Wasserwerk in Willich: Eine Bauruine wird zum Leben erweckt
Das einstige Wasserwerk des früheren Stahlwerks
Becker in Willich (D) ist zu einem Bürogebäude umgebaut worden. Das neue Dach
besteht aus Brettsperrholzelementen, die auf einem Stahltragwerk aufliegen. Die
Werkplanung für beide Gewerke hat ein Zimmerermeister gemacht.
Quelle: Robert Mehl
«Eine Dachkonstruktion muss immer von oben
nach unten gedacht werden», erklärt Zimmerermeister Markus Käding. Nachvollziehbarerweise
hatten HJP-Planer – die Architekten der Wasserwerksanierung – die
Dacharbeiten in drei Gewerke aufgeteilt: Den Schlosser, der die stählerne
Tragkonstruktion stellt, den Zimmermann, der darauf das Dach montiert sowie den
Dachdecker, der die Veluxfenster einbaut und die Prefab-Dachfolie verlegt.
Aber Käding war sofort klar, dass die Planung der gesamten Konstruktion in einer Hand liegen muss. «Sonst bekommt man das nur schwer hin, dass die Unterkonstruktion richtig sitzt, so dass der sichtbare Walmdachgrat sauber in die Gebäudeecke läuft» Er gibt sich überzeugt, dass ein Zimmermann für diese Aufgabe geradezu prädestiniert ist, da zum einen das Denken von der Dachhaut bis zur Fusspfette dessen «täglich Brot» sei.
Darüber hinaus sei er der Ansicht, dass gerade Zimmerleute die Handwerker seien, die von ihrem Berufsbild am meisten «über den Tellerrand schauen». Dies konnte er bei der Sanierung und dem Umbau des einstigen Wasserwerkes des Stahlwerk Becker in Willich zu einem Bürogebäude gleich selbst unter Beweis stellen.
60-jähriger Dornröschenschlaf
Das Gebäude war zwischen 1910 und 1930 kaum zehn Jahre in Funktion. Die Hyperinflation von 1923 brachte das aufstrebende Unternehmen in grosse Schieflage, und als dessen Gründer Reinhold Becker 1924 überraschend jung verstarb, wurde es abgewickelt und alle Fabrikgebäude wurden bis spätestens 1930 aufgegeben. Zurück blieb ein hochwertig angelegtes, 100 Hektar grosses Industrieareal, das zunächst verfiel, aus dem Fokus der Aufmerksamkeit geriet und daher auch die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs relativ gut überstand.
1945 entdeckte die britische Rheinarmee das
Gelände für sich und richtete dort ihr Royal Engineering Depot ein. Bis zu
ihrem Abzug im ersten Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende hatte sie hier die
zentrale Instandsetzung untergebracht, und die zahlreichen Industriehallen
wurden überwiegend zum Abstellen von Fahrzeugen genutzt. Entsprechend war keine
Beheizung in diesen Gebäuden erforderlich, die Dächer mussten einfach nur dicht
sein. Militärisch bestens bewacht, fiel so das ganze Areal über mehr als 60
Jahre in einen Dornröschenschlaf.
Ein Haus-im-Haus-Konzept
Während sich nach Abzug der britischen Rheinarmee für die zahlreichen Hallen und Brachen schnell Investoren fanden, dauerte der Verfall des schlossartig anmutenden Wasserwerkes mehr als ein weiteres Jahrzehnt an. Vor drei Jahren beauftragte der Eigentümer, die Grundstücksgesellschaft Willich, das Aachener Architekturbüro HJP-Planer mit dem Umbau und der Sanierung des mittlerweile denkmalgeschützten Wasserwerkes. Das Büro hatte seinerzeit den Masterplan für die Umwandlung des ehemaligen Stahlwerks Becker zu einem zeitgemässen Industriepark entwickelt und bereits etliche Sanierungen auf dem Areal realisiert.
Quelle: Robert Mehl
Das Wasserwerk vor der Sanierung.
Um das marode Mauerwerk abzufangen, entwarfen die Planer um Professor Peter Jahnen in den beiden Seitenflügeln des Gebäudes ein Haus-im-Haus-Konzept. Durch eine zehn Zentimeter starke Dämmschicht getrennt, errichteten sie auf einer neu angelegten, durchgehenden Bodenplatte einen zweiten, innen liegenden Rohbau, an dem sie die äusseren Bestandswände fixierten.
Den Mittelbau liessen sie hingegen frei und sahen hier ein offenes
Treppenhaus in Form einer Stahlkonstruktion vor. Brandschutztechnisch zulässig
wurde dies aufgrund einer Nichteinstufung dieses Treppenhauses als ersten
Fluchtweg. Dieser führt nunmehr für alle Räume durch die Fenster nach aussen.
Die erforderlichen Anleitermöglichkeiten und Aufstellflächen für die Feuerwehr
wurden eingerichtet.
Der Bau gliedert sich auf in vier zweigeschossige Büroeinheiten. Dabei sind die Erdgeschossflächen über je eine Spindeltreppe zusätzlich mit den darunter liegenden Souterrainbereichen verbunden. Die beiden Büroeinheiten im Obergeschoss verfügen jeweils über ein ebenfalls mit Spindeltreppen intern angeschlossenes Mezzaningeschoss.
Zentrales Treppenhaus
Mit dem Bau des zentralen Treppenhauses wurde die Janssen Metallbau und Montage GmbH in Kalkar beauftragt. Der Familienbetrieb hat sich als Bauschlosserei in den letzten Jahren zunehmend eine Expertise bei Stahlbauprojekten im Bereich der Industriekultur erworben.
Der neue Treppenhausstahlbau besteht aus zwei brückenartigen, rund sieben Meter langen Einheiten, die in jedem der beiden Obergeschosse quer zum Haupteingang von einer Trennwand zur gegenüberliegenden reichen. An diese sind seitlich mit auskragenden Podesten zwei einläufige Treppen angehängt, eine dritte führt hinab in das Untergeschoss. Diese internen Brücken ruhen, wie auch die Treppenläufe, auf 300 mal 150 Millimeter grossen IPE-Stahlprofilen.
Alle Treppenläufe wurden in der Kalkarer Werkstatt von Janssen Metallbau mit den daran angebrachten Geländern vorproduziert und – wie auch die durchgehenden Stahlträger – von oben mit Hilfe des Rohbaukrans eingefahren und montiert. Dazu war das neue Dach an einer Stelle zunächst nur provisorisch verschlossen worden. Unmittelbar vor der Kranfahrt wurde es geöffnet und danach dauerhaft versiegelt.
Quelle: Robert Mehl
Das neue, zentrale Treppenhaus.
Die durchgehenden Stahlträger wurden an 300 Millimeter hohen und 15 Millimeter starken Blechen an den Trennwänden mittels Injektionsankern befestigt und mit sichtbaren Muttern an diesen fixiert. Aus formalen Gründen wünschten sich die Architekten durchgehende Metallbänder an den Wänden, obwohl statisch Bleche in Brückenbreite ausgereicht hätten.
Die grossen Stahlprofile wurden vorkonfektioniert bestellt. In der Werkstatt ergänzten die Schlosser an den Kopfenden noch die fehlenden Bohrungen und schweissten Kurzpfosten zum Halt der Geländerelemente an. Beim Einheben in das Wasserwerk wurden die Träger sofort mit den auf die Wandbleche aufgeschweissten Fahnenblechen verschraubt. Anschliessend schweissten die Schlosser die Brückenbodenbleche mit Elektroschweissgeräten an den Trägern fest.
Herausforderung bei Fensterglasgrösse
Die alten Aussenfenster waren einfache Stahlwinkelprofile mit einbetonierten Rahmen in den Leibungen. An diesen Übergangsstellen waren die Fensterrahmen besonders stark korrodiert. In Abstimmung mit der Denkmalpflege entschied sich das Architekturbüro HJP für eine Rekonstruktion dieser Fenster, was bauphysikalisch möglich war, da für diese kein Wärmeschutznachweis erforderlich war. Die thermische Trennung erfolgt wegen der Haus-in-Haus-Bauweise an der neuen Innenwand. Hier ordneten die Planer ein zweites, handelsübliches Stahlfenster an.
Während die ursprünglichen Fenster festverglast waren, mussten die neuen Fenster für die erwähnte Fluchtmöglichkeit zu öffnen sein. Hierzu wurde ein entsprechendes Detail entwickelt und ein 1:1 Muster erstellt, welches der Denkmalpflege zur Freigabe präsentiert wurde.
Eine Herausforderung stellten die kleinen
Glasgrössen infolge der gewünschten Fenstersprossung dar. In Absprache mit der
Denkmalpflege fand sich eine finanziell angemessene Lösung in einer
Ebenenaufsplittung der Sprossung: Während die horizontalen Sprossen weiterhin
in der Glasebene blieben, ordnete man die vertikalen Sprossen unmittelbar davor
an. Dies führte zudem zu einer nicht unerheblichen Reduzierung der
Produktionszeit.
Tonnenschwere Platte im Dachstock
Das bestehende Dach war baufällig und ist weitgehend durch ein neues ersetzt worden. Lediglich im Mittelbau verblieben einige der alten Fachwerkträger aus denkmalpflegerischen Gründen – jedoch ohne eine statische Funktion. Das neue Dach ruht, bestehend aus einem giebelständigen Satteldach in der Mitte und zwei abgeschnittenen Walmdächern auf den Seitenflügeln, auf einer Stahlkonstruktion.
Die eigentliche Dachfläche besteht aus einer zehn Zentimeter starken Brettsperrholzlage, die auf Fuss-, Mittel- und Firstpfette aufliegt. Die jeweils 8,28 Meter langen und 2,34 Meter breiten Brettsperrholzplatten spannen immer zwischen Traufe und First. Sie weisen auf beiden Längsseiten jeweils einen sechs Zentimeter breiten und 2,5 Zentimeter tiefen Falz auf, der schliesslich mit einer 12 Zentimeter breiten OSB-Platte vollflächig verschlossen wurde, um die Dachfläche auszusteifen.
Die grossformatigen Brettsperrholzplatten konnten vollkommen fertig konfektioniert bezogen werden. Da das Brettsperrholz auf seiner künftigen Unterseite noch weiss zu lasieren war, liess sich Zimmerermeister Markus Käding das Material zunächst an seinen Bauhof liefern. Dort verfügt er über einen grossen Indoor-Abbundboden, der von einem grossen Portalkran beschickt werden kann, so dass ein Wenden und Umschichten der tonnenschweren BSP-Platten möglich war
Position am Computer ermittelt
Noch in der Werkstatt montierten die Zimmerleute die Futterhölzer auf die Stahlträger, auf welche später die Brettsperrholzelemente befestigt werden konnten. Deren exakte Position und jeweilige Dimension hatte Käding selber am Computer ermittelt. Denn bedingt durch die wandschiefe Geometrie des Altbaus musste zwischen den BSP-Tafeln und der Stahlunterkonstruktion vermittelt werden. Ein genaues Aufmass dazu hatte er zuvor eigenhändig von den verwitterten Mauerkronen, dem künftigen Traufbereich des Daches erstellt. Eine exakte Umsetzung seiner Messwerte hätte aber ein windschiefes Dach ergeben, weshalb er einen symmetrischen Entwurf für alle drei Teildächer machte und diese Konstruktionen jeweils vermittelnd auf die Eckpfosten platzierte.
Quelle: Robert Mehl
Das Obergeschoss mit der Mezzaninetage.
Alle Einheiten hatte der Zimmerermeister in seiner Werkstatt vormontiert und fuhr diese dann mit seinem extralangen Firmen-LKW in das gut 20 Kilometer entfernte Willich, wo er diese mit einem bauseits gestellten Kran einhob. Sobald die Dachelemente ihre Position erreicht hatte, fixierte das Team aus Zimmerleuten nicht nur die Holztafeln, sondern auch die Stahlprofile mit Maschinenschrauben und Muttern aneinander.
Auf die geneigten BSP-Flächen wurde dann von der ebenfalls in Viersen ansässigen Ivangs Bedachungen GmbH die eigentliche Dachkonstruktion aufgebracht. Zunächst montierten deren Handwerker eine Dampfsperre und brachten auf diese eine zwölf Zentimeter starke Hartschaumdämmung aus Polyurethan auf. Abschliessend versiegelten sie die Dachflächen mit einer hellgrauen Prefab-Folie. Anders als man vermuten mag, war der Stahlbau bei diesem Projekt nicht das kostenintensivste Gewerk. Im Hinblick auf die Gebäudeanmutung und den Denkmalschutz ist es aber sicherlich das Bedeutendste.