Weisser Turm in Mulegns: Betonfertigteile drucken
Mit dem Weissen Turm soll in den kommenden zwei Jahren in Mulegns am Julierpass ein Betonturm im 3D-Druck-Verfahren entstehen. Der Turm ist ein Forschungsprojekt der ETH Zürich, in dem Betonfertigteile in einer Feldfabrik produziert und vor Ort montiert werden.
Quelle: Hansmeyer/Dillenburger
Der Weisse Turm vom Pass aus gesehen.
Angefangen hat alles mit der Strategiekommission der ETH Zürich, die nach neuen Möglichkeiten suchte, die Wahrnehmung der Universität auch in unterrepräsentierten Regionen der Schweiz zu verstärken. Deshalb trat man an die Nova Fundaziun Origen heran, die sich seit Jahren in der Kulturförderung im Juliertal engagiert und 2018 mit dem Wakker-Preis für die attraktivste Dorfgestaltung ausgezeichnet worden war. Dem Stiftungsvorsitzenden Giovanni Netzer ist neben der Architektur – und deren Erhalt und Pflege – insbesondere das Schauspiel wichtig. So unterhält die Stiftung unmittelbar am Julierpass den roten Turm, einen temporären Bau für innovative Theateraufführungen.
Bei ersten Gesprächen, die das Architekturdepartement mit Netzer führte, zeigte sich dieser offen für neue Ideen. Gemeinsam fand man den Gedanken sehr spannend, das Alte nicht nur zu bewahren, zu zeigen und neu zu inszenieren, sondern dieses in den Kontrast zu modernster Technologie zu stellen. So könnte man neue Perspektiven für die ganze Region aufzeigen.
Das Forschungsprojekt
Federführend bei der ETH Zürich für das Projekt ist an der Fakultät für Architektur der Lehrstuhl Digitale Bautechnologien von Benjamin Dillenburger. Zusammen mit dem Lehrstuhl Physical Chemistry of Building Materials von Robert J. Flatt am Institut für Baustoffe (IfB), aber auch mit der Professur für Massiv- und Brückenbau von Walter Kaufmann und weiteren Kollegen aus dem Nationalen Forschungsschwerpunkt Digitale Fabrikation, entwickelt man derzeit Fertigungskonzepte für diesen Turm.
Anders als bei dem ersten, in Deutschland gedruckten Wohngebäude im nordrhein-westfälischen Beckum setzt die ETH nicht auf eine vektorbasierte Anlage respektive ein so genanntes Gantry-System, sondern auf eine robotische Fertigung. Es gibt also kein dreidimensional angeordnetes Schienensystem, auf dem der Druckkopf entlang gleitet, sondern einen Roboterarm, der den Druckkopf führt. Das System weist eine höhere Flexibilität und grössere räumliche Freiheiten auf, und so stellt auch eine geneigte Linienführung kein Problem dar.
Quelle: Robert Mehl
Haus Beckum: das erste, 3D-gedruckte Wohngebäude Deutschlands.
Mit dem deutschen 3D-Druck-Projekt hat das Verfahren der ETH gemeinsam, dass es sich um ein Extrusionsverfahren handelt. Der Beton besitzt eine hohe Frühfestigkeit und wird ohne eine Schalung Lage für Lage aufeinander abgelegt. Einen Unterschied erkennt Dillenburger in der Druckauflösung: Während in Beckum Dillenburger vorliegenden Fotografien zufolge vermutlich mit einer Schichthöhe von 20 Millimetern gearbeitet worden ist, strebt sein Lehrstuhl in Mulegns einen Wert von 5 bis 10 Millimetern an.
Dabei geht es ihm aber nicht darum, diesen zu übertrumpfen, sondern feinere Details zu erzeugen. Denn je kleiner die Extrusionsdüse ist, desto engere Kurvenradien sind möglich, aber umso langsamer ist jedoch auch der Plotter. Die Druckgeschwindigkeit seines Roboters beziffert Dillenburger mit respektablen 200 Millimeter die Sekunde. Wirklich scharfkantige rechte Winkel können jedoch mit keinem dieser Systeme umgesetzt werden, hier hat sich Dillenburger einen 40 Millimeter-Radius zum Ziel gesetzt.
Die Technik
Ebenfalls anders als in Beckum wird der Turm nicht in-situ an seinem finalen Ort erstellt. Vielmehr wird er aus Einzelelementen bestehen, die nacheinander in einem definierten Bauraum ausgedruckt werden. Erfolgen soll das mit dem institutseigenen Roboter des Herstellers ABB, der aktuell im Institutslabor auf dem ETH-Campus steht. Der «Beton-Plot» soll aber nicht auf dem Zürcher Hönggerberg erfolgen, sondern der Roboter soll dort abgebaut und in Mulegns in einer Feldfabrik aufgebaut werden. Mit der ortsnahen Fertigung soll einerseits der logistische Aufwand reduziert werden, denn reiner Beton transportiert sich einfacher als sperrige Betonbauteile. Andererseits ist eine grosse Transparenz des Projektes erwünscht: Das Entstehen des Turms soll erlebbar sein.
Der Roboter besitzt einen Aktionsradius von drei Metern in Breite, Höhe und Tiefe. Bei den vorgefertigten Bauteilen handelt es sich vielfach um Stützen und um Säulen, im weitesten Sinne um Langware. Deshalb ist vorgesehen, den Roboter auf eine Schiene zu montieren, auf welcher er hin und herfahren kann. Damit können dann Teile bis zu zehn Metern Länge in einem Stück gedruckt werden.
Quelle: Anton/Skevaki
Der Prototyp einer Säule wird in der ETH auf dem Hönggerberg ausgedruckt. Die effektiv verwendeten Bauteile sollen in Mulegns in einer Feldfabrik ausgedruckt werden.
Quelle: Digital Building Technologies
So sollen die einzelnen Elemente in Mulegns ausgedruckt werden.
Aufgabe von Dillenburgers Lehrstuhl «Digitale Bautechnologien» und seinen Kollegen an der ETH Zürich ist, bei diesem Projekt neben der Koordination auch das Entwickeln von 3D-Drucker Anschluss-details. Zum Beispiel das Entwerfen von druckfähigen inneren Gebäudestrukturen und das Anlegen von Arbeitsprozessen, wie der Druckabfolge. Entwickelt wurden von seinem Lehrstuhl auch die Schnittstellen, um den Roboter bzw. den Düsenkopf mit den erforderlichen 3D-Architektur-programmen zu verbinden. Programmiert wurde hier mit Java und mit Python, um vor allem eine Schnittstelle zu CAD-Software herzustellen.
Der Schwerpunkt der Forschung des Lehrstuhls Physical Chemistry of Building Materials von Robert J. Flatt ist hingegen die Entwicklung einer geeigneten Betonrezeptur. Die strukturellen Aspekte des 3D gedruckten Turms werden von der Professur für Massiv- und Brückenbau von Walter Kaufmann untersucht. Andreas Wieser von dem Lehrstuhl für Geosensorik und Ingenieurgeodäsie forscht an der Vermessung und Formkontrolle.
Quelle: Hansmeyer/Dillenburger
Querschnitt des Weissen Turms.
Quelle: Hansmeyer/Dillenburger
Pläne zu den einzelnen Geschossen.
Die Architektur
Der erste Eindruck täuscht: Der Weisse Turm von Mulegns wurde nicht rund angelegt, um ihn mit einem zentral aufgestellten Roboter radial auszudrucken. Wie man schon weiss, wird der Turm aus vorgefertigten Betonfertigteilen bestehen, die einzeln in einer separaten Feldfabrik entstehen. In diesem Prozessdetail unterscheidet sich das Projekt signifikant von dem ersten «gedruckten» Gebäude überhaupt, dem «Prototype #1», das in den 1940er Jahren mit der «Urschel Wall Building Machine» im amerikanischen Bundesstaat Illinois entstanden ist. Ein seinerzeit visionäres Projekt, über das Baublatt vergangenen Herbst (Ausgabe 2021 /21) ausführlich berichtet hat.
Der Turm wird auf einem bestehenden 8 × 8 Meter grossen Fundament errichtet, auf dem sich im Sommer noch eine Garage aus den 1960er-Jahren befand. Diese wird abgetragen, und die dazugehörigen zwei Untergeschosse – die Garage befindet auf dem Grat eines steilen Abhangs – entsprechend statisch ertüchtigt.
Der architektonische Entwurf ist eine Synthese aus den Wünschen und Vorstellungen der Origen-Stiftung für einen neuerlichen Theaterturm und einer städtebaulichen Analyse seitens des Lehrstuhls für Digitale Bautechnologien unter besonderer Beteiligung des Architekten Michael Hansmeyer. Der Turm soll mit seiner besonderen räumlichen Konfiguration ein den Besuchern ein einzigartiges Erlebnis bieten, und einen anregenden Rahmen für die Veranstaltung der Origen-Stiftung.
Quelle: Hansmeyer/Dillenburger
Unter der Kuppel des grossen Saals des Weissen Turms sollen Veranstaltungen stattfinden.
Die Möglichkeiten des Betons
Für den Lehrstuhlinhaber Dillenburger geht es bei dem Projekt auch um die formale Frage, wohin sich der 3D-Druck ikonografisch bewegt: Generiert man vollflächig betonierte Betonbauten, oder realisiert man in dieser Technik eher Betonskelettbauten, welche die konstruktiven Möglichkeiten des Betons mit seinen großen Öffnungsweiten besser nutzen? Die ETH-Studien ergaben, dass je geschlossener der Turm anlegt war, desto massiver dieser im dem dörflichen Kontext erschien. Nicht zuletzt deshalb entschied man sich, die Fassade dynamisch zu öffnen. Während diese im Sockelgeschoss noch relativ hermetisch angelegt ist, öffnet sie sich nach oben zusehends und geht in zahllose Säulenstellungen über.
Die statisch nicht erforderliche, hohe Säulenzahl bedient zudem die Vorstellungen der Origen-Stiftung, im obersten Geschoss einen Veranstaltungsort der besonderen Art zu schaffen: Einerseits bietet der Raum darstellenden Künstlern die Möglichkeit, diesen für ihre Aufführungen dramatisch zu nutzen, andererseits setzt er den Blick in die Landschaft in einen sinnfälligen Kontrast zum Innenraum.
Der Turm wird keine Aussichtsterrasse haben, diese Funktion übernimmt der oberste Veranstaltungsraum. Fünf Geschosse wird es geben, eines ist ein Zwischengeschoss, das als Foyer der obersten Etage dient. Das Erdgeschoss fungiert als Eingangslobby, von der aus man aufsteigt. Einen Aufzug ist aufgrund der beengten Verhältnisse nicht vorgesehen, allerdings prüft man andere Möglichkeiten, um dennoch eine Barrierefreiheit zu gewährleisten. Offen ist derzeit noch, ob die Treppenläufe auch gedruckt werden, oder ob hierfür reguläre Betonfertigteilelemente verwendet werden. Abhängig ist das vom Projektfortschritt und dem Einfluss externer und unkalkulierbarer Faktoren. Ebenfalls noch offen ist, ob der Turm mit nur einem Roboter gedruckt wird, oder ob noch ein zweiter zum Einsatz kommt.
Quelle: Hansmeyer/Dillenburger
Auch bei Nacht soll der Turm einen eindrücklichen Anblick bieten.
Die Wärmedämmung
Gleichwohl sich der Turmbau mit seinen zahlreichen eingestellten Säulenstellungen sehr offen und durchlässig gibt, entsteht er in einer hochalpinen Landschaft und muss thermisch getrennt angelegt sein. Dies erfolgt in den oberen Geschossen durch eine eingestellte, vollflächige Verglasung. Die Aussenwände der unteren Bereiche sollen hingegen doppelschalig gedruckt werden, um dann den Zwischenraum mit dämmendem Schüttmaterial zu verfüllen. Parallel dazu sind an der ETH weitere Forschungsprojekte anhängig, die die Möglichkeit untersuchen, Beton bessere Dämmeigenschaften zu geben. Für eine Anwendung in Mulegns ist es hierfür jedoch noch zu früh.
Der Weisse Turm von Mulegns wird nicht angestrichen werden, sondern in seiner ursprünglichen Farbe verbleiben. Bewusst wird hier mit Weissbeton gearbeitet werden, der dem Turm einen zusätzlichen artifiziellen Charakter verleihen soll. Seine Färbung soll ein Anhalt dafür sein, dass sich das Projekt nicht als Konkurrenz zum Betonguss versteht, sondern als eine vollkommen andere Fertigungsmethode. Der Dachabschluss des 23 Meter hohen Turmes wird als Kuppel angelegt, weil die Forscher interessierte, wie man solche Freiformen mit dem 3D-Druck in den Griff bekommt. Die Kuppel wird in sphärischen Segmenten gedruckt, die dann auf dem Turm ebenfalls ohne Schalungen zusammengefügt werden.
Quelle: Hansmeyer/Dillenburger
Im Innern führt eine Wendeltreppe bis in die Kuppel hinauf.
Eingeschossiger 1 : 1-Demonstrator
Hinsichtlich des genauen Baubeginns und der Fertigstellung kann sich Dillenburger noch nicht genau festlegen. Allerdings strebt man eine Fertigstellung bis 2023 an. Auch ist zum heutigen Zeitpunkt schwer zu sagen, ob es einen Zeitraum geben wird, an dem sowohl der Rote Theaterturm wie auch der 3D-Turm in Mulegns besucht werden können. Beide haben einen temporären Charakter, sind aber nicht als Folgeprojekte zueinander angelegt. Die Errichtung soll in den Sommermonaten erfolgen. Hier geht Dillenburger von einer dreimonatigen Bauzeit aus. Gut denkbar ist ein rascher Beginn unmittelbar nach der Schneeschmelze und eine Fertigstellung im Spätsommer, sodass sich der Turm in der laufenden Saison noch für Veranstaltungen nutzen lässt.
Möglich ist auch seine Errichtung in zwei Bauabschnitten – zunächst von einem erweiterten Sockel und einer späteren Ergänzung der oberen Etagen. Beginnen soll alles demnächst, respektive noch vor dem Sommer: mit dem Druck eines kompletten Geschosses als Demonstrator im Massstab 1:1. An diesem sollen noch einmal letzte offene Fragen geklärt werden, insbesondere was die Tektonik des Systems anbelangt. Es soll eine real erlebbare und auch bespielbare Struktur sein, die zwar noch in Zürich gedruckt, die dann aber nach Mulegns transportiert wird, um sie dort der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Überhaupt ist ein Grundprinzip des auf 2,5 Millionen Franken geschätzten Projekts die Zerlegbarkeit eines temporär angelegten Bauwerkes. Auch wenn seine Nachnutzung noch vollkommen offen ist, werden seine Bauteile nicht miteinander vergossen, seine Vergänglichkeit ist essentieller Teil des Entwurfsgedankens.