wurden neu zwei Querverbindungen zwischen dem Gleisfeld und der Lyssachstrasse geschaffen. Sie ergänzen die Bucherstrasse und Tiergartenstrasse.

Auf der Basis dieses Vorschlags wurde eine Teil-Überbauungsordnung «Suttergut Nord» erarbeitet und 2017 öffentlich aufgelegt. Protest regte sich gegen den Abbruch der so genannten Aebihallen, den eleganten Industriebauten aus den 1950er-Jahren. Mehr als 500 Personen unterzeichneten eine von der Regionalgruppe Burgdorf vom Berner Heimatschutz lancierte Petition.

Illustration Aebiareal Burgdorf Tiergartenstrasse

Quelle: 2020 Nightnurse Images, Zürich

Beim Kreisel Lyssachstrasse/Aebistrasse wird der Wohnkomplex Aebiguet erstellt.

Im öffentlichen Mitwirkungsverfahren gab es elf Eingaben aus der Bevölkerung. Um den Eingaben und der eingereichten Petition Rechnung zu tragen, wurde die Teil-Überbauungsordnung umfassend überarbeitet und 2018 mit weiteren Ergänzungen an das Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR) zur zweiten Vorprüfung eingereicht. Die Stadt Burgdorf stellte zudem einen Antrag an die kantonale Denkmalpflege zur Einstufung der erhaltenswerten Bauten.

2019 erreichte die Teil-Überbauungsordnung «Suttergut Nord» Rechtskraft. Die Projektentwicklungen der einzelnen Grundeigentümer konnten nun in Angriff genommen werden. Zudem wurde damit auch die Bewilligung für den Rückbau und die Altlastensanierung der alten Aebihallen rechtskräftig. Diese Arbeiten führte man 2020 durch.

Eine vollkommene «Tabula rasa» findet man auf dem Areal aber nicht vor. Die kantonale Denkmalpflege wies im Rahmen der Erstellung des Teilrichtplans darauf hin, dass die beiden Wohnhäuser Lyssachstrasse 34 und 36 aus der Gründerzeit erhaltenswert sind. Der Teilrichtplan hält fest, dass die Grundeigentümerschaft dieses Urteil akzeptiert.

Drei Projekte in Bearbeitung

Diverse Projekte sind auf dem Aebiareal in Bearbeitung, koordiniert werden sie durch die IG Aebiarel, wie die IG Suttergut Nord heute heisst. Zu Beginn bestand diese aus der Alfred Müller AG, der Espace Real Estate AG, den Grundeigentümern der Bestandsgebäude Lyssachstrasse 34 und 36 und Bucherstrasse 2 sowie der SBB und BLS Netz AG. 

Seit 2022 hat die schweizweit tätige Halter AG die Grundstücke der SBB und BLS als Baurechtsnehmerin übernommen und ist als Entwicklerin Teil der IG geworden. Gemeinsam möchten die IG-Mitglieder an diesem geschichtsträchtigen, zentrumsnahen Ort ein neues Kapitel aufschlagen und Raum für zukunftsweisende Wohn- und Arbeitsformen schaffen.

Illustration Aebiareal Burgdorf Zentrumsplatz

Quelle: 2020 Nightnurse Images, Zürich

Die autofreien Aussenräume sollen eine ausgezeichnete Aufenthaltsqualität erhalten.

Illustration Aebiareal Burgdorf Aebiplatz

Quelle: 2020 Nightnurse Images, Zürich

Im Inneren des Aebiareals wird ein grosser, begrünter Platz entstehen.

Merkmal des neuen Quartiers soll unter anderem eine hohe Dichte sein, die Rede ist von einer Bruttogeschossfläche von rund 40 000 Quadratmetern auf einer Grundfläche von 22 000 Quadratmetern für Wohnungen, Dienstleistungen und Restaurants. Mindestens 40 Prozent der Nutzfläche sind reserviert für Gewerbe, Büros und Gesundheit. Diese sollen sich wo möglich in den Parterres und den unteren Etagen ansiedeln. In den oberen, ruhigeren Etagen sind 250 modern ausgestaltete Miet- und Eigentumswohnungen vorgesehen. Das gesamte Aebiareal ist als Fussgänger- und Fahrradzone geplant. Mitten im Zentrum der Überbauung soll eine 600 Quadrat-meter grosse Spielfläche entstehen.

Die Alfred Müller AG realisiert im südwestlichen Teil des Areals, entlang der Lyssachstrasse, zwei Projekte: das Aebiguet mit Miet- und Eigentumswohnungen und das Geschäftshaus Perron Süd, welche die Aebihalle ersetzt. Die beiden fünf- bis siebengeschossigen Projekte gehen zurück auf einen Studienauftrag aus dem Jahr 2018, welches das Büro Müller Sigrist Architekten aus Zürich für sich entscheiden konnte.

Sie fassen an der Lyssachstrasse einen Pocket-Park ein und bieten über diesen einen Zugang zur zentralen Freifläche des Areals. Die Ästhetik der Architektur erinnert mit fein gegliederten Fassaden und den vorkragenden Rändern der Flachdächer an die frühere Bebauung. Der Baustart für Aebiguet und Perron Süd erfolgte im Januar 2023, als Bezugstermin wird aktuell der Jahreswechsel 2024/25 genannt.

Östlich dieser beiden Projekte, auf den kleineren Baufeldern G und H, plant die Alfred Müller AG Eigentumswohnungen und kleinere Gewerberäume im EG. Die zwei geplanten Stadtvillen orientieren sich formal an den beiden Bestandsbauten Lyssachstrasse 34 und 36, sie unterscheiden sich damit klar von den grösseren Projekten auf der Westseite, welche die industrielle Vergangenheit thematisieren. Der Baustart ist auf Frühling 2024 geplant, der Bezug auf Herbst 2025.

Projekt Espace Fassadenvarianten

Quelle: Espace Real Estate AG

Das Projekt der Espace Real Estate AG besteht aus zwei Volumen an der Lyssachstrasse. Die genaue Ausbildung der Putzfassaden wird anhand von Studien bestimmt.

In der Südostecke des Areals, neben den geschützten historischen Bauten realisiert die Espace Real Estate AG an der Lyssachstrasse zwei fünfgeschossige Volumen mit einem zweigeschossigen Verbindungstrakt. Die mit flach geneigten Walmdächern und stehenden Fenstern versehenen Bauten gehören ebenfalls in die Kategorie Stadtvilla, das Ensemble wurde vom Architekturbüro G&Z Architektur AG aus Solothurn entworfen. Baustart war im Juni 2022, die voraussichtliche Fertigstellung ist gegen Ende dieses Jahres geplant. Als Generalmieter konnte das Regionalspital Emmental gewonnen werden. Neben diversen Praxen entstehen auch Personal- und Kleinwohnungen.

Die vier nördlichen Baurechtsfelder mit bester Visibilität von den Bahngleisen werden von der Halter AG als Entwicklerin geplant und umgesetzt. In Aussicht gestellt werden hier aussergewöhnliche und grosszügige Eigentumswohnungen für Paare in jedem Lebensabschnitt und mit bestem Ausblick, Mietwohnungen in verschiedenen Grössen und speziell offene Mietwohnungen für die junge Generation.

Um verschiedene Nutzergruppen anzusprechen und das Areal zu beleben und zu diversifizieren, bietet die Halter AG zudem sogenannte «Movements» an. Dies sind kleine Wohneinheiten mit verschiebbaren Wänden. Hinzu kommen Flächen mit flexibler Raumaufteilung für Dienstleistungen und Büros. Die Vision der Halter AG wird zwischen dem 4. Quartal 2023 und Ende 2025 in die Realität umgesetzt. An attraktiver Lage wird dann ein vollständiges und gut durchwegtes Quartier die Kleinstadt Burgdorf bereichern

Nachgefragt… bei Rudolf Holzer

Rudolf Holzer

Quelle: zvg

Rudolf Holzer ist Leiter Baudirektion bei der Stadt Burgdorf.

Für eine Stadt von der Grösse Burgdorfs ist das Aebiareal ein bedeutender Eingriff. Erwartet man, dass sich der Schwerpunkt des öffentlichen Lebens deshalb verlagert?

Das Aebiareal ist eine der grössten Arealentwicklungen auf dem Stadtgebiet. Durch sie wird das Bahnhofquartier nach Westen erweitert. Das Industrieareal war in den letzten Jahren eine leere Brache. Durch die Umwandlung wird nicht nur die Bedeutung des Bahnhofquartiers gestärkt, es entsteht vor allem durch die neuen Nutzungen, Wegbeziehungen und öffentlichen Freiräume ein weiterer Schwerpunkt für das öffentliche Leben. Von einer Verlagerung würde ich nicht sprechen; die Kernstadt wird nach Westen erweitert und verbindet nun die umliegenden Quartiere besser mit dem Bahnhof SBB.

Über das Aebiareal führt auch ein Weg vom Bahnhof in den Stadtteil nördlich der Gleise. Sind im Bereich der heutigen Bahnunterführung der Aebistrasse Massnahmen geplant, um diese Passage westlich des Aebiareals etwas freundlicher und zeitgemässer zu gestalten?

Mit der SBB und allen Akteuren wurde 2020 ein Entwicklungszielplan erarbeitet, welcher auch das Aebiareal umfasst. Damit wurden die Grundlagen für den künftigen Ausbau des Bahnhofs SBB geschaffen. Der Entwicklungszielplan bildet auch die Basis für weitere Entwicklungen. Mit dem Ausbau der bestehenden Personenunterführung (PU) und einer neuen PU-West auf der Höhe des Aebiareals soll das Gebiet nördlich des Bahnhofs weiter entwickelt werden. Die PU-West wird auf der Nordseite direkt beim geplanten neuen Museum BLS, welche das bestehende ergänzt, enden.

Die Gebietsentwicklung Bahnhof Nord wurde im Rahmen von Partizipationsprozessen bereits gestartet, der Gemeinderat hat Leitsätze erlassen. Das Entwicklungskonzept Bahnhof Nord soll die Zukunft der angrenzenden Areale steuern und die vielfältigen Qualitäten des Orts mit den historischen Gebäuden samt Gewerbekanal stärken. Wir sehen hier ein ergänzendes Gegenstück des Aebiareals. Der Bahnhof SBB wird dann mit dem neuen Bushof mitten im neuen Stadtzentrum die Funktion eines öV-Hubs übernehmen.

Denken Sie, dass das Areal, respektive die Menschen, die es nutzen, besuchen und bewohnen, den Charakter der Stadt verändern werden?

Wir erwarten von ihnen positive Impulse. Durch sie wird Burgdorf als Kleinstadt im Emmental noch attraktiver zum Wohnen und Arbeiten.

Es gibt, wie sie angetönt haben, auch in der weiteren Nachbarschaft Bauprojekte, die in Vorbereitung sind. Inwieweit werden diese durch die Ereignisse auf dem Aebiareal beeinflusst? Besteht ein Austausch mit den Verantwortlichen dieser Projekte und der IG Aebigut?

Tatsächlich geschieht aktuell einiges: Neben der erwähnten Gebietsentwicklung Bahnhof Nord steht auch der Ausbau der Lyssachstrasse entlang des Aebiareals auf dem Programm. Sie wird mit diversen Massnahmen in eine Begegnungszone mit Tempo 20 verwandelt. Auch im südlich gelegenen Gebiet startete die Entwicklung mit den Eigentümern. Die Stadt ist mit allen Akteuren und der IG in proaktivem Austausch und setzt damit bereits frühzeitig Akzente.

Im Artikel werden die Projekte von Alfred Müller AG, Espace Real Estate AG und Halter AG vorgestellt. Kann man sagen, dass das Aebiareal mit der Umsetzung dieser Projekte «fertig» ist, oder gibt es dann noch Leerstellen?

Es sind noch Projekte in Vorbereitung, auf den letzten kleineren Baufelder am Ostrand des Areals. Danach kann quasi als Finale die Fertigstellung erfolgen. Zwischen Aebiareal und dem Gleisfeld konnte mit allen Akteuren ein naturnaher Freiraum geplant werden, welcher bereits jetzt einen wichtigen Beitrag zur Biodiversität im urbanen Umfeld leistet. Bald soll dann auch wieder Wasser durch das Aebiareal fliessen: Die Stadt saniert den historischen Abschnitt des Gewerbekanals, dem einstigen Lyssachteilbach. Das Gewässer wird nicht bloss als städtebauliches Element inszeniert, sondern leistet dann auch einen Beitrag zur Hitzeminderung. Im Sommer wird es zur Abkühlung des urbanen Aebiareals beitragen. (Interview: Manuel Pestalozzi)

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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